Beim Internet der Dinge ist alles mit allem vernetzt. Daraus werden sich künftig ganz neue Services und Dienstleistungen ergeben, die Teil des physischen Produkts sind.

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Digitalisierung nicht per se auslagern: Elgar Fleisch.

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STANDARD: Beim Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) wird jeder Gegenstand – für den Menschen oft unsichtbar – mit Minicomputern ausgestattet. Damit werden Prozesse ganz neu messbar, aber bringt das wirklich so viel wie erhofft?

Fleisch: Wie alles hängt es natürlich von der Anwendung ab. Wir wissen aus der Betriebswirtschaftslehre, dass man nur managen kann, was man auch messen kann. Und da man mit diesen Minicomputern sehr feingranuliert messen kann, wird viel Neues möglich. Wir müssen oft noch herausfinden, so es einen Sinn macht.

STANDARD: Was erwarten Sie bei industriellen Produktionsprozessen?

Fleisch: Da die Maschinen frühzeitig spüren, wenn ihnen "was fehlt" oder wenn etwas schief läuft, können sie sofort nach Hilfe rufen und andere, verwandte Maschinen vorwarnen. Die Maschinen lernen voneinander. Allein dies ist schon ein großer Vorteil von Industrie 4.0.

STANDARD: Das klingt nach interessanten Anwendungen besonders für die Medizin.

Fleisch: Ja, da erwarte ich mir unglaubliche Dinge, insbesondere bei der Therapie. Die großen, chronischen und mentalen Krankheiten wird man aufgrund der neuen Technologien viel besser und zudem kostengünstiger behandeln können als bisher.

STANDARD: Stimmt der Eindruck, dass es bei Internet 4.0 nicht so sehr zu neuen Produkten als zu neuen Prozessen kommt?

Fleisch: Nein, es geht tatsächlich um das gesamte Paket. Bei diesen Geschäftsmodellen wird jeder Hersteller neue Produkte und Services anbieten, die aus einem physischen und einem digitalen Teil bestehen. – Das Nutzenversprechen ehemals rein physischer Produkte wird erweitert, und zwar um digitale Dienstleistungen. Aus einer LED-Leuchte wird eine Alarmanlage. Aus einem Mobiltelefon ein Diagnosewerkzeug, aus einer Kiste ein Wiederbestellsystem etc. Ich denke, dass es in der Industrie in wenigen Jahren kaum mehr den Verkauf von rein physischen Sachen geben wird.

STANDARD: Haben Sie ein Beispiel?

Fleisch: Natürlich die Autoindustrie, da ist dies schon länger zu beobachten. Man kauft sich schon des längeren kein Auto mehr, das nur fährt. Man will auch all die elektronischen Helferlein wie Navi, Notruf, Concierge Service, integrierte Parkplatzsuche und Einparkhilfe. Das sind heute zum Teil schon Selbstverständlichkeiten und wird noch mehr.

STANDARD: Sie sehen bei dieser Entwicklung die große Herausforderung, dass die Maschinen, also die Hardware, aus Europa kommt und der digitale Anteil mit Google, Facebook etc. aus den USA?

Fleisch: Ja. Das ist ja schon heute so: Im täglichen Leben verwenden wir fast ausschließlich digitale Services aus den USA. Und gleichzeitig gibt es viele europäische Produkte mit Weltruf. Von der Werkzeugmaschine über die Küchenmaschine bis hin zum Auto. Europa hat das Glück, noch nicht auf die industrielle Produktion verzichtet zu haben. Die USA haben vieles ausgelagert. Und jetzt ist es so, dass mit dem IoT diese zwei Welten verschmelzen.

STANDARD: Sie sehen darin eine gefährliche Entwicklung?

Fleisch: Wir sind jetzt in der Phase, dass sich jede Firma in Europa – und damit auch in Österreich – überlegen muss: Was ist für mich relevant? Ein Teil dessen, was meine Kunden kaufen werden, wird digital sein. Da muss ich also neue Leute einstellen und digitale Kompetenzen aufbauen – oder ich kann das an eine IT-Firma geben, die das für mich macht.

STANDARD: Also Auslagerung?

Fleisch: Ich plädiere sehr stark dafür, dass Führungskräfte sich gründlich überlegen, was künftig die Kernkompetenz ihres Unternehmens ist. Und dass sie nicht alles Digitale auslagern, sondern im Zweifel selbst machen. Ich kenne zahlreiche erfolgreiche Unternehmen, die sich nicht auf externes digitales Know-how verlassen, sondern die Digitalisierung ihrer Produkte selbst machen. Denn die Datenthematik ist beim IoT natürlich zentral: Wer die Daten hat, hat das Geschäft. Und es ist nicht sicher, wer künftig besser verdient: der physische oder der digitale Teil meines Produktes.

STANDARD: Sehen Sie das nicht sehr streng?

Fleisch: Nein. Denn es geht heute nicht mehr primär darum, wie man mit SAP Geschäftsprozesse schlanker und schneller macht. Beim Internet of Things wird die digitale Welt integrativer Teil des Produkts, und das kann und soll man nicht trennen. Ich möchte es sogar noch radikaler formulieren: Das ist eine große Chance für Europa. Denn wir sind immer noch Produktionsweltmeister, haben viel Produktions-Know-how. Bei diesem Digitalisierungsprozess ist Europa deshalb gut aufgestellt. (Johanna Ruzicka, 7.12.2016)