Teilnehmer an der Demonstration gegen Abschiebungen am vergangenen Samstag in Wien.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Die Demokratie hat es nicht leicht dieser Tage. Eine Staatsform, für die Millionen in der Vergangenheit ihr Leben lassen mussten, für die Kriege geführt und Aufstände blutig niedergeschlagen wurden, gerät plötzlich in Verruf. Die deutsche Bertelsmann-Stiftung veröffentlichte vor kurzem eine Studie auf Basis einer Befragung von 15.000 Personen in allen EU-Staaten, in der nur 38 Prozent aller Befragten angaben, mit der Demokratie in ihren Ländern zufrieden zu sein.

Demokratie ist anstrengend, das ist wahr. Sie verlangt Toleranz von uns und dass wir die Meinung des anderen ertragen. Selbst wenn wir sie für schwachsinnig halten.

Biedere Linke

Am Samstagnachmittag, nicht einmal 24 Stunden bevor die ersten Wahllokale öffnen, findet in Wien ein Ereignis statt, das sowohl den Toleranzbegriff als auch die Nerven vieler zu strapazieren scheint, sieht man sich die Reaktionen darauf in Social Media an. Die Linkswende veranstaltet eine Demonstration unter einem Titel, der nicht viel Interpretationsspielraum lässt: "F*ck Hofer." Den Stern halte ich ja für etwas bieder angesichts dessen, dass es sich laut Selbstbeschreibung um eine linke Gruppe handelt, die "Sozialismus von unten" propagiert. Selbst in den bürgerlichen Salons der Hauptstadt ist "Fuck" mittlerweile ein Begriff, der zu Canapés, Fingerfood und Rotwein durchaus akzeptiert ist.

Die Route des Demonstrationszugs führt vom Museumsquartier zur FPÖ-Zentrale direkt durch die gutbürgerliche Josefstadt. An einem Einkaufssamstag im Advent! So kurz vor Weihnachten! Das nützt nur dem Hofer! So lauten die Argumente der Demonstrationsgegner, die ihrem Ärger auf der Facebook-Seite Luft machen, auf der man sich für die Veranstaltung anmelden kann. Dort gibt es mittlerweile um einiges mehr Kommentare gegen die Demo als tatsächliche Anmeldungen.

Der Großteil stammt von Unterstützern Alexander Van der Bellens. Sie befürchten, dass der Demonstrationszug einiger hundert junger Menschen – um eine euphemistische Schätzung abzugeben – wahlentscheidend sein könnte. Auch das Wahlkampfteam Van der Bellens hat sich offiziell von der Kundgebung distanziert. Man mache einen Positivwahlkampf und habe nichts übrig dafür, dass der politische Gegner diffamiert wird. Man befürchtet, dass es zu Zwischenfällen kommt, die von den Hofer-Unterstützern und ihnen wohlgesonnenen Medien instrumentalisiert würden – und dadurch die bürgerlichen Wähler abgeschreckt werden und ihre Stimme trotz Trachtenjankers und Fendrich-Videos doch nicht dem ehemals grünen Professor geben.

Da und dort werden sogar Stimmen laut, die ein Verbot der Demonstration begrüßen. Die jungen Menschen, die ideologisch alles vermischen, was man unter dem Label "links" subsumiert, sollen lieber zu Hause bleiben oder noch ein paar Weihnachtseinkäufe machen, lautet der Tenor. Das nützt der Wirtschaft und eventuell auch der ÖVP-Klientel. Und vielleicht entscheidet sich die dann, gutgestimmt durch einen profitablen Einkaufssamstag in der weihnachtlich geschmückten Innenstadt, ja doch für ein Kreuzerl bei Van der Bellen.

Erwartbares politisches Kleingeld

Das ist natürlich überspitzt, unlogisch und unsinnig. Genauso wie die Überlegung, eine kleine Demonstration zu verbieten, weil sie dem eigenen Kandidaten schaden könnte. Natürlich wird die Hofer-Kampagne die Kundgebung nutzen, um politisches Kleingeld zu machen. Natürlich wird die Boulevardpresse die Demonstration in den düstersten Farben schildern. Und natürlich wird aus einem Umzug einiger Hundert ein gefährlicher Aufstand anarchistischer Chaoten werden, wenn auch nur ein Demonstrant seine Plastikflasche zu Boden fallen lässt. Und ja, die Polizeibegleitung der Demo wird Steuergeld kosten, und die Absperrungen werden den einen oder anderen Samstagsshopper verärgern. All das steht außer Diskussion, und das Gute an vorhersehbaren Ereignissen ist, dass man sich nicht vor ihnen fürchten muss. Sondern sich darauf einstellen kann, dass sie so und nicht anders stattfinden werden.

Trotzdem ist der Gedanke, eine angemeldete Demonstration zu verbieten, geradezu obszön. Erst recht im Zuge dieses Wahlkampfs, der neben vielem anderen vor allem eine Geduldsprobe und ein Toleranztest für viele Wähler war. Selten hat man solche Untergriffe, so schmutzige Vorwürfe und persönliche Angriffe in einer Wahlauseinandersetzung in diesem Land erlebt. Man kann aber nicht antreten, um eine autoritäre Politik zu verhindern, und selbst demokratische Grundrechte wie Demonstrationen verbieten wollen. Das sollten sich die Van-der-Bellen-Anhänger einmal durch den Kopf gehen lassen. Und auch, dass das aggressive Werben um bürgerliche Stimmen den einen oder anderen Linken in den letzten Wochen mehr als irritiert hat. Man kann sich aber auch nicht permanent darüber beschweren, über einen prozentuell niedrigen Anteil einer extremistischen Anhängerschaft definiert zu werden, wie es die Hofer-Kampagne nicht müde wurde zu betonen, und dann mit dem Finger auf ein paar Hundert zeigen, die man stellvertretend für eine breite Wahlbewegung anprangert.

Die Möglichkeit als Sicherheit

Wenn Sie mich fragen, ob ich auf die Demo "F*ck Hofer" am Tag vor der Wahl verzichten könnte, würde ich wahrscheinlich mit einer Gegenfrage antworten: Was glauben Sie, worauf alles ich in den letzten Monaten gerne verzichtet hätte? Und trotzdem bereitet es mir ein gutes Gefühl, dass sie stattfindet, und ich habe ruhige Nächte, weil ich weiß, dass ich meinen Protest gegen alles, was mir nicht passt, jederzeit ungestraft äußern kann. Dass ich jedoch keine politische Kundgebung verhindern oder gar verbieten könnte, nur weil sie mir persönlich nicht recht ist.

Das ist das Wesen der Demokratie, und es ist anstrengend. Aber immer, wenn ich damit hadere, denke ich an den Folterbericht von Amnesty International und die darin aufgeführten Gräueltaten blutiger Diktaturen. Und der Vergleich macht mich sicher. (Barbara Kaufmann, 1.1.22016)