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Im Forschungsfeld Visual Analytics wird an der Frage gearbeitet, wie sich große und komplexe Datensätze anschaulich darstellen lassen.

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Wolfgang Aigner: "Die Aufbereitung der Daten bedeutet vielfach, reale und virtuelle Welt besser zusammenzubringen."

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STANDARD: Artificial Intelligence und Internet der Dinge gehören zu den großen Zukunftstrends in den Informationstechnologien. Welche Rolle spielt die visuelle Datenaufbereitung in dieser Welt?

Aigner: Diese neuen Trends sind von einer wachsenden Flut und Komplexität von Daten geprägt. In der Industrie 4.0 liefert zum Beispiel eine Vielzahl an Sensoren Daten über einen Produktionsvorgang – diese gilt es analysierbar und für Menschen verständlich zu machen, um die Produktion zu überwachen und zu verbessern. Visual Analytics als Kombination von automatischer Datenanalyse und Visualisierung gibt einem im Datendschungel Landkarte und Kompass in die Hand.

STANDARD: Wo liegen Berührungspunkte zu künstlichen Intelligenzen?

Aigner: Die automatischen Methoden werden eingesetzt, um Daten vorzuverarbeiten, bevor sie in Bilder umgewandelt werden. Es gibt aber noch einen Aspekt: Künstliche Intelligenzen sind wie eine Blackbox. Ich weiß als Mensch nicht genau, wie ein Ergebnis zustande kommt. Mithilfe von Visual Analytics können die Ergebnisse, die sie hervorbringen, nachvollziehbar gemacht werden. Die visuelle Aufbereitung kann bei der Steuerung helfen und einen Dialog zwischen Mensch und Maschine sicherstellen.

STANDARD: Wie kann dieser Dialog aussehen?

Aigner: Auf der einen Seite gibt es menschliches Hintergrund- und Expertenwissen, das man nicht in Algorithmen verpacken kann. Computer haben dagegen etwa die Stärke, sehr gut mit großen Datenmengen umgehen zu können. Visual Analytics bietet die Möglichkeit, diese Vorteile zu verbinden. Wenn sich etwa Daten widersprechen, können menschliche Experten diese Konflikte lösen.

STANDARD: Haben Sie ein Beispiel parat?

Aigner: Vor kurzem wurde bekannt, dass die europäische Marssonde Schiaparelli gecrasht ist, weil ihre Computer die Position falsch berechnet hatten und auf eine negative Höhe von minus 2.000 Metern gekommen waren. Für Menschen wäre klar, dass das nicht stimmen kann. Der Algorithmus kann aber nur auf jene Fälle reagieren, die auch sein menschlicher Erschaffer berücksichtigt hat. Alle Eventualitäten abzudecken ist aber schwierig. Darum ist dieser "Human in the loop"-Ansatz, bei dem Menschen in eine Ergebnisfindung einbezogen werden, so wichtig.

STANDARD: Die Interaktion mit Computern via Bildschirm, Maus und Keyboard wird seltener. Neben der Gesten- kommt die Sprachsteuerung hinzu. Wie wirkt sich das auf die Datenaufbereitung aus?

Aigner: Der Audiokanal wurde in einer Welt, die von Tastatur und Maus geprägt war, eher stiefmütterlich behandelt. Sprachsteuerung ist eine gute Ergänzung. Der Audiokanal kann aber auch dazu dienen, um aus Daten Töne und Klänge zu machen und Zusammenhänge zu kommunizieren – man nennt das Sonifikation. Einen hohen Wert durch raschere Tonfolgen darzustellen ist dafür nur ein sehr einfaches Beispiel. Es ist ein Bereich, der noch am Anfang steht.

STANDARD: Wie sieht der Prozess aus, mit dem man zu einer Visual-Analytics-Anwendung kommt?

Aigner: Grundvoraussetzung für einen guten Koch ist, dass er seine Zutaten kennt. Bei Visual Analytics sind das die Daten selbst. Man muss ihre Qualität kennen, wissen, wo sie herkommen und was sie aussagen. Dann muss man sich mit der Zielgruppe beschäftigen. Je nachdem, ob das Physiotherapeuten, Wartungsarbeiter in einer Produktionshalle oder Vorstände von Finanzunternehmen sind, braucht es völlig andere Zugänge – selbst wenn die zugrunde liegenden Daten ganz ähnlich aufgebaut sind. Der dritte Schritt ist die Frage, was die Zielgruppe mit der Anwendung tun möchte: Geht es darum, Fehler zu finden, einen Überblick zu bekommen oder Dinge besser auffindbar zu machen?

STANDARD: Könnten Sie anhand einer aktuellen Arbeit veranschaulichen, wie Sie Daten aufbereiten?

Aigner: Innerhalb eines Projektes beschäftigen wir uns etwa mit der Analyse des menschlichen Ganges für die Unterstützung von Physiotherapeuten. Zugrunde liegen etwa Daten von speziellen Instrumenten, die das Abrollverhalten des Fußes aufzeichnen. Wir haben uns zuerst angesehen, wie Physiotherapeuten mit diesen Daten arbeiten. Es geht hauptsächlich um die Diagnose von Fehlstellungen oder Verletzungen. Wir haben ein Tool entwickelt, das die Daten als Messkurven visuell präsentiert und Diagnosevorschläge bietet. Der Mensch trifft dann die Entscheidung, was auch die Wissensbasis des Systems erweitert. Es lernt mit, um bessere Hilfestellung geben zu können.

STANDARD: Die Analyse großer Datenmengen wird auch für die Medien relevanter – Stichwort Datenjournalismus.

Aigner: In diesem Bereich können Softwarewerkzeuge nicht nur bei der Visualisierung helfen. Sie können Journalisten auch helfen, komplexe Daten zu analysieren, um Storys zu finden. Wir haben diesbezüglich etwa ein Tool entwickelt, das die Analyse der österreichischen Medientransparenz-Datenbank erleichtert. In ihr wird erfasst, wie viel Anzeigengeld von öffentlichen Institutionen an Medien fließt. Der Datensatz ist relativ komplex. Man kann ihn als dynamisches Netzwerk sehen, das sich über die Zeit verändert. Ohne entsprechende Aufbereitung ist es relativ schwierig, Schlüsse daraus zu ziehen. Visualisierungen können hier helfen. Ein zweiter Bereich, mit dem wir uns beschäftigen, sind Protokolle des österreichischen Nationalrats aus mehreren Jahrzehnten. Hier soll zum Beispiel veranschaulicht werden, welche Themen von welchen Parteien aufgegriffen werden und wie sich die Diskussionskultur über die Zeit verändert hat.

STANDARD: Die Fähigkeit des menschlichen Gehirns, visuelle Muster schnell zu verarbeiten, steigt durch die Interaktion mit Computern. Ist es gut, dass uns unsere Werkzeuge so prägen?

Aigner: Das ist ja auch in der Musik der Fall. Man lernt, besser und detaillierter zu hören, wenn man sich damit beschäftigt. Bis vor kurzem war es in Medien verpönt, komplexere Visualisierungen einzusetzen. Mittlerweile ist die Fähigkeit, diese schnell zu decodieren, aber schon weiter verbreitet. Neue Darstellungsformen gehen ins Standardrepertoire der Medienkonsumenten über – für mich eine positive Entwicklung.

STANDARD: Ein Ausgangspunkt für die Forcierung der Datenanalysetechniken, die Visual Analytics zugrunde liegen, war die US-Terrorbekämpfung nach 9/11. Was denken Sie über diesen Bereich?

Aigner: Ich sehe das sehr kritisch. Jeder Wissenschafter muss sich die Frage stellen, wo seine Entwicklungen eingesetzt werden. In den USA stand bei der Entwicklung der Visual Analytics stark der Homeland-Security-Aspekt im Vordergrund. Im europäischen Kontext gibt es aber eine völlig andere Herangehensweise. In einer entsprechenden EU-Roadmap ging es viel stärker um Themen wie Klimaerwärmung, Umwelt oder Medizindaten.

STANDARD: Wir leben mehr und mehr in einer von computergenerierten Abstraktionen vermittelten Realität. Birgt das auch Gefahren?

Aigner: Die Aufbereitung der Daten bedeutet vielfach, reale und virtuelle Welt besser zusammenzubringen. Im Augmented-Reality-Bereich wird der Blick auf die Realität mit Zusatzinformationen überblendet. Mit 3-D-Druckern lassen sich Daten in eine physische Form bringen oder Objekte schaffen, die eine bessere Interaktion mit Daten ermöglichen. In der visuellen Darstellung werden gezielt Metaphern aus der realen Welt verwendet, um das Verständnis zu verbessern – etwa ein Fluss, dessen Breite sich verändert.

STANDARD: Visualisierungen können auch manipulativ eingesetzt werden.

Aigner: Das beste Gegenmittel ist Visual Literacy, also zu wissen, wie die Aufbereitungen funktionieren. Dann fällt einem auf, wenn bei einem Balkendiagramm ein Balken nicht bei null beginnt und Größenordnungen verzerrt sind. Das ist aber etwas, was man in der Schule nicht unbedingt lernt. (Alois Pumhösel, 5.12.2016)