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Niedrigverdiener gingen am Dienstag in den USA landesweit auf die Straße.

Foto: REUTERS/Brendan McDermid
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Wien – 7,25 Dollar pro Stunde geleisteter Arbeit. Diesen Wert, umgerechnet 6,60 Euro, sehen die US-Gesetze derzeit als zumutbare Untergrenze für Arbeitnehmer vor. Inakzeptabel, finden zumindest Vertreter von "Fight for $15". Die gewerkschaftlich gestützte Initiative kämpft für eine Anhebung des Mindestlohns auf 15 Dollar pro Stunde. Mit landesweiten Protesten und Streiks wollten Niedrigverdiener wie beispielsweise Angestellte von Fastfoodketten und Flughafengepäckdiensten, aber auch Uber-Fahrer der Forderung am Dienstag Nachdruck verleihen.

Phase der Unsicherheit

Der Aktionstag fällt in eine Phase der Unsicherheit über den wirtschaftspolitischen Kurs der neuen Regierung. Donald Trump hat während des Wahlkampfs seine Position zum Mindestlohn mehrmals geändert. Zu Beginn seiner Kampagne meinte der designierte Präsident, dass der Mindestlohn "zumindest auf zehn Dollar" angehoben werden müsse. Im September verkündete Trump dann hingegen, er wolle doch keine Anhebung. Auch beim Geltungsraum der Mindestlöhne widersprach er sich: Einmal erklärte er sie zur Angelegenheit der Bundesstaaten, später warb er für eine landesweite Regelung.

Uneinigkeit herrschte bei den Demokraten: Hillary Clinton sprach sich nach anfänglich vagen Äußerungen zuletzt für zwölf Dollar pro Stunde aus. Ihr parteiinterner Rivale Bernie Sanders forderte hingegen vehement eine Anhebung auf 15 Dollar. Das wäre ein immenser Schritt: Fast die Hälfte der amerikanischen Arbeitnehmer verdient derzeit weniger.

Weder in den USA noch in Europa ist die Debatte über die Folgen eines Mindestlohns und seine Höhe eine neue. Am Streit beteiligen sich Ökonomen und Politiker seit Jahrzehnten: Führt ein Mindestlohn zu einer gerechteren Verteilung von Einkommen oder zu Jobverlusten? Hat er mehr Wohlstand zur Folge oder weniger?

Umstrittene Auswirkungen

Gegner eines robusten Mindestlohns führen ins Treffen, er gefährde die Arbeitsplätze genau jener Niedrigverdiener, denen eigentlich geholfen werden soll. Sind Arbeitgeber mit höheren Lohnkosten konfrontiert, würden sie Stellen streichen, so die Argumentation. Auch höhere Preise wären die Folge. Andere befürworten Mindestlöhne nur auf regionaler Ebene, weil die wirtschaftlichen Unterschiede beachtet werden müssten.

Befürworter betonen hingegen, dass höhere Löhne zu einer gesteigerten Kaufkraft und daher auch zu mehr Wachstum führten. Dass bei einer moderaten Anhebung Arbeitsplätze verloren gingen, wird in Abrede gestellt. Ihr Hauptargument ist aber, dass Arbeit fair entlohnt werden und ein Mindestlohn Arbeitnehmer vor Ausbeutung und Armut schützen soll.

In den USA gilt derzeit in 29 Bundesstaaten und mehr als einem Dutzend Städten eine Mindestgrenze, die über dem bundesstaatlichen Level liegt. Dieses wurde 1938 eingeführt und seitdem 22 Mal erhöht, zuletzt 2007.

Deutlich höher

Inflationsbereinigt war der Mindestlohn aber schon einmal deutlich höher. Auf das Niveau, das er Ende der 1960er-Jahre erreichte – zu heutigen Preisen wären das rund elf Dollar – kam er seitdem nie wieder. Das hat auch zur Folge, dass der Mindestlohn immer weniger Arbeitnehmer tatsächlich betrifft. Laut Zahlen der US-Regierung arbeiten nur rund drei Prozent der 80 Millionen stundenweise bezahlten US-Amerikaner für 7,25 Dollar oder – bei Ausnehmen vom Mindestlohn – sogar weniger. Vor 40 Jahren war der Anteil jener, die vom Mindestlohn profitieren, noch viermal so hoch.

Auch der Umgang mit Überstunden beschäftigt derzeit die US-Öffentlichkeit. Ein Gericht in Texas hat vergangene Woche das Inkrafttreten einer Arbeitsmarktreform der Obama-Regierung blockiert. Das Gesetz, das Millionen Arbeitnehmern das Recht auf Abgeltung von Überstunden geben sollte, wurde als rechtswidrig eingestuft. Bisher haben nur jene Arbeitnehmer ein Recht darauf, die weniger als 24.000 US-Dollar pro Jahr verdienen. Das sind gerade einmal sieben Prozent aller Vollzeitbeschäftigten. (Nora Laufer, Simon Moser, 30.11.2016)