Es geht uns gut. Wir haben keine Pestepidemien, keine Hexenverbrennungen (vorläufig jedenfalls), keine Inquisition und keine Erbfolgeadeleien. Das finstere Mittelalter ist vorbei. Wir können wählen, auch wenn manche (Staats-)Strukturen durchaus wieder feudale Züge tragen wollen. Es kann gar nicht oft genug wiederholt werden, was für ein unglaubliches Privileg diese Wahlen darstellen. Im Wiener Burgtheater gab es diesbezüglich Interventionen, die allerdings nicht nur Zuspruch fanden, sondern auch für dicke Luft bei manchen Besuchenden sorgten: In den Pausen rezitierten Schauspielende in den Gängen aus aktuellen Texten. Ein Aufruf, das Wahlrecht zu nutzen, die Stimme nicht ungehört verhallen zu lassen, subsumiert unter dem Derrida-Zitat: "Wenn auch jede Gerechtigkeit mit dem Sprechen beginnt, so ist doch nicht jedes Sprechen gerecht."

Eine passende Aktion: Immerhin ist dieses Haus auch erfüllt von den Geistern der Vergangenheit, jenen, die den freien menschlichen Willen, das Streben nach Freiheit, nach Gleichheit, nach Utopien herbeischrieben: alte Kämpfe, in die Gegenwart getragen.

Wo die einen ihr Leben opferten, um dieses Wählen zu ermöglichen, wenden sich andere ab, um diese Errungenschaft in die Tonne zu treten: aus Frust, aus Wurschtigkeit, aus ungenügendem Wissensstand. Das Verschweigen seiner Stimme führt zu unerwarteten Ergebnissen und ab und zu zu jenem großen Wundern, das dann mindestens vier Jahre anhalten kann.

Noch ist Demokratie möglich. Wir dürfen wählen, sogar mehr als einen Kandidaten, wie seinerzeit in der UdSSR, woher auch der Witz stammt: Wann fanden die ersten sowjetischen Wahlen statt? Im Paradies. Als Gott Eva aus der Rippe Adams schuf und sagte: "Wähl dir eine Frau." (Julya Rabinowich, 3.12.2016)