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Fidel Castro ist im Alter von 90 Jahren nach langer Krankheit gestorben.

Foto: Reuters/Rafael Perez

Caracas – Die Macht ist eine potente Droge. Auch Fidel Castro konnte sich ihr nicht entziehen. Er hatte viele glorreiche Auftritte in seinem bewegten Leben, doch seine letzten dokumentierten Momente wirkten eher erbarmungswürdig:

Abgemagert, ausgezehrt und ein Exemplar der Parteizeitung Granma schwenkend brabbelte der schwerkranke damals 80-Jährige kaum verständlich vor sich hin, um Kuba und der Welt zu demonstrieren, dass er noch existiert und auf seiner Zuckerinsel die Zügel in den zitternden Händen hält. Das traurige Ende eines vielversprechenden Anfangs. Viele mögen sich an den Roman seines Busenfreunds Gabriel Garcia Marquez "Der General in seinem Labyrinth" erinnert fühlen. Einer Parabel auf die lateinamerikanischen Caudillos, deren historisches Vorbild der venezolanische Befreiungskämpfer Simon Bolivar war.

Weggefährte Che Guevara

Bolivar musste am Ende seines Lebens verbittert feststellen, "im Meer gepflügt" zu haben. Auch Fidel Castro war zum Schluss ein einsamer, misstrauischer Mann, der umgeben von Ja-Sagern gegen die Windmühlenflügel des modernen Raubkapitalismus zu Felde zog. Und doch mit ansehen musste, wie selbst auf Kuba der Dollar die Gesellschaft korrumpierte und eine Klasse von Großbürgern schuf. Der Traum seines Weggefährten Ernesto "Che" Guevara vom "neuen Menschen" war gescheitert.

Was bleibt ist ein langes Kapitel der Zeitgeschichte, das mit viel Enthusiasmus begonnen hatte. Damals, am 1. Januar 1959, als die bärtigen Revolutionäre triumphierend in Havanna einzogen, nachdem der militärisch geschlagene Diktator Fulgencio Batista kurz zuvor geflüchtet war. Als Zehntausende auszogen, die bäuerliche Bevölkerung zu alphabetisieren, Schulen und Krankenhäuser fürs Volk zu bauen, und sich anschickten, die Zuckerfabriken und Tabakmanufakturen der ausbeuterischen alten Elite zu übernehmen. Anno 1961 als Castro an der Spitze seiner Volksarmee den von den USA unterstützten Invasionsversuch in der Schweinebucht vereitelte.

1962 als Kuba während der Raketenkrise im Fadenkreuz des Kalten Krieges lag und die ganze Welt mit angehaltenem Atem auf die Karibikinsel blickte. Kuba hat dank Fidel seinen Platz in den Geschichtsbüchern, aber welche Zukunft hat es? Versteinert wie die regierende Gerontokratenclique wirkt der Revolutionspathos heute. Die Medien reproduzieren unisono das feierliche Gedenken an die Errungenschaften der Revolution, deren Reliquien – alte schwarz-weiss Postkarten, zerfledderte Bücher und CDs der revolutionären Bänkelsänger ebenso wie praktisch wertlose kubanische Peso-Münzen mit dem Che-Konterfei – heute in der Hoffnung auf Devisen an Touristen verscherbelt werden.

Umsturzversuche

Lange, manche sagen zu lange, hatte der Comandante das Sagen auf der Zuckerinsel. Fast drei Viertel der elf Millionen Kubaner haben nie einen anderen Staatschef gekannt. Der einst dienstälteste Machthaber Lateinamerikas hat angeblich 600 Attentatsversuche, zehn US-Präsidenten, Invasionen und den Zusammenbruch der Sowjetunion überstanden, die ihn finanziell kräftig unterstützte. Im Jahr 2008 übernahm sein Bruder Raul die Präsidentschaft.

Castro wurde am 13. August 1926 in der Provinz Oriente als unehelicher Sohn eines aus Spanien eingewanderten Gutsherren geboren. Bei den Jesuitenpatern galt er als ehrgeiziger, intelligenter, aber auch jähzorniger Schüler. In den vierziger Jahren organisierte der Jurastudent Proteste gegen Diktator Batista.

Zweimal scheiterten Castros Umsturzversuche. Als er schließlich die Macht übernahm, verwirklichte er seine sozialistischen Vorstellungen. Seither gibt es für Kubaner kostenlose Ausbildung und Gesundheitsfürsorge – davon können andere Latinos nur träumen. Und deshalb erfreute sich der charismatische Comandante bei vielen Kubanern und linken Sympathisanten im Ausland bis zuletzt großer Beliebtheit. Bei internationalen Ereignissen richteten sich stets alle Kameras auf ihn, wenn der letzte Sozialist der westlichen Welt dem Kapitalismus die Leviten las. Doch erkauft wurde der soziale Fortschritt mit politischer Versteinerung: Kritiker und Konkurrenten duldete Castro nie.

Gescheiterte Beziehungen

Anders Denkende waren für ihn "Vaterlandsverräter". Sein Privatleben hielt er stets unter Verschluss und ordnete es den Staatsgeschäften unter. Viele seiner Beziehungen zerbrachen daran – darunter auch die zu seiner Tochter Alina, die verkleidet ins Ausland flüchtete und ihren Vater heute einen "Tyrannen" nennt. Liebschaften wurden ihm viele nachgesagt, verheiratet war er offiziell nur einmal – mit seiner Studienfreundin Mirta Diaz Balart.

Seine große Liebe aber war Celia Sanchez. Sie kämpfte an seiner Seite und galt als eine der wenigen Personen, die es wagten, ihm zu widersprechen. Ihr Krebstod im Jahre 1980 war für Castro eine persönliche Tragödie.

Repressionen

Anfang der 1990er Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schien auch Castros Lebenswerk zu zerbröseln. Die kubanische Mangelwirtschaft konnte selbst er nicht mehr schön reden, es kam zu Protesten – und der geschickte Politprofi Castro ließ die Unzufriedenen in die USA flüchten. Bis heute fürchten die US-Regierungen eine Wiederholung des Exodus. Die ideologische Verhärtung und die immer brutalere Repression seither haben das Regime im In- und Ausland viele Sympathien gekostet. In den letzten Jahren allerdings erlebte Castro so etwas wie einen zweiten Frühling: mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez wuchs ihm ein Ziehsohn heran, der nicht nur Kubas chronisches Energiedefizit mit billigem Erdöl ausglich, sondern der es sich auch zur Aufgabe machte, die Fackel der sozialistischen Revolution hoch zu halten. Das seit 1962 geltende US-Embargo wurde durch Abkommen mit China, Iran und den Ländern des Mercosur (Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay, Venezuela) durchlöchert, mit der Wirtschaft ging es dank des Tourismus und der Geldsendungen ausgewanderter Kubaner an die Verwandten in der Heimat wieder bergauf.

Steht unter Castros lateinamerikanischen Erben ein Revival des Sozialismus bevor oder sind sie nur ein weiteres Kapitel der ewigen Wiederkehr populistischer Strohfeuer? Das wird sich erst noch weisen müssen, ebenso wie die Frage, ob Kubas Tropensozialismus den Verlust des Obersten Kommandanten überleben wird. Castro war noch bis zuletzt damit beschäftigt, seine Nachfolge so zu organisieren, dass alles beim Alten bleibt. Allerdings hatte er selbst in einer seiner letzten großen Reden davor gewarnt, dass "der Feind" nicht von außen kommt, sondern im Innern schlummert. Damit rechtfertigte er die Beschneidung der wenigen wirtschaftlichen Freiheiten, die er den Kubanern aus der Not heraus in den 90er Jahren gewährt hatte.

Immer in der festen Überzeugung, einem wichtigen und guten Ziel zu dienen.

Die Amtsgeschäfte übergab Fidel Castro im Jahr 2008 schließlich krankheitsbedingt an seinen jüngere Bruder Raul, der in den folgenden Jahren als Präsident und ab 2011 Parteichef eine Öffnung des Landes in Richtung Westen umsetzte. Das US-Embargo wurde seitdem gelockert, diplomatische Beziehungen zwischen den einst verfeindeten Ländern 2015 wieder aufgenommen.

"Verurteilt mich, die Geschichte wird mich freisprechen", hatte der junge Fidel seinen Anklägern entgegen geschleudert, als er 1953 wegen eines Umsturzversuches vor Gericht stand. Davon war er bis zuletzt überzeugt. Am Freitagabend ist Kubas Ex-Präsident Fidel Castro im Alter von 90 Jahren gestorben. Das teilte sein Bruder Raul im kubanischen Staatsfernsehen mit. Eine neuntägige Staatstrauer wurde ausgerufen. Beigesetzt soll Castro in in Santiago de Cuba werden. (Sandra Weiss, 26.11.2016)