Mehr als 60-mal hat es in Italien seit dem republikanischen Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Regierung oder einen neuen Ministerpräsidenten gegeben – und häufig war der Anlass für den Rücktritt des jeweiligen Regierungschefs nichtiger als jener von Matteo Renzi in der Nacht auf Montag, als er die Verantwortung für das Scheitern "seines" Verfassungsreferendums übernahm. Regierungskrisen sind in Italien – flapsig gesagt – fast schon part of the game.

Wie so oft wird es der Staatspräsident sein müssen, der nun mit Besonnenheit einen Weg zeigt, statt in populistischen Aktionismus zu verfallen. Diesen hat nicht nur die von Beppe Grillo angeführte Opposition, sondern auch Premier Renzi an den Tag gelegt.

Mehrere Optionen

Sergio Mattarella hat durchaus mehrere Optionen, um Italien nicht noch tiefer im Chaos versinken zu lassen, als es ohnehin schon fast gewohnheitsmäßig der Fall ist. Die erste Möglichkeit ist jene, Renzi unmittelbar mit einer neuerlichen Regierungsbildung zu beauftragen und diesen im Parlament eine Vertrauensabstimmung abhalten zu lassen. Die sollte er einigermaßen leicht gewinnen können, denn es hat sich ja nichts geändert an den Mehrheiten in Abgeordnetenkammer und Senat (der nun nicht degradiert wird). Formal ist diese Variante möglich, fraglich ist aber, ob sie denn auch politisch im Sinne der Kalmierung der Gemüter – immer ein wichtiger Faktor in der italienischen Politik – klug wäre.

Die zweite Option wäre, das Kabinett umfassender umzubauen und Finanzminister Pier Carlo Padoan oder aber Senatspräsident Pietro Grasso zum neuen Regierungschef zu machen. Vor allem Grasso könne als Signal verstanden werden, um den populistischen Spin der vergangenen Monate endlich wieder einzubremsen. Grasso gilt gemeinhin als glaubwürdiger Vermittler zwischen den Polen. Das wäre wohl die kurzfristig politisch klügere Variante, um Italien wieder in ruhigeres Fahrwasser zu bringen.

Keine unmittelbare Neuwahl

Was Präsident Mattarella auf alle Fälle vermeiden will, sind überstürzte Neuwahlen. Doch zu diesen wird es ohnehin nicht so schnell kommen. Will Italien wirklich mit einem neuen Wahlrecht an den Start gehen, wie es seit Jahren der Wunsch der Mehrheit ist, dann muss dieses erst einmal realisiert werden. Also wird es wahrscheinlich keinen Urnengang vor dem Herbst 2017 geben. Da aber die Legislaturperiode ohnehin im Frühjahr 2018 endet, wäre jetzt mit massivem Druck in Sachen Neuwahlen ohnehin nicht allzu viel gewonnen – sieht man von rein parteipolitischen Effekten einmal ab.

Die Probleme bleiben

Egal, wann tatsächlich gewählt wird, und egal, ob dann der Premier wieder Renzi heißt oder sich jemand von Grillos Fünf-Sterne-Bewegung durchsetzt: Nicht ein einziges Problem Italiens wird damit gelöst sein. Italien – das hat auch Renzi erkannt und danach, wenngleich unglücklich, gehandelt – muss dringend und im großen Stil reformiert werden. Die Staatsverschuldung steigt seit Jahren und liegt bereits deutlich über 2.000 Milliarden Euro. Es deutet nichts darauf hin, dass der Trend umgekehrt werden könnte. Das allein schon stellt eine massive Gefahr nicht nur für Italien, sondern für die gesamte EU dar. Es wäre wohl besser gewesen, Renzi hätte von der Bevölkerung das Pouvoir erhalten weiterzumachen. Doch nun wurde auf einem im Wesentlichen guten Weg viel Zeit verloren – im besten Fall. Im schlechtesten Fall droht Europa ein Problem, zu dem Griechenland im Vergleich leicht zu managen war. (Gianluca Wallisch, 5.12.2016)