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Die vielbeschriebenen Wähler im sogenannten Rust Belt in den USA haben überdurchschnittlich häufig Trump gewählt. Nicht jeder der einst gut bezahlten, mittlerweile verlorengegangenen Industrie-Jobs ist aber jetzt nach China gewandert. Viele werden heute von Maschinen gemacht.

Foto: Reuters/Thayer

Die Folgen der Globalisierung erforscht die politische Ökonomin Stefanie Walter an der Universität Zürich ebenso wie die Frage wer die Gewinner und die Verlierer sind und wie sich das auf das Wahlverhalten auswirkt. Die Rechtspopulisten werden häufiger von Leuten gewählt, die eine niedrigere Bildung haben und die Routinetätigkeiten ausüben. Die Automatisierung habe weit mehr Jobs vernichtet, als die Globalisierung. Die untere Mittelschicht wehre sich derzeit effektiv gegen Abstiegsängste, indem sie etwa für Brexit oder für Trump stimme.

STANDARD: Sie haben sich in 16 Ländern angeschaut, wer von der Globalisierung profitiert und wer verliert. Gab es Überraschungen?

Walter: In allen Ländern sind Hochgebildete, die in internationalisierten Sektoren arbeiten, die absoluten Gewinner: Programmierer im Silicon Valley oder Mitarbeiter in sehr spezialisierten Firmen in Österreich oder in der Schweiz. Unter Druck sind jene, die auch in sehr exponierten Berufen arbeiten, aber niedrig qualifiziert sind. Die Textilindustrie oder Teile der verarbeitenden Industrie sind etwa abgewandert. Ein großer Anteil der Bevölkerung arbeitet aber immer noch in geschützten Sektoren, wie Ärzte, Altenpfleger, Lehrer.

STANDARD: Sie haben erforscht, wie sich das auf das Wahlverhalten auswirkt. Was kam heraus?

Walter: Durchschnittlich wählen Globalisierungsgewinner eher liberale und konservative, Verlierer eher linke Parteien. Rechtspopulisten werden häufiger von Leuten gewählt, die eine niedrigere Bildung haben. Da macht es keinen Unterschied, ob sie in geschützten Sektoren oder in exponierten Berufen arbeiten. Eine große Rolle spielt, wie stark die Routinetätigkeit ist. Leute, die eine solche ausüben, wählen eher Rechtspopulisten. Das sind ebenjene, die von der Automatisierung bedroht werden. Trotz allem nehmen Wähler rechtspopulistischer Parteien die Globalisierung viel stärker als Bedrohung wahr als die Wähler anderer Parteien.

STANDARD: Was vernichtet mehr Jobs: Globalisierung oder Automatisierung?

Walter: Im Moment habe ich das Gefühl, alle sprechen über die Globalisierung. Aber laut Schätzungen gehen zwei Drittel der Jobs über Automatisierung verloren, ein Drittel über Globalisierung.

STANDARD: Rechtspopulisten legen Rezepte vor, die sehr einfach klingen. Etwa: Grenzen schließen, und dann sind die Jobs wieder da ...

Walter: Das klingt auf den ersten Blick vorzüglich. Das Problem ist, dass es so nicht funktioniert. Erstens sind viele dieser Jobs überhaupt nicht der Globalisierung zum Opfer gefallen, sondern dem technologischen Wandel. Was man machen könnte, wäre in Ausbildung zu investieren, damit die Leute besser vom technologischen Wandel und der Globalisierung profitieren könnten.

STANDARD: Ganz vergessen scheint, dass auch Konsumenten von der Globalisierung betroffen sind, etwa durch die Möglichkeit, Güter möglichst günstig zu kaufen, oder?

Walter: Die gleichen Leute, die zum Teil beklagen, dass man keinen Dorfladen mehr hat, gehen gern bei H&M einkaufen, weil es günstig ist. Wenn man sich abschottet, werden die Konsumgüter massiv teurer. Das würde gerade der Mittelschicht und den Leuten mit geringen Einkommen besonders stark schaden.

STANDARD: Österreichs Volkswirtschaft war einer der Gewinner der Marktöffnung. Gerade hier war der Widerstand gegen TTIP und Ceta besonders ausgeprägt. Haben Sie eine Erklärung?

Walter: TTIP ist ja jetzt vermutlich tot. Der Widerstand dagegen konzentriert sich vor allem auf Deutschland, Österreich und die Schweiz. Drei Länder, denen es wirtschaftlich ganz gut geht. Länder, die wirtschaftlich eher zu kämpfen haben, also osteuropäische Länder oder auch die Eurokrisenländer, sind TTIP gegenüber viel positiver eingestellt, weil sie auch auf Jobs hoffen.

STANDARD: Das heißt, die haben wirtschaftlich mehr zu verlieren?

Walter: Ja. Bei uns geht die Debatte um Souveränität, Regulierung, Umweltstandards, um sich nicht anpassen müssen. Wir sind in der privilegierten Lage, dass wir uns gar nicht so sehr über die wirtschaftlichen Konsequenzen unterhalten müssen, sondern einen Schritt weitergehen. Die Gründe für die Ablehnung des Freihandels sind völlig unterschiedlich etwa in den USA und in Österreich. Nichtsdestotrotz schaffen es Rechtspopulisten, in beiden Ländern zu mobilisieren.

STANDARD: Die Politik setzt derzeit in vielen Ländern auf ähnliche Rezepte – in Österreich wird diskutiert, inwieweit man die Mindestsicherung kürzen soll.

Walter: Wir reden viel über die männlichen Mittelklasse-Industriearbeiter, die sich vom Abstieg bedroht fühlen. Die Leute, denen es wirklich schlecht geht, also viele Ausländer und Sozialhilfeempfänger, gehen in der Regel gar nicht wählen. Ihre Anliegen werden am wenigsten gehört.

STANDARD: Wehrt sich die Mittelschicht derzeit am effektivsten?

Walter: Im Moment ja. Sie stimmt etwa für Brexit oder für Trump. Die untere Mittelschicht fühlt sich vom Abstieg bedroht. Lange haben wir über Probleme, die Automatisierung und Globalisierung brachten, wenig gesprochen. Diese Industriejobs, die verlorengehen, waren lange Zeit sehr attraktiv, extrem gut bezahlt, auch wenn sie vielleicht gar nicht hochqualifiziert waren. Heute gibt es eher Jobs im Dienstleistungssektor. Es gibt also nicht keine Jobs, sondern nicht genügend, die als adäquat wahrgenommen werden. Wir haben auch deswegen so viele ausländische Altenpfleger, weil es nicht genug einheimische gibt.

STANDARD: Aber Industriejobs sind doch schon lange verschwunden?

Walter: Ja, sie gehen seit den 1990er-Jahren verloren. Ich habe das Gefühl, nach 70 Jahren Frieden und Wohlstand in Europa wird das Risiko, das mit Isolationismus und ökonomischem Nationalismus einhergeht, nicht mehr so gesehen. Ökonomische Interessen und Überlegungen spielen – etwa bei Wahlen – vor allem dann eine Rolle, wenn es der Wirtschaft schlechtgeht. Geht es ihr gut, spielen andere Dinge wie Identität oder Werte eine stärkere Rolle. (Regina Bruckner, 4.12.2016)