Wer Aleppo gewinnt, gewinnt den Krieg. Noch ist es nicht vorbei, aber angesichts der enormen Intensität der Angriffe kollabiert der Widerstand im eingeschlossenen Ostteil der Stadt noch schneller als ohnehin erwartet. Dass das kommt, wusste man seit Wochen. Die Übermacht der im letzten Jahr wiederaufstandenen syrischen Armee, der irakischen und anderen vom Iran organisierten schiitischen Milizionäre, der libanesischen Hisbollah am Boden sowie der russischen Bomber in der Luft lässt keinen anderen Ausgang zu.

Gut möglich, dass diverse Schutzmächte der in Aleppo kämpfenden Rebellen – die Türkei, Saudi-Arabien – diesen sogar zum Aufgeben raten. Das Interesse Saudi-Arabiens an Syrien wird schwächer, die tiefe Verstrickung im Jemen-Krieg bindet alle saudischen Ressourcen. Die Türkei wiederum muss sich mit Russland arrangieren, will sie in Syrien weiter mitspielen. Es war Wladimir Putins Wille, dass Bashar al-Assad Aleppo kontrolliert. Allerdings will Assad das ganze Land wiederhaben, und es ist keinesfalls sicher, ob Putin auch dafür zur Verfügung steht.

Der Kriegsverlauf ist unfassbar tragisch für alle, die – aus guten Gründen – einen schnellen Abgang Assads für einen Neubeginn in Syrien für unabdingbar halten. Tatsache ist aber auch, dass die politische Meinung fast weltweit längst darauf eingeschwenkt ist, dass Assad in einer Übergangslösung eine Rolle spielen wird.

Für Aleppo darf man hoffen, dass trotz der Intensivierung des Kriegs nun vermehrt Menschenleben gerettet werden können. Dass mit dem Schwächerwerden der bewaffneten Gruppen die Zivilisten verstärkt zu fliehen beginnen, könnte ein Hinweis darauf sein, dass nicht alle freiwillig dort ausharrten. Es wäre unehrlich, nicht daran zu erinnern, dass es in Aleppo auch Kämpfer gibt, die nicht etwa nur die Assad-Freunde, sondern durchaus auch die Assad-Gegner als Terroristen einstufen.

Je nach Standpunkt fürchten nun Beobachter, auch noch der Rest des Aufstands könnte sich radikalisieren, die Rebellen würden der Al-Kaida zugerechneten Nusra- oder Fatah-Front noch mehr zulaufen oder sogar dem "Islamischen Staat". Andere rechnen mit Druck auf die Rebellen vonseiten einer erschöpften Bevölkerung: Immerhin wurden auch schon hunderte kleine Feuerpausen ausgehandelt, aus ein paar Dutzend sind Waffenstillstände geworden – unter russischer Vermittlung.

Das alles geschieht in den letzten Wochen von Barack Obamas Amtszeit: Im Nahen Osten sprechen viele dem "schwachen" US-Präsidenten die Schuld für das Syrien-Desaster zu – dieselben, die George W. Bush, der 2003 Saddam Hussein stürzte, für alle darauf folgenden Katastrophen verantwortlich machen. Ob sich ein Präsident Donald Trump – und sein Kongress – wirklich damit abfinden wird, dass Russland den Raum, den die USA im Nahen Osten lassen, besetzt, bleibt zu sehen. Putin schafft jedenfalls Tatsachen, die Trump bei Amtsantritt vorfinden wird. (Gudrun Harrer, 28.11.2016)