Es wäre vermessen, die Bedeutung der Volksabstimmung in Italien und der Präsidentenwahl in Österreich miteinander zu vergleichen. Trotz Unterschieden in der Größenordnung der beiden Länder und bei den Themen gab es laut Meinungsumfragen doch einen gemeinsamen roten Faden bei den Motiven, die zum Teil die Niederlage Matteo Renzis und den überraschend klaren Sieg Alexander Van der Bellens erklären: die Angst der Mehrheit vor den Hasardeuren. Laut Duden ist der Hasardeur "jemand, der verantwortungslos handelt und alles aufs Spiel setzt".

Im Falle Renzis sehen die meisten Beobachter den Grund für den Sieg des Neins bei der Personalisierung der Referendumsfrage zur Verfassungsreform. Es ging nicht mehr um die Reform des Zweikammersystems, sondern um das persönliche Schicksal eines ehrgeizigen und abgehobenen Politikers, der feierlich (und völlig überflüssig) angekündigt hatte: "Bei einem Nein trete ich zurück." Von der extremen Rechten bis zu den Linken und den Populisten des Komikers Beppe Grillo spielte man auf der Klaviatur der Angst vor dem kommenden "starken Mann" Matteo Renzi.

In Österreich ging es im Grunde nicht nur um die Person des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer, sondern auch um die ganze außenpolitische Linie des Kandidaten und seiner Partei. Die Angst um den Platz und um die Zukunft eines kleinen neutralen Staates in einer aus den Fugen geratenen Welt, vertreten möglicherweise von einem Mann, der die EU-Wirtschaftssanktionen gegen Moskau ablehnt, die Annexion der Krim bejaht, die Unabhängigkeit des Kosovo verurteilt und zugleich sich als Vermittler zwischen Washington und Moskau anbietet, der mit einem EU-Austritt kokettiert hat, der sich damit brüstet, dass er nach "einem sehr freundschaftlichen Gespräch" die Handynummer mit Viktor Orbán ausgetauscht hat, war völlig gerechtfertigt. Der Aufruf der 40 österreichischen Diplomaten, geführt von solchen überparteilichen Persönlichkeiten wie Albert Rohan und Hans Winkler, im krassen Gegensatz zu den Hofer-freundlichen Tönen in den regierungsnahen Medien Russlands und Ungarns und der Auftritt von solchen international beachteten bürgerlichen Persönlichkeiten wie Erhard Busek, Franz Fischler und Othmar Karas haben zur überfälligen Ernüchterung im ÖVP-Lager beigetragen.

Umso überraschender wirkte das auffallende Schweigen des österreichischen Europaministers inmitten der Kontroversen um den künftigen Europakurs Österreichs und angesichts der scharfen Angriffe der FPÖ-Politiker gegen Angela Merkel, "die gefährlichste Politikerin Europas". Das Schweigen in Wien, aber ein lautstarker Auftritt in der mazedonischen Hauptstadt Skopje zugunsten einer skandalumwitterten und autoritären Regierungspartei wurden von dem angesehenen Balkanexperten Florian Bieber als "schändlich" und von der der Süddeutschen Zeitung als "niederschmetternd" bezeichnet.

Für Bruno Kreisky, Alois Mock und Wolfgang Schüssel war die Außenpolitik ein "Fulltime-Job". Vielleicht sollte der laut Umfragen populärste Politiker Österreichs die richtigen Schlüsse aus der Präsidentenwahl und dem Schicksal Renzis ziehen. (Paul Lendvai, 5.12.2016)