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Lagarde wird nicht persönliche Bereicherung vorgeworfen.

Foto: Reuters/CHARLES PLATIAU

"Ich habe nicht die Absicht zu schweigen": Mit diesen offensiven Worten begann Christine Lagarde am Montag ihren Prozess vor dem Pariser Gerichtshof der Republik. Ihr berufsmäßiges Lächeln und eine blitzende Eidechsen-Brosche konnten aber ihre Nervosität nicht verbergen: Die 60-jährige Generaldirektorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit Sitz in Washington kämpft um ihre ganze Karriere.

Vor dem Spezialgericht für französische Spitzenpolitiker, das in 23 Jahren erst viermal zusammengetreten ist, muss sich Lagarde wegen "Nachlässigkeit" verantworten. Ihr wird vorgeworfen, als Wirtschaftsministerin 2008 ein Dokument unterzeichnet zu haben, das den französischen Staat um 404 Millionen Euro brachte. So viel Geld sprach ein privates Schiedsgericht dem Fußballmanager Bernard Tapie zu, weil er sich durch den Verkauf des Sportartikelherstellers Adidas an die Staatsbank Crédit Lyonnais geprellt fühlte.

Lagarde hatte mit ihrer Unterschrift das Schiedsgericht gebilligt und danach auf einen Rekurs verzichtet, als Tapie die Millionen Euro zugesprochen erhielt. Damit habe sie die Staatsfinanzen geschädigt, heißt es in der Anklageschrift. Später, als Lagarde längst nicht mehr Ministerin war, kam die französische Justiz zu dem Schluss, dass Tapie keinerlei Entschädigung verdient hatte und die Millionen zurückzahlen müsse; das er indes bis heute nicht getan hat.

Entscheid durchgewinkt

Lagarde verteidigt sich mit dem Hinweis, sie habe den Entscheid nur durchgewinkt. Ausgehandelt hätten ihn die Berater von Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Niemand, auch die IWF-Chefin nicht, nennt das wahrscheinliche Motiv: Tapie hatte 2007 zu Sarkozys Wahl zum Staatspräsidenten aufgerufen. Gegen andere Beteiligte der Tapie-Affäre wird zwar wegen "bandenmäßiger" Veruntreuung von Staatsgeldern ermittelt, allerdings – weil es nur die Kabinettsmitglieder Lagardes und Sarkozys waren – vor der gewöhnlichen Justiz. Und die hat das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen.

Lagardes Anwalt Patrick Maisonnneuve sprach deshalb am Montag in einem Radiointerview von seiner "seltsamen Situation": "Frau Lagarde steht vor dem Gerichtshof der Republik wegen einer Nachlässigkeit, die eine Veruntreuung öffentlicher Gelder erlaubt haben soll. Doch die Veruntreuung selber ist noch nicht einmal erwiesen." Der Pariser Staranwalt verlangte deshalb zum Auftakt der Gerichtsverhandlung eine Prozessvertagung, bis überhaupt feststehe, ob der zugrunde liegende Tatbestand der Veruntreuung erwiesen sei.

Wenn die Forderung zurückgewiesen wird, würde dies nur noch die Malaise rund um den Prozess verstärken. Kritisiert wird zum einen der Spezialgerichtshof, an dem zwölf Parlamentarier, flankiert von drei Berufsrichtern, vermittels geheimer Abstimmung über andere Politiker befinden. Noch "bizarrer" (so am Montag die Pariser Zeitung "Libération") ist, dass das eigentliche Tatmotiv – eine möglicher Wahlabsprache zwischen dem Sarkozy-Lager und Tapie – in dem Prozess völlig ausgeblendet bleibt.

Auf Anordnung der Vorgesetzten

Lagarde wird keine persönliche Bereicherung, ja nicht einmal eine aktive Beteiligung an diesem Politschacher vorgeworfen. Sie handelte zweifellos auf Anordnung ihres Vorgesetzten im Élysée-Palast. Auf der Anklagebank sitzt aber nicht der Präsident, der in Frankreich eine quasimonarchische Immunität genießt, sondern die ausführende Ministerin. Der Staatsanwalt hatte seinerseits die "zahlreichen Treffen zwischen Herrn Tapie und dem Staatschef" hervorgehoben; das Verfahren gegen Lagarde wollte er einstellen.

Heute ist die IWF-Chefin allerdings selbst "die einflussreichste Französin der Welt" ("Vanity Fair"). Der Währungsfonds und mit ihm die Weltfinanz hängen nun vom Entscheid einer fragwürdigen nationalen Sonderjustiz ab. Auch deshalb hat der IWF seiner Generaldirektorin noch letzte Woche sein Vertrauen ausgesprochen. Dessen ungeachtet müsste sie wohl den Hut nehmen, wenn sie vor Weihnachten verurteilt würde (das Strafmaß beträgt ein Jahr Haft und 15.000 Euro Buße).

Das hinterließe einen doch eher unschönen Eindruck: Schon Lagardes Vorgänger, der Franzose Dominique Strauss-Kahn, war 2011 wegen einer Sexaffäre abgetreten; und dessen Vorgänger an der IWF-Spitze, der Spanier Rodrigo Rato, hat Strafverfahren wegen Veruntreuung und Betrug am Hals.

All diese Affären europäischer IWF-Direktoren bestärken die Schwellenländer nur in ihrem Anspruch auf die Fondsleitung. Das wiederum wäre ein Bruch mit der jahrzehntealten Tradition, dass die Weltbank von einem Amerikaner geleitet wird, der Währungsfonds von einem Europäer. Auch diese geopolitischen Erwägungen liegen nun in den Händen einiger Pariser Parlamentarier, die in einer überaus vertrackten Politaffäre Richter spielen sollen. (Stefan Brändle aus Paris, 12.12.2016)