Es ist Aufgabe der EZB, an den richtigen Schrauben zu drehen.

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Carsten Brzeski ist Chefökonom bei der ING-DiBa.

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Bankkunden klagen über gestiegene Kosten, Verbraucher machen sich Sorgen um ihre Rente, und Banken sehen ihre Gewinne wegschmelzen. Und an allem soll nur eine schuld sein: die EZB. Seit der Krise von 2008 sind die Entwicklungen vieler Länder in der Eurozone geprägt von einem niedrigen Wirtschaftswachstum, niedriger Inflation, hohen Schulden und hoher Arbeitslosigkeit.

Während sich der Konsum in den vergangenen Jahren ein klein bisschen erholt hat, bleiben Unternehmensinvestitionen nach wie vor schwach. Die EZB führt daher nun schon seit Jahren eine Geldpolitik zur Stimulierung des Wirtschaftswachstums. Mit niedrigen und negativen Zinsen sowie unorthodoxen geldpolitischen Maßnahmen wie dem Ankauf von staatlichen und privatwirtschaftlichen Anleihen versucht die EZB alles, um die Wirtschaft über den Preis und die Menge von Krediten anzukurbeln.

Positive Wirkung ...

Und es funktioniert. In der Eurozone sah man in den letzten beiden Jahren eine rückläufige Entwicklung der Kosten für Kredite, eine Lockerung der Kreditbedingungen und einen Anstieg der Kreditnachfrage. Das hat sich positiv auf das Wirtschaftswachstum ausgewirkt. Darüber hinaus haben die niedrigen Zinsen und das Wirtschaftswachstum dazu geführt, dass die Verschuldung der Unternehmen und der privaten und öffentlichen Haushalte erträglicher geworden ist und gleichzeitig den Konsum angekurbelt hat. Normalerweise wird ein Aufschwung in der Eurozone vom Export angeführt. Dieses Mal ist es der Konsum, der durch niedrige Zinsen und niedrige Ölpreise Wachstumsmotor ist.

... allerdings nicht ohne Nebenwirkungen

Für EZB-Kritiker ist das allerdings alles zu wenig: Das Resultat rechtfertigt nicht die Mittel. Die Kritiker richten sich daher vielmehr auf die unerwünschten Nebenwirkungen der Geldpolitik, denn die gibt es zuhauf. Man denke dabei nur an den Kollateralschaden für Sparer – sowohl private als auch institutionelle. Für den normalen Sparer lohnt es sich kaum noch, das Geld auf dem Sparkonto zu lassen, man kann nicht mehr mit Zinszugewinnen rechnen. Daher müsste man im Augenblick eigentlich noch mehr sparen, um ehemals selbst festgelegte finanzielle Ziele in der Zukunft zu erreichen.

Dieses Phänomen lässt sich sehr gut am Beispiel der Altersvorsorge illustrieren. Denn klassische Altersvorsorgeprodukte wie Kapitalversicherungen und Banksparpläne setzen auf langfristigen Kapitalaufbau und den Zinseszinseffekt. Bei sinkenden Anlagerenditen verringert sich das Endkapital solcher Verträge deutlich – und damit auch der Umfang der Altersversorgung der Sparer. Das betrifft nicht nur private Verträge, sondern auch die betriebliche Altersvorsorge. Letztendlich kann es also zu Prämienerhöhungen oder geringeren Auszahlungen führen.

Kontraproduktiv wird die Geldpolitik der EZB auch für die Banken. Sie sind eigentlich nötig, um die lockere Geldpolitik in Form billiger Kredite weiterzugeben. Aber im Augenblick setzen die negativen und niedrigen Zinsen Gewinnmodelle von Banken unter Druck. Man sieht daher immer mehr Banken, die die negativen Zinsen an ihre Kunden weitergeben. Das passiert nicht in der Form von negativen Zinsen auf Sparkonten, aber durch Gebührenerhöhungen. Auf Konten, Geldkarten oder zuletzt auch Geldautomaten.

Wie sollten Verbraucher reagieren?

Über die EZB und die niedrigen Zinsen zu schimpfen, mag Spaß machen, hilft aber nicht. Verbraucher sollten ihr finanzielles "Schicksal" vielmehr in die eigenen Hände nehmen. Dabei kann man an einige Grundprinzipien denken: den Aufbau einer "eisernen Reserve", Tilgung geht vor Geldanlegen und den Aufbau einer zusätzlichen Altersvorsorge. Grundsätzlich müssen Verbraucher verstehen, dass jede, wirklich jede Rendite ein Risiko hat. Es gibt keine allgemeingültigen Lösungen. Jeder Mensch hat eigene Finanzpläne, abhängig vom Alter, Einkommen und der allgemeinen Lebensplanung.

Strukturelle Probleme der Eurozone

Wenn die EZB jetzt ihre lockere Geldpolitik stoppen würde, wäre dann alles besser? Nein. Erstens ist die Konjunktur in den meisten Staaten der Eurozone noch zu labil, um höhere Zinsen verdauen zu können. Es wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis die hohe Arbeitslosigkeit besiegt wird. Zweitens würden höhere Zinsen den Wechselkurs aufwerten und damit die Exporte, die jetzt schon unter einem schwächeren Welthandel leiden, weiter belasten. Und drittens hat die Politik der EZB grundlegende Probleme bei der Altersvorsorge und den Banken nur an die Oberfläche gebracht, aber nicht verursacht. Die Altersvorsorge steht durch den demografischen Wandel und abnehmendes Wirtschaftswachstum schon länger auf wackeligen Füßen. Genauso geht es vielen Banken, die sich verändertem Kundenverhalten, hohen Kosten durch Investitionen in digitale Infrastruktur, strengeren Auflagen und neuer Konkurrenz gegenübergestellt sehen.

Die EZB hat die aktuellen Probleme bei der Altersvorsorge, dem wenig interessanten Sparen und den Banken nicht verursacht. Wer die lockere Geldpolitik der EZB beenden möchte, sollte erst die strukturellen Probleme der Eurozone lösen. Warum macht es die Politik beispielsweise für Sparer nicht attraktiv, in Infrastrukturprojekte zu investieren? Warum wird den Bürgern bei der Altersvorsorge nicht mehr Eigenverantwortung gegeben? Warum steht niemand dazu, dass es die risikofreie Rendite nicht gibt? Warum werden Banken mit zu großen Problemen nicht den Marktmechanismen unterworfen und abgewickelt? Antworten auf die niedrigen Zinsen gibt es genug. Man muss sie nur suchen. (Carsten Brzeski, 12.12.2016)