Foto: Sascha Aumüller
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Paviane haben in Uganda den denkbar undankbarsten Job. Mit ihren roten Hintern sind sie nichts weiter als lebendige Stoppschilder für Menschen, die ausschließlich Menschenaffen sehen wollen. Oder wie soll man den Hinweis der Nationalpark-Rangerin Jennifer Nsebe anders deuten: "Seht ihr da hinten den Pavian leuchten? Roter Popsch bedeutet für uns stopp. Wir lassen den Jeep stehen, die Paviane links liegen, gehen rechts in den Wald hinein, und dann bekommt ihr so schnell wie möglich eure Schimpansen!" Gesagt, getan.

Die Wanderschuhe der sechs Europäer berühren noch kurz die karminrote afrikanische Erde der Straße durch den Kibale-Nationalpark, machen wie geheißen ein paar Schritte nach rechts ins tausendfache Grün und tauchen ein in den dichten Dschungel, der schon nach wenigen Metern waldeinwärts kaum mehr Sonnenlicht durchlässt.

Für die vielen Paviane interessiert sich kaum jemand in Uganda. Sie dienen höchstens als lebendige Orientierungspunkte entlang der Straße.
Foto: Sascha Aumüller

Schimpansen in freier Wildbahn zu begegnen ist überhaupt nur in einer Handvoll afrikanischer Länder möglich. Im Westen Ugandas, an der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo, stehen die Chancen besonders gut: 1.450 Schimpansen leben in diesem knapp 800 Quadratkilometer großen Gebiet. Aber diese Primaten können auch zickig sein, wie Jennifer Nsebe versichert. Ist ihnen der Waldboden nur eine Spur zu feucht, verkriechen sie sich in die Baumkronen; treten ihnen die Wanderschuhe nur eine Spur zu laut auf, kann das ebenfalls den Rückzug ins uneinsehbare Dachgeschoß des Dschungels bedeuten.

Störende Verwandtschaft

1450 Schimpansen leben im Kibale-Nationalpark in ihrem natürlichen Umfeld, dem afrikanischen Regenwald.
Foto: Sascha Aumüller

Die sechs nächsten Verwandten der Schimpansen aus Europa haben an diesem Tag aber Glück: Nach nur 500 Metern trabt bereits ein Opa mit gehörigen Geheimratsecken über den dunklen Waldboden auf die Wandersleute zu. Zögerlich zunächst, aber alsbald versehen mit der Abgebrühtheit des Alters. "Das Alpha-Tier", sagt Nsebe, "Opi checkt die Lage ab, wer stört." Denn natürlich stören die Verwandten durch ihren Besuch, wird er nicht lange genug im Voraus angekündigt: Über einen Zeitraum von sieben Jahren muss ein Ranger täglich zu den Schimpansen gehen, damit sie den Anblick von Menschen überhaupt ertragen, deren Anwesenheit dulden. Und diese Primaten sind auch Rassisten.

"Ich kam ein einziges Mal mit einer Gruppe von schwarzen Touristen in den Wald", erzählt Nsebe. "Da haben die Tiere sofort die Flucht ergriffen." Die einfache Logik der Schimpansen: Wer schwarz ist und mir völlig unbekannt, kommt, um mich zu töten. "Ich hoffe, deren Erinnerung erlischt irgendwann wieder", sagt Nsebe. Denn die Leute rund um den Kibale-Park hätten schon vor langer Zeit damit aufgehört, Schimpansen zu erschießen.

Viele Arten

Die Ranger sind wie überall in Uganda auch im Kibale-Nationalpark mit Gewehren ausgestattet. Allerdings nicht, um sich gegen Wilderer zu verteidigen. "Eine Elefantenspur", sagt Nsebe und deutet auf einen Abdruck unter trockenem Laub. Darauf tänzelt ein handtellergroßer Schmetterling. 250 Arten dieser Insekten soll es in diesem Wald mit 350 verschiedenen Baumarten geben. Taucht zwischen den Bäumen ein Elefant auf, reicht meist ein Warnschuss in die Luft, und die Tiere suchen das Weite.

Menschen interpretieren gerne Menschliches in das Verhalten der Schimpansen. Kein Wunder bei einer fast 99-prozentigen Übereinstimmung des genetischen Materials.
Foto: Sascha Aumüller

Die Gruppe der sechs Wanderer ist unterdessen dem Alphatier einer 15 Mitglieder zählenden, losen Schimpansen-Gruppe gefolgt. Die Hosenbeine haben sie in ihre Stutzen gesteckt, um den aggressiven Waldameisen nicht freien Eintritt zu ihren Waden zu ermöglichen. Doch der vier Jahre alte Schimpanse, der nun auf einer Lichtung im Gras vor den Menschen hockt und sich ein paar Sonnenstrahlen auf den Pelz brennen lässt, kann das nicht. Ein älteres Tier kommt und vertreibt die Ameisen mit einem Wischen der Hand, das so aussieht, als würde beiläufig eine Bundfaltenhose glattgestrichen werden.

Artgenossen

Menschliches Verhalten – das interpretieren die Beobachter auf diesem Waldspaziergang immer wieder in die Gesten und Blicke der Schimpansen hinein. Eine fast 99-prozentige Übereinstimmung des genetischen Materials und die zehn Jahre andauernden Beobachtungen, die Wissenschafter im Wald von Kibale gemacht haben, machen das nachvollziehbar: Will eine Gruppe von Schimpansen einer anderen Gruppe Territorium abluchsen, schrecken sie nicht davor zurück, sich vorübergehend zu Banden zusammenzuschließen und Artgenossen zu töten.

Auch wie undankbar der Job der Paviane als Wegweiser zu den Schimpansen wirklich ist, wird nun klar. "Schimpansen sind Flexitarier, ernähren sich vorwiegend pflanzlich, bekommen hie und da aber Lust auf Fleisch. Wir haben beobachtet, wie sie die Paviane regelrecht foltern, bevor sie sie töten und fressen", sagt Nsebe.

Der Queen-Elizabeth-Nationalpark zwischen den Seen Edward und George.
Foto: Sascha Aumüller

Gut 100 Kilometer weiter südlich, zwischen den Seen Edward und George, liegt der Queen-Elizabeth-Nationalpark. Bei dessen Umbenennung haben sich wiederum die Ugander fast schon als übertrieben dankbar gegenüber der britischen Krone erwiesen. Denn eigentlich hatte der seit 1952 bestehende Park bereits einen Namen: Kazinga. Doch als sich Queen Elizabeth II auf dem Weg zu einem Begräbnis in Großbritannien für einen Zwischenstopp samt Safari in ihrem Protektorat entschloss – Uganda war nie britische Kolonie – wurde er kurzerhand unbenannt. Das war 1954, acht Jahre vor der Unabhängigkeit des Landes.

Direkt auf der Piste

Am Straßenrand tummeln sich wieder Paviane und machen ihren Job als lebendige Orientierungspunkte. "Seht ihr den kleinen Grauen da vorn?", fragt der Fahrer des Minibusses. "Dahinter kommt etwas größeres Graues." Eine Herde Elefanten hat sich ins grasgrüne Bild des Buschlands gedrängt, und zwar so nahe an der Straße, dass Fotografen aufpassen müssen, dass sich kein Lkw in das sonst makellose Elefanten-Bild schummelt. Nur wenige Minuten später muss der Fahrer dann Obacht geben, keine Löwen zu überfahren. Ein zerzaustes Männchen hat sich direkt auf die Piste gelegt, um sich nur ja nicht das Fell feucht zu machen. Die Tierbeobachtung ist in Uganda wirklich aus jedem Minibus möglich.

Elefanten trampeln durch die Vorgärten einer Siedlung am Queen-Elizabeth-Nationalpark.
Foto: Sascha Aumüller

Die Löwen verfolgen in diesem Land übrigens dieselbe Strategie wie Schimpansen: Vor den kurzen, aber heftigen Güssen der kleinen Regenzeit im November flüchten sie in die Bäume. Grundsätzlich besitzen alle Löwen die Fähigkeit zu klettern, aber angeblich tun sie es nur in Uganda. Deshalb sind sie auch weit über die Grenzen hinaus als sogenannte Baumlöwen bekannt. Und später, bei einer Schifffahrt auf dem Kazinga-Kanal, der den Edward- mit dem George-See verbindet, werden die Europäer dann auch ungläubig auf Flusspferde starren, die auf einer dicht bevölkerten Lagune mit Krokodilen und Marabus zu kuscheln scheinen. Alles Launen der Natur in diesem Land, die selbst erfahrene Ranger mit einem Achselzucken unerklärt lassen.

Löwen klettern in Uganda auf Bäume, wenn ihnen das Gras zu nass ist.
Foto: Sascha Aumüller

Mit Ausnahme der in Uganda ausgerotteten Nashörner können in dem Land alle großen afrikanischen Tiere bewundern werden. So mancher Europäer wird sich also fragen, warum sich Ugandas Langzeitpräsident Yoweri Kaguta Museveni erst 2015 dazu entschlossen hat, sein herrliches Fleckchen afrikanischer Erde mehr Menschen zu zeigen. Seit vergangenem Jahr ist die Tourismusentwicklung Chefsache und mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet. Doch es gibt auch Aspekte, die dem Wachstum entgegenstehen: etwa die in Uganda ausgeprägte und gesetzlich verordnete Homophobie. Gleichgeschlechtliche Beziehungen können in Uganda mit bis zu lebenslänglicher Haft bestraft werden.

Im Dreiländereck der Berggorillas

Die beiden alten Pavianmännchen auf dem Parkplatz vor dem Bwindi-Nationalpark im äußersten Südwesten des Landes zeigen jedenfalls keine Aversion gegen schwulen Körperkontakt. Sie lausen sich gerade gegenseitig. Aber vielleicht haben sie ja etwas gegen die Berggorillas, denn einmal mehr sind die Wanderer nicht wegen der Paviane gekommen. Die weltweit letzten 800 Berggorillas leben in dem gebirgigen Regenwald dieses Dreiländerecks.

Auf den steilen Berghängen rund um den Bwindi-Nationalpark wird unter anderem Kaffee und Tee angebaut.
Foto: Sascha Aumüller

Silberrücken im Blick

"Danke, dass Sie nicht nach Ruanda oder in den Kongo gefahren sind", sagt denn auch ein Ranger des Bwindi und preist die ugandischen Gorillas an. Eine unscheinbare Infotafel neben dem Ranger gibt Anlass zur Hoffnung, dass die stark bedrohte Art nicht ausstirbt. Schon zweimal wurde die auf der Tafel vermerkte Größe der Population in Uganda mit einem dicken Filzstift nach oben korrigiert: von zuerst 400 auf 440, und dann auf 480. Die Gorillas im Bwindi, der seit 1994 zum Unesco-Weltnaturerbe zählt, haben in letzter Zeit öfter Nachwuchs bekommen.

Die Population der Berggorillas in Uganda ist von zuletzt 440 auf derzeit vermutlich 480 angewachsen.
Foto: Sascha Aumüller

Die Horrorgeschichten von Gewaltmärschen, die nötig sind, um die Tiere zu sehen, erweisen sich an diesem Tag als unbegründet. Nach nur einer Dreiviertelstunde, die anmutet wie ein Spaziergang durch den weiter östlich gelegenen botanischen Garten von Entebbe, wo die "Tarzan"-Filme mit Johnny Weissmüller gedreht wurden, geht es los: Schon bald entpuppen sich die beiden Schatten im Dickicht als ausgewachsene Silberrücken. Der eine, ein wenig schütter um den Scheitel, würdigt die Wanderer keines Blicks und ist ausschließlich mit dem Strecken jeder einzelnen Zehe des linken Fußes in divergierende Richtungen beschäftigt. Der andere – er hat vor wenigen Monaten das Amt des Alphatieres vom Zehenakrobaten übernommen – steht Schmiere.

Für Nachwuchs ist gesorgt

Nachdem ein Ranger mit der Machete durchs Geäst gefegt ist, wird auch Gewissheit, was die Infotafel ankündigt hat: Zwei Weibchen halten je ein Jungtier in ihren Armen, Nachwuchs! Das bedeutet auch Nachschub für den Hunger der Primatenbeobachter sowie die Tourismusoffensive des Präsidenten. Denn derzeit dürfen insgesamt nur 72 Tiere der gesamten Population von Wandergruppen mit maximal acht Teilnehmern besucht werden, den übrigen Gorillas lässt die Parkverwaltung ihre Ruhe. Die Habituierung, also die Gewöhnung an den Menschen, geht schneller als bei den Schimpansen. Nach rund einem Jahr akzeptieren Berggorillas Verwandtenbesuche dieser Art.

Eine Berggorilla-Gruppe im Bwindi-Nationalpark: Zu sehen sind ein Silberrücken und eine Gorilla-Dame mit Nachwuchs.
derStandard.at

Wieder unten im Tal angekommen, sorgen die Paviane auf dem Parkplatz sogar vor den Augen der Wanderer und proaktiv für Nachwuchs, doch keinen interessiert's. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit? Bestimmt, denn der afrikanische Urwald lebt von der Vielfalt. Oder wie es ein ugandisches Sprichwort treffend formuliert: "Kennt man die Bäume nicht, behandelt man sie alle wie Feuerholz." (Sascha Aumüller, Rondo, 10.12.2016)