Den "Darsteller" seiner Videos kaufte Ed Atkins im Onlineshop für 3-D-Designer. Im Bild ein Still aus dem Video "Warm, warm, warm spring mouths" (2013).

Foto: Courtesy the artist, Cabinet, London and Isabella Bortolozzi Galerie, Berlin

Ehrfurchtgebietend ist die Trickkiste, auf die man in Hollywood heute zurückgreift. Keine Kompromisse werden eingegangen bei Computergrafiken und Special Effects, wenn wir "die Wirklichkeit vergessen" sollen, wie man sagt. Ganze Teams widmen sich allein der Simulation von Wasser, Rauch oder Haaren, Letztere sind dann auf hochaufgelösten "High Definition"-Bildern auch alle einzeln zu erkennen.

Wie schade ist es indes, dass diese modernen Zauberkräfte allzu selten so hinterfragt werden, wie sie es ob ihres doch gewaltigen Einflusses verdient hätten. So denkt man es sich spätestens, wenn man die Videos des Künstlers Ed Atkins sieht, die derzeit im Museum Castello di Rivoli bei Turin, dem Haus der Documenta-13-Chefin Carolyn Christov-Bakargiev, gezeigt werden. Die Arbeiten des 1982 geborenen Briten bedienen sich zwanglos bei der Ästhetik heutigen Kino- und TV-Screendesigns und führen dieses der Kunst zu respektive ad absurdum.

Nehmen wir etwa Trailer, diese kurzen Filmwerbungen, die oft aufwändiger produziert sind als die dazugehörigen Filme. In zugeschliffenem Timing, Schnitt, Sound bietet die Traumfabrik hier noch einmal alle Expertise auf, um in kürzester Zeit in die größtmögliche emotionale Tiefe vorzustoßen. Unvermeidlich die monumentalen Schriftzüge, die zu Paukenschlägen auf einen zuschweben, dass man gar nicht anders kann, als sie bedeutungsvoll zu finden: "In dieser Saison!" Ui.

Paukenschläge ins Nichts

Nun, "This season" prangt – in gebürsteten 3-D-Lettern und begleitet von einem Pistolenschuss – irgendwann auch in Ed Atkins' Video "Even Pricks" (2013). Allein: Da kommt nichts auf einen zu, der Knalleffekt zielt nur auf sich selbst. "Even Pricks", diese sehr vieldeutige, zwischen "Schmerzen", "Einstichen", "Pimmeln" und "Vollidioten" vermittelnde Wortverbindung, ist auch der Titel des scheinbar beworbenen Films. Oder jedenfalls schwebt sie einmal à la Peter-Pan-Titelbild majestätisch zwischen Wolken. Eigentlich fungiert sie nämlich als Platzhalter, um Klischees von Textinserts oder Vorspanndesign durchzuspielen.

Und eigentlich gibt es auch nur Fetzen von Dramaturgie und Inhalt. Hier stehen die Worte "we just / got home / from / work", effektvoll portioniert, zwischen eingefrorenen Splittern zerberstenden Glases; dort führt eine Kamerafahrt durch einen Fantasy-Dungeon. Atkins' trailerartig getimte und doch entschleunigte Bilder ergreifen rasch, werfen einen aber ebenso schnell wieder raus und führen letztlich nur im Kreis herum, fiebertraumartig.

Immersives Gewitter

Aus Bild- und Sound-Triggern wird ein Spießrutenlauf, der nicht zuletzt dank monumentaler Projektion fast körperlich wird. Die Dekonstruktion der Emotionserzeugung ist dabei aber nur die eine bemerkenswerte Leistung Atkins'. Bestechen können auch seine Inhalte. In den fünf großen Videoinstallationen die sich direkt unter dem Dach des Castello di Rivoli zum immersiven Gewitter verdichten, entfaltet sich eine eigenständige, latent beunruhigende und herrlich abstruse Poesie.

Immer wieder mag man diese ob ihres bitteren Humors vom Geist des großen tschechischen Animationsfilmers Jan Svankmajer durchweht finden. Was für selbigen jedoch Figuren aus Ton sind – Symbole für den Menschen an sich –, das ist für Atkins eine Figur aus dem Onlineshop für 3-D-Designer. Immer wieder taucht der markige No Name in seinen zerfahrenen Videos auf, um zu leiden, Whiskey zu trinken, mehr oder weniger hermetische Poesie herzusagen.

Eine entscheidende Pointe ist dabei der Kontrast zwischen der raubeinigen Erscheinung des muskulösen jungen Mannes und seiner emotionalen, vielleicht depressionsbedingten Zerbrechlichkeit: Wenn Atkins seinen zugleich so körperlichen und völlig körperlosen Protagonisten im Dreikanal-Video "Ribbons" (2014) Randy Newmans poröse Weltnummer "I think it's going to rain today" anstimmen lässt, dann läuft das auch auf eine Dekonstruktion von Männlichkeitsbildern hinaus.

Hirne, Eingeweide, Waffen

Für jene, die über die Feiertage in der Gegend sind, ist das Castello di Rivoli auf jeden Fall einen Besuch wert, nicht zuletzt freilich dank seiner Sammlung moderner Kunst seit den 1960er-Jahren, atmosphärisch untergebracht in den altehrwürdigen Räumlichkeiten. Eine weitere – nicht ganz so eindrucksvolle – Arbeit Ed Atkins' ist indes in der Fondazione Sandretto Re Rebaudengo in Turin zu sehen: In der Videoinstallation "Safe Conduct" (2016) nutzt Atkins seine HD-Bildgewalt, um Problematiken der Sicherheitskontrollen am Flughafen zu ironisieren. Zu Ravels "Boléro" klatschen etwa Hirne, Eingeweide, Waffen in die Scanner-Kisterln. Das ist zwar imposant, aber den Bruch im Pathos vermisst man hier dann doch zu sehr. (Roman Gerold aus Turin, 9.12.2016)