Einmal jährlich berichtet die EU-Kommission in Brüssel wie es in den Staaten aussieht, die eine Mitgliedschaft in der Union anstreben. Selbst nach dem Brexit befinden sich noch sieben Staaten in der EU-Warteschlange. Die Verhandlungen wurden mit der Türkei, Montenegro und Serbien eröffnet, während Mazedonien und Albanien noch warten. Bosnien-Herzegowina und der Kosovo gelten nur als "potenzielle Kandidaten". Eine Übersicht.

Albanien

Als Albanien im Sommer 2014 den offiziellen Kandidatenstatus erhielt, wurde das in Tirana auf den Straßen gefeiert. Im aktuellen Bericht empfiehlt die EU-Kommission nun die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit Albanien und lobt das Land für seine Fortschritte. Bei der Umsetzung der Justizreform habe es solide Fortschritte gegeben, jedoch bestehen Defizite bei der Überprüfung von Richtern und Staatsanwälten. Hier sitzen noch Personen, denen eine Abhängigkeit vom organisierten Verbrechen und Korruption vorgeworfen wird. Die EU-Kommission betont zudem, sich die kommenden Wahlen im Jahr 2017 genau anzusehen. Auf dem Papier sei es um die Menschenrechte in Albanien zwar gut bestimmt, insgesamt gibt es aber noch massive Probleme bei der Umsetzung.

Den Kandidatenstatus erhielt Albanien erst, nachdem die Cannabisplantage in Lazarat im Süden des Landes zerstört wurde. Damals soll Cannabis im Wert von 4,5 Milliarden Euro zerstört wurden sein, was rund der Hälfte des offiziellen albanischen Bruttoinlandsprodukts entspricht. Die EU-Kommission sagt, es habe Fortschritte bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität gegeben, wobei hier noch Luft nach oben sei. Damit die Verhandlungen mit Albanien beginnen, müssen alle 28 Mitgliedsstaaten zustimmen.

EU-Aussicht: weit entfernt, aber auf dem richtigen Weg.

Bosnien-Herzegowina

Für die anhaltende Stagnation in Bosnien-Herzegowina findet die EU-Kommission blumige Worte. Das Land sei in einer "frühen Phase der Herausbildung einer funktionierenden Marktwirtschaft". Außerdem sei Bosnien-Herzegowina auf einem "gewissen Stand bei der Vorbereitung vom Kampf gegen Korruption, den Kampf gegen organisiertes Verbrechen, der Schaffung rechtsstaatlicher Prinzipien und der Etablierung von Minderheitenrechten". Im Klartext bedeutet dies, dass Bosnien-Herzegowina in den vergangenen Jahren keinerlei Fortschritte auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft gemacht hat.

In der Stadt Mostar konnten nicht einmal Lokalwahlen stattfinden, weil Bosniaken und bosnische Kroaten vor Ort sich auf kein Verfahren einigen konnten. Menschen, die sich nicht als Bosniaken, Kroaten oder Serben identifizieren, können sich erst gar nicht für bestimmte politische Ämter bewerben. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied bereits im Jahr 2009 beim Sejdić-Finci-Fall, dass diese Praxis nicht rechtskonform sei und alle Ämter auch Vertretern von Minderheiten offenstehen müssten. Implementiert wurde das Urteil auch nach sieben Jahren nicht. Die EU-Kommission spricht von "tief verwurzelten" Strukturproblemen und meint damit, dass die politischen Eliten kein Interesse an einer EU-Annäherung haben, weil dies ihre Machtbasis gefährden könnte.

EU-Aussicht: sehr schlecht.

Serbien

Serbien verhandelt seit dem Jänner 2014 über einen EU-Beitritt. Der schwierigste Teil der Verhandlungen ist Kapitel 35, bei dem es um eine Normalisierung der Beziehung zwischen Serbien und dem Kosovo geht. Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an und betrachtet das Land weiterhin als sein Staatsgebiet. Auch bei der konkreten Umsetzung der Rechtsstaatlichkeit bestehen in Serbien Probleme. EU-Kommissar Johannes Hahn betont: "Serbien hat Fortschritte bei der Rechtsstaatlichkeit und der Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo gemacht. An diesen beiden Fragen hängt die Zukunft der Verhandlungen."

Die Korruptionsbekämpfung, die sich der amtierende Premierminister Aleksandar Vučić auf die Fahne geschrieben hat, bleibt laut dem Bericht "bedeutende Resultate" schuldig. Bei der Meinungsfreiheit wurden in Serbien laut EU-Kommission keine Fortschritte erreicht. Ein großer Teil der Medien wird direkt oder indirekt von der Regierungspartei kontrolliert. Obwohl Serbien inzwischen eine lesbische Ministerin vorzuweisen hat, betont Brüssel das die Lebenssituation für LGBT-Personen weiterhin schlecht ist. Auch die Lebenssituation von Roma, HIV-Infizierten und anderen diskriminierten Gruppen muss demnach besser werden. Die Privatisierungen von Staatsunternehmen und die Verringerung der Neuverschuldung werden von der EU-Kommission ebenso positiv hervorgehoben, wie die humanitäre Hilfe die Serbien während der Flüchtlingskrise geleistet habe. Allerdings bemängelt die Kommission, dass die Anzahl von Asylsuchenden aus Serbien in EU-Staaten noch zu hoch sei. Brüssel stellt Serbien die Eröffnung weiterer Kapitel in Aussicht und betont, die Regierung sei einem EU-Beitritt einen "großen Schritt näher gekommen".

EU-Aussicht: gut.

Montenegro

Die EU-Kommission schreibt, dass die Wahlen in Montenegro im vergangenen Oktober "im Wesentlichen" nach rechtsstaatlichen Standards verlaufen seien. Das ist verwunderlich, weil in dem Bericht an anderer Stelle bemängelt wird, dass am Wahltag Mobilfunkanbieter angewiesen wurden, Messengerdienste wie Whatsapp und Viber zu sperren. Laut dem Bericht sind "große Anstrengungen" notwendig, um eine "Depolitisierung des öffentlichen Dienstes" zu erreichen. Das liegt daran, dass in Montenegro, ähnlich wie den anderen Beitrittskandidaten aus dem westlichen Balkan, Posten im öffentlichen Dienst nach dem Parteibuch vergeben werden. Die Implementierung der Gesetzgebung lasse zu wünschen übrig.

Der Kampf gegen Korruption, organisiertes Verbrechen und die Diskriminierung von Roma habe kaum Fortschritte erzielt. Bezüglich der mangelhaften Pressefreiheit seien keinerlei Fortschritte erzielt worden. Physische Angriffe auf Journalisten seien weiterhin an der Tagesordnung. Zudem ist Brüssel über die wirtschaftliche Situation in Podgorica besorgt. Zwar wächst die Wirtschaft dieses Jahr um 5,1 Prozent, doch dieses Wachstum ist durch eine massive Neuverschuldung erkauft. Angesichts der "steigenden Staatsverschuldung" fordert Brüssel eine "restriktivere Ausgabenpolitik und Verbesserung der Einnahmen". Die Verhandlungen mit Montenegro sind am weitesten fortgeschritten, und das Land wird wohl bald der Nato beitreten. Es bestehen aber strukturelle Probleme, an denen ein Fortschritt der Verhandlungen scheitert.

EU-Aussicht: grundsätzlich gut, aber stagnierend.

Kosovo

Der Kosovo wird von fünf EU-Staaten nicht anerkannt und ist noch kein offizieller Beitrittskandidat. Dennoch konnte der jüngste Staat Europas kleine Fortschritte erzielen. Im April trat ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen in Kraft. Außerdem habe Prishtina "große Fortschritte in der Erfüllung der Voraussetzungen für eine Visaliberalisierung erreicht". Dafür gibt es Lob von der Kommission. Bezüglich der Menschenrechtssituation wurden 2015 Gesetze verabschiedet, die vor allem die Situation der LGBT-Community verbessern sollen. Umgesetzt werden diese kaum. Die EU-Kommission merkt kritisch an, dass eine "starke Polarisierung zwischen Regierung und Opposition" bestehe. Gemeint ist damit die nationalistische Oppositionspartei Vetëvendosje, welche die Parlamentsarbeit mehrfach durch Tränengasangriffe unterbrochen und offen zu Ausschreitungen aufgerufen hat. Außerdem sei der Kosovo noch "ganz am Anfang bei der Schaffung rechtsstaatlicher Strukturen und beim Kampf gegen Korruption", was im Klartet bedeutet, dass es hier noch sehr viel zu tun gibt.

EU-Aussicht: noch weit entfernt, aber mit kleinen Besserungen.

Mazedonien

Laut dem Bericht der EU-Kommission befindet sich Mazedonien in der "schwersten politischen Lage seit 2001", als fast ein Krieg zwischen Mazedoniern und Albanern ausgebrochen wäre. Die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Mazedonien steht demnach vor ernsthaften Herausforderungen. Sorgen, dass "eine Vereinnahmung des Staates, die demokratisch funktionierenden Institutionen und Schlüsselelemente der Gesellschaft" beeinflussen, bleiben bestehen. Das Land müsse vor allem bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Dezember das sogenannte Pržino-Abkommen vom Juli 2015, das unter anderem einen glaubwürdigen Urnengang vorsieht, "vollständig umsetzen". Das Abkommen wurde einst von EU-Kommissar Johannes Hahn vermittelt, der entnervt das Handtuch geworfen hat, weil der damalige Machthaber Nikola Gruevski sich nicht an den Deal halten wollte. Ob am 11. Dezember faire und freie Wahlen stattfinden, wird darüber entscheiden, ob Mazedonien noch eine EU-Perspektive hat und die andauernde Staatskrise ein Ende findet. Viele Menschen in Mazedonien fürchten sich davor, bald in einer richtigen Diktatur aufzuwachen.

EU-Aussicht: immer schlechter.

Türkei

Der Bericht zur Türkei i st mehr als hundert Seiten dick und fällt erwartungsgemäß vernichtend aus. Detailliert wird beschrieben, wie nach dem Putschversuch alle Bereiche des öffentlichen Dienstes, die Medien und auch private Unternehmen von vermeintlichen Anhängern der Gülen-Bewegung und der PKK gesäubert wurden. Trotz der bürokratischen Sprache und einiger Schönfärbereien geht aus dem Bericht deutlich hervor, dass sich die Türkei radikal von der EU entfernt hat. Bei den Themen Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sieht die Kommission massive Rückschritte. Eine Wiedereinführung der Todesstrafe verstoße klar gegen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Der EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn kommentiert die jüngsten Ereignisse: "Wir sind ernsthaft besorgt über die Lage der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nach dem gescheiterten Putschversuch. In ihrem eigenen Interesse muss die Türkei aufhören, sich von der EU zu entfernen." All das ist nicht neu, aber die EU-Kommission zeigt mit dem Bericht, dass die Alarmglocken auch in Brüssel gehört werden. Vergangene Woche sprach sich das EU-Parlament für ein "einfrieren" der Beitrittsgespräche aus.

EU-Aussicht: nicht vorhanden.

(Krsto Lazarević, 29.11.2016)