Achtzig Prozent des Fleischverkaufs in Österreich laufen über den Lebensmittelhandel.

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Wien – Maria Stephan gibt nicht auf. Auch wenn die Kunden weniger wurden, die Delikatessengeschäfte, die sie belieferte, ausstarben und nahezu alle kleinen Mitstreiter rundum zusperrten. "Fange ich etwas an, dann bring' ich es auch zu Ende." Sie sei niemals vor etwas davongerannt. "Und solang' der Herrgott eben will", werde sie weiter hier, hinter der Wurst- und Fleischtheke, die Stellung halten.

Die zierliche Dame ist 78. Vor 58 Jahren stieg sie in die Fleischerei ihres Mannes ein, ein winziges Geschäft in Wien-Währing, das sie heute gemeinsam mit ihrem Sohn führt. Würste baumeln von weiß-gekachelten Wänden. Viele davon sind hausgemacht, nach Rezepten des Großvaters, der mit Chemie nichts am Hut hatte. Hinter der schlichten Vitrine ruhen Salzgurkerln neben Knödeln, Fleisch aus dem Waldviertel, Milch, Bier und Kracherln. Eier, Süßes, ein wenig Obst, Gefrorenes und drei Zwiebeln runden das Sortiment ab.

Branche am Boden

"Die Jugend kennt halt nur noch die Supermärkte", sagt Frau Stephan bar jeder Bitterkeit. Viele ernährten sich vegetarisch oder litten an sich flugs vermehrenden Allergien. Mitunter ziehe es Hobbyjäger in ihr Geschäft, die ihr Erlegtes zerlegt und verkauft haben wollten. Aber mit Leuten, denen es primär ums Schießen gehe, habe sie keine Freud. "Die sollen das arme Vieh lieber leben lassen."

Weit mehr als 2000 Fleischhauer tummelten sich einst in Wien. 150 sind es mittlerweile, wobei abseits von Kebabstandeln allein 40 bis 50 echte Fleischer seien, mit in Summe nicht mehr als 80 Filialen, rechnet Karl Schmiedbauer vor. Der Chef von Wiesbauer und Obmann des Verbands der Fleischwarenindustrie zählt mit tausend Mitarbeitern zu den größten seiner Zunft. "Die Branche liegt am Boden", sagt er, und es sei nur eine Frage der Zeit, bis auch die letzten darin Verbliebenen die Unternehmerfreude verlieren würden.

Das große Fleischersterben ist in Österreich Geschichte. Beendet ist der Strukturwandel deswegen aber noch lange nicht. Erst jüngst ließ Trünkel wissen, dass im April nach 111 Jahren Schluss sei. Verluste nach Umsatzeinbußen ließen keine Investitionen mehr zu. 98 Mitarbeiter sind betroffen. Neun Filialen schließen, zwei davon übernimmt Wiesbauer.

Rewe baut Produktion aus

80 Prozent des Fleischverkaufs laufen über den Lebensmittelhandel, der von Rewe und Spar dominiert wird. Spar ist mit sechs eigenen Werken größter Fleisch- und Wurstwarenerzeuger des Landes. Rewe betreibt fünf Produktionen, zwei kamen durch die Übernahme der Adeg hinzu. Der Standort Ansfelden wird Ende 2018 durch eine größere Fabrik in Eberstalzell abgelöst, bestätigt der Konzern.

Theoretisch könnten zwei Betriebe ganz Österreich beliefern, sagt Rudolf Menzl. Entsprechend massiv sei der Druck des Handels auf die Produzenten. Supermärkte bauten ihre Eigenmarken aus – Lieferanten würden infolge zusehends austauschbar. "Aber ist Geschmacksvielfalt nicht ein Kulturgut?", fragt der Fleischer aus dem Mostviertel, der seine Branche als Bundesinnungsmeister vertritt.

16 Industriebetriebe teilen sich derzeit das Geschäft, sechs davon gehören Spar. Dazu kommen quer durch Österreich 1330 gewerbliche Unternehmen. Auf dem Land könnten sich Fleischer durch eigene Schlachtungen noch ein bisserl von den großen Handelskonzernen abheben, ist Menzl überzeugt. Aber selbst in Städten wie Steyr gebe es heute nur noch einen einzigen Fleischhauer. In den besten Zeiten waren es 40.

Preispolitik der Ketten

"Österreichs Handel muss erkennen, dass er bald keine Partner mehr hat, die selbst produzieren", sagt Schmiedbauer mit Blick auf die Preis- und Einkaufspolitik der Ketten. Der Fleischkonsum hierzulande sinke leicht, der Umsatz mit demselbigen jährlich um 1,5 Prozent. Die Umsatzrendite der Betriebe betrage bestenfalls, wenn es hoch her gehe, ein bis eineinhalb Prozent. In der Regel sei das Geschäft aber ein Nullsummenspiel, das häufig in den roten Zahlen ende. Und die Hälfte des Absatzes werde mit Schnittwurst in immer kleineren Portionen erzielt. Großes Gewicht für die Kosten habe daher nicht der Preis für die Rohwaren – "denn die Menge wird weniger, in den Produkten steckt aber mehr Dienstleistung".

Wiesbauer betreibt neun eigene Filialen, Radatz 22. Feinkosthersteller Schirnhofer versuchte sich darin in Wien erfolglos. Was angenommen werde, seien weniger klassische Fleischereien als Bistros, sagt Schmiedbauer. "Schnellrestaurants auf Wienerisch eben."

Schlecht zu sprechen ist er auf vegetarische Würstel. In Brüssel will sein Verband mit internationaler Hilfe Druck ausüben: Wo Wurst draufsteht, müsse Fleisch drin sein. Entsprechende Debatten seien im Gange. Den Höhepunkt habe die fleischlose Wurst aber ohnehin hinter sich, ist sich Schmiedbauer sicher. "Denn der Mensch ist ein Raubtier. Er will – wenn auch in Maßen – beißen und nicht nur an Karotten knabbern."

Auch Maria Stephans Stammkunde Johann bleibt ihr seit Jahrzehnten wegen des Kümmelbratens und der Grammeln treu. Und weil er hier in Ruhe plaudern könne. "Ich lieb' das kleine Geschäft. In den Supermärkten hat zum Reden ja niemand mehr Zeit." (Verena Kainrath, 11.12.2016)