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Ungewisse Zukunft für Reinhold Mitterlehner (ÖVP).

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Christian Kern (SPÖ) hat (noch) ausgezeichnete Werte.

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Wäre nicht die Stichwahl aufgehoben und deren Wiederholung verschoben worden, gäbe es jetzt möglicherweise Neuwahlen. So aber ist der 4. Dezember für die Entscheidung zwischen dem Grünen Alexander Van der Bellen und dem Freiheitlichen Norbert Hofer reserviert. Eine allfällige Vorverlegung der Nationalratswahl, deren regulärer Termin erst 2018 vorgesehen wäre, könnte daher frühestens im Frühjahr 2017 einen Termin finden, ganz konkret ist etwa der dritte Sonntag im Mai im Gespräch.

Und jede Woche, in der die Koalition weiter murkst und streitet, macht einen Termin im Frühjahr 2017 wahrscheinlicher. Dass es in der Regierung nicht läuft, hat der neue Bundeskanzler Christian Kern, der sein Amt im Mai 2016 angetreten ist, relativ rasch erkennen müssen.

Es war zwar nicht seine Absicht, das Land möglichst schnell in Neuwahlen zu führen, aber auch er musste den Realitäten ins Auge sehen: Möglicherweise wäre eine Neuordnung der politischen Situation besser, als so weiterzuwurschteln wie bisher. Mit Reinhold Mitterlehner hat Kern zwar einen Vizekanzler und ÖVP-Chef als Gegenüber, dem eine konstruktive Regierungsarbeit ein ehrliches Anliegen wäre, allerdings hat der seine Partei nicht so weit im Griff, dass er das garantieren könnte.

Die ÖVP ist gespalten. Auch in das Lager jener, die Hofer für den besseren Kandidaten halten, und der anderen, die Van der Bellen unterstützen. Wobei die Van-der-Bellen-Fans die lauteren und die sichtbaren waren, während es nur relativ wenige gibt, die sich offen für Hofer deklarieren. Hört man aber etwas tiefer in die Volkspartei hinein, zeigt sich ein anderes Bild – möglicherweise eine klare schwarze Mehrheit für Hofer.

Die ÖVP ist aber auch gespalten in jene, die mit Mitterlehner die Legislaturperiode mit Anstand zu Ende bringen wollen, und jene, die die Hoffnung längst fahren lasen haben, die Koalition mit der SPÖ rasch beenden und dann etwa Neues wagen wollen. Mit neuem Personal – das wäre dann wohl Sebastian Kurz, wie sehr er sich auch noch dagegen wehrt. Und mit neuen Konstellationen – das wäre dann wohl nicht die SPÖ. Eher die FPÖ.

Neuwahlflügel

Wenn man auch in dieser Frage etwas tiefer in die Volkspartei hineinhört, wird man feststellen, dass der Neuwahlflügel längst eine Mehrheit gebildet hat. Die Abneigung der SPÖ gegenüber – bei manchen kann man von einer aufrichtigen Feindschaft sprechen – war immer vorhanden. Und sie ist in den vergangenen Jahren noch gewachsen.

Wenn man nicht davon ausgeht, dass die ÖVP eine realistische Chance hat, stimmenstärkste Partei zu werden – und das kann man nicht, auch nicht mit Sebastian Kurz -, dann erscheint vielen Schwarzen die Rolle eines Juniorpartners unter Heinz-Christian Strache die weniger schmerzvolle Demütigung zu sein, als weiter an die SPÖ gekettet zu sein.

Die Widerstände gegen die Regierungsarbeit in Wien gehen in erster Linie von den schwarzen Bundesländern aus, allen voran Niederösterreich, wo Erwin Pröll mit einer Mehrheit herrscht, und Oberösterreich, wo Landeshauptmann Josef Pühringer schon die Konsequenzen gezogen und sich die FPÖ als Koalitionspartner in die Landesregierung geholt hat. Genau dieses Störfeuer aus den Ländern macht Kanzler und Vizekanzler so zu schaffen. Ob Finanzausgleich, Bildungspolitik oder Mindestsicherung: Es sind die Länder, die gesamtheitliche Lösungen blockieren oder lachhafte Kompromisse erzwingen.

Alternativen

Wer auch immer den ersten Schritt Richtung Neuwahlen setzt, muss sich fragen, was dann besser werden soll. Die ÖVP müsste sich damit abfinden, wieder Juniorpartner zu sein, ob unter Rot oder Blau. Oder es stünde seit 30 Jahren das erste Mal wieder der Gang in die Opposition an. Aus schwarzer Sicht kaum vorstellbar.

Die SPÖ hat mehr zu verlieren: das Kanzleramt. In den Umfragen liegt die FPÖ derzeit deutlich über 30 Prozent an erster Stelle, und das stabil. Dennoch rechnen sich die SPÖ-Strategen eine 50:50-Chance aus, entgegen aller Umfragen noch einmal Erster werden zu können – dank Kern, der (noch) ausgezeichnete Werte hat. Und der weiß: Je länger er mit dieser Regierung herumnudelt, umso stärker nützt er sich persönlich ab.

Seine neue Strategie, auf die FPÖ zuzugehen, zielt weniger darauf ab, eine rot-blaue oder gar eine blau-rote Koalition vorzubereiten, als um jene Wähler zu werben, die aus Frust FPÖ wählen, aber keine eingefleischten Freiheitlichen sind. Ihnen will der SPÖ-Chef sowohl atmosphärisch als auch inhaltlich ein Angebot machen. Dann sollten, so die Überlegung, 30 Prozent plus zu machen sein. Sonst ist die Opposition eine ernsthafte Alternative.

Der Ausgang der Bundespräsidentenwahl wird darauf nur bedingt Einfluss haben. Gewinnt Hofer, würde das seine Wähler nicht davor abschrecken, das nächste Mal Strache zu wählen und so die Macht für die FPÖ mit den Ämtern Bundeskanzler, Bundespräsident und Nationalratspräsident zu bündeln. Die alte Faustregel, dass ein roter Kanzler einen schwarzen Bundespräsidenten oder eben koalitionär gegengleich wahrscheinlich macht, gilt in diesem Fall nicht, da kein Kandidat einer Koalitionsregierung zur Verfügung steht.

Kurzer Dämpfer

Wird dagegen Van der Bellen als Bundespräsident angelobt, hätte das ebenfalls keine großen Auswirkungen: Der Dämpfer einer Wahlniederlage würde für die FPÖ wohl nur von kurzer Dauer sein. Andererseits gilt Van der Bellen, auch dank der Unterstützung von Grünen, Neos, SPÖ und Teilen der ÖVP, als der Kandidat des Establishments. Das mobilisiert im Gegenzug jenes blaue Stammpublikum, das sich sowieso nicht gehört fühlt und sich durch einen grünen Bundespräsidenten in seiner Stimmungslage, seinen politischen Wertvorstellungen und Ansprüchen ausgegrenzt sieht.

Der Einfluss des Bundespräsidenten auf das nächste Wahlergebnis wird also bescheiden sein. Es wird vor allem an den Regierungsparteien liegen, unter welchen Umständen sie Neuwahlen argumentieren können. Dass alle sich um die Gunst des derzeitigen freiheitlichen Publikums bemühen, lässt jedenfalls einen Wahlkampf erwarten, vor dem man sich getrost fürchten darf. (Michael Völker, 3.12.2016)