Der erste Advent-Einkaufssamstag auf der Wiener Mariahilfer Straße: Händler meinen vor lauter Demonstranten keine Kunden mehr zu sehen. Die Geschäfte liefen unterm Strich dennoch gut.

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Wien – Man stelle sich vor, sinniert Rainer Trefelik, Obmann der Wiener Händler, Demonstranten legen am ersten Einkaufssamstag im Advent die Abfahrt zur Shopping City Süd lahm. "Ein massiver Aufschrei wäre die Folge gewesen."

Statt der Autobahn ist die Wiener Innenstadt regelmäßig Ort der freien Meinungsäußerung. Teile der Ringstraße werden im Schnitt alle sechs Tage für Demonstrationen gesperrt. Vergangenen Samstag lag auch die Mariahilfer Straße als Haupteinkaufsmeile auf der Route einer Demo gegen Abschiebungen. Eine Radparade entlang derselben Strecke sagten Organisatoren aus Rücksicht aufs Weihnachtsgeschäft kurzfristig ab.

Trefelik sieht Händler aufgrund der Kundgebungen vor ihren Geschäftstüren um Kundschaft bangen. Er bringt daher am Dienstag einen Antrag im Wirtschaftsparlament ein. Demnach sollen in Wien Plätze für freie Meinungsäußerung vorab definiert werden.

Die Zahl der Demos habe in den vergangenen sechs Jahren erheblich zugenommen, wie aus dem Antrag hervorgeht. Wiener Händler erlitten dadurch Umsatzeinbußen von teilweise bis zu 70 Prozent.

Streit um Verkehrsadern

Der Plan der Wirtschaftskammer: Versammlungen sollen künftig Hauptverkehrsadern wie den Ring und die Mariahilfer Straße aussparen. Stattdessen will man Demonstranten an anderer Stelle Platz für ihre Meinungsäußerung geben und ihnen dies mit entsprechender Infrastruktur – wie Bühnentechnik und Medienzentren – schmackhaft machen.

Sie raus aus dem Zentrum an Orte wie die Donauinsel und den Prater zu verweisen, sei jedoch unrealistisch, räumt Trefelik ein. "Demonstranten haben ein Anrecht auf Öffentlichkeitswirksamkeit." Er schlägt als Kundgebungsplätze etwa den Schwarzenbergplatz, den Schwedenplatz und Teile der Babenbergerstraße vor. Er wolle keine juristische Debatte anfachen oder Verfassungsrechte einschränken, betont der Handelsobmann. "Wir suchen nun einfach einen pragmatischen Wiener Weg." Denn es könne ja nicht sein, dass eine Demo nur dann als richtige Demo gelte, wenn sie entweder die Mariahilfer oder die Ringstraße lahmlege.

Grüne Wirtschaft hält dagegen

Die Grüne Wiener Wirtschaft wird dem Antrag heute jedenfalls nicht zustimmen, sagt ihr Landessprecher Hans Arsenovic auf Anfrage des STANDARD. "Die freie Meinungsäußerung ist eines der höchsten Güter." Verweigern will man sich einer Diskussion aber nicht: Ein Kompromiss werde gesucht, bei dem die Interessen der Demokratie wie der Wirtschaft unter einen Hut gebracht werden sollen.

Teils müsse man nämlich schon mit Fingerspitzengefühl abwägen, ob es wirklich notwendig sei, den Ring für eine Udo-Jürgens-Parade in Bademänteln sperren zu müssen, sagt Arsenovic. "Es gibt sicher Dinge, worüber man reden kann."

Ernst oder Spaß

Ein zweite Forderung Trefeliks schließt hier gleich nahtlos an: Bei Kundgebungen soll zwischen Demo und Spaßveranstaltung unterschieden werden. Unter Spaßparaden würde die Kammer Veranstaltungen wie das Friday-Night-skaten und die Regenbogenparade einreihen, befürchtet Arsenovic. Eine Grenze zu ziehen, was politische Bedeutung habe und was nicht, sei heikel und schwierig.

Dass Demos der Wiener Wirtschaft nur Schaden zufügen, bezweifelt er. "In Gastronomie und Freizeitwirtschaft gibt es genug Betriebe, die auch profitieren."

Wiens Händlern ist ihr Optimismus für das Weihnachtsgeschäft jedenfalls nicht vergangen. 28 Prozent rechnen heuer mit mehr Umsatz als 2015. 46 Prozent glauben, das hohe Niveau des Vorjahres erneut zu erreichen. 40 Prozent der Wiener kaufen neben stationären Geschäften auch im Internet ein. Hoch im Kurs als Geschenk waren am Samstag Drohnen. (Verena Kainrath, 28.11.2016)