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Klaus Regling (links) ist überzeugt, dass die Reformumkehr des früheren griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis "viel Zeit und Geld gekostet" habe.

Foto: EPA/Julien Warnand

Seit dem Wahlsieg von Donald Trump hat sich der Anstieg der Zinsen deutlich beschleunigt. In Europa wachsen die Sorgen, dass (einstige) Krisenländer mit hohen Schulden wieder unter Druck geraten. Die Risikoaufschläge auf italienische und portugiesische Staatsanleihen sind bereits merklich gestiegen.

Klaus Regling leitet seit 2012 den Rettungsschirm ESM, davor den Vorläufer EFSF. Er rechnet nicht mit neuen Spannungen in der Eurozone, wenngleich die hohen Schulden einzelner Länder eine Belastung darstellen. Griechenland sieht er neuerlich in der Talsohle. Aus der war das Land schon einmal heraus, allerdings habe die neue Regierung 2014 den Aufschwung abgewürgt: "Das hat viel Zeit und Geld gekostet."

STANDARD: Die Zinsen steigen, vor allem in südlichen Euroländern belastet das die Staatshaushalte. Wird die Währungsunion schon wieder von neuen Spannungen erfasst?

Regling: Nein, Spannungen würde ich das nicht nennen. Bei den Zinsen kommen wir von einem unglaublich niedrigen Niveau. Dass die Zinsen eines Tages wieder höher sein werden, war uns bewusst. Darauf werden sich alle einstellen.

STANDARD: Die Schuldenstände in der Eurozone sind in manchen Ländern enorm, wird die höhere Zinsbelastung einzelne Staaten nicht an die Belastbarkeitsgrenze bringen?

Regling: Natürlich ist die Schuldenproblematik nicht aus der Welt. In der globalen Finanzkrise und kurz danach in der Eurokrise hatten wir eine sehr aktive Fiskalpolitik. Das war eine bewusste Entscheidung der G20- und aller EU-Staaten, nach der Lehman-Pleite gegenzusteuern. Als Resultat sind die Schuldenstände in Europa um gut 30 Prozent der Wirtschaftsleistung höher, als sie vor zehn Jahren waren. Ein Anstieg der Zinsen betrifft natürlich Länder mit hohen Schulden wie Italien stärker als Länder mit niedrigen Schulden. Bei einer Verschuldung von 130 Prozent der Wirtschaftsleistung kommt jede Zinserhöhung den Staat teuer, das ist logisch. Aber es sind sich alle Beteiligten klar, dass die Zinsen nicht auf dem tiefen Stand der letzten Jahre bleiben können.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die Lage in Portugal?

Regling: Wir beobachten die Lage. In Portugal könnten die aktuellen Entscheidungen zu Löhnen, Arbeits- und Urlaubszeiten dazu führen, dass Fortschritte bei der Wettbewerbsfähigkeit wieder rückgängig gemacht werden, die während des Hilfsprogramms erzielt worden waren. Zudem ist dort die Bankenproblematik nicht voll bereinigt.

Regling ist mit dem Budgetkurs in der Eurozone insgesamt zufrieden.
Foto: AFP/Vladimir Simicek

STANDARD: Hätte man die letzten Jahre nicht stärker zur Reduktion der Schulden nutzen müssen?

Regling: Ja, natürlich. Die Chance ist nur von wenigen genutzt worden. Dennoch muss man sehen, dass Haushaltskonsolidierung stattgefunden hat. Das war sicher auch richtig. Die Defizite liegen heute in der Eurozone durchschnittlich unter zwei Prozent des BIP, nach sechs Prozent im Jahr 2010.

STANDARD: Umgekehrt prangern viele Ökonomen und Politiker die Sparpolitik in Europa an, die zu schwachem Wachstum führt.

Regling: Ich würde nicht von schwachem Wachstum sprechen. Es liegt über dem Potenzialwachstum, das aus demografischen Gründen und vielleicht auch wegen der Schuldenstände nicht mehr das Niveau von früher erreicht. Wir müssen uns an ein schwächeres Trendwachstum gewöhnen. Man kann über das Tempo der Konsolidierung trefflich streiten und Land für Land unterschiedlicher Meinung sein, aber alle Mitgliedstaaten waren sich einig, dass nach der fiskalpolitischen Stimulierung 2009 und 2010 eine Konsolidierung notwendig war. Sonst hätten wir ja noch ein Gesamtdefizit von sechs Prozent im Euroraum. Und die Defizite sind ja kräftig zurückgegangen. Man kann also zufrieden sein, insbesondere im Vergleich zu anderen großen Volkswirtschaften wie den USA, Japan oder Großbritannien, wo die Defizite zwei- bis dreimal so hoch sind wie im Euroraum. Innerhalb der Eurozone ist die Lage sehr unterschiedlich. Dass in Deutschland kein Defizit gemacht wird, ist wegen der guten Konjunktur und vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung völlig nachvollziehbar. Dass andere Länder nicht so weit sind, hängt auch damit zusammen, dass sie konjunkturell hinterherhinken. Italien hat übrigens seit Jahren ein Defizit unter drei Prozent. Die Zusage, die Defizite in Richtung null zu bringen, gilt für alle Staaten.

STANDARD: Aber bei Frankreich, Portugal und anderen Staaten werden die Vorgaben jedes Jahr hinausgeschoben.

Regling: Der Fortschritt ist in allen Ländern da.

STANDARD: Hat Griechenland wirtschaftlich die Talsohle durchschritten?

Regling: Ich würde sagen, Griechenland ist wieder in einer neuen Talsohle. Da waren wir 2014 schon einmal, als Wachstum verzeichnet wurde und die Arbeitslosenquote um zwei Prozentpunkte gesunken ist. Der Staat war damals auch wieder in der Lage, Anleihen am Markt zu begeben. Das waren klare Zeichen, dass es mit Griechenland wieder bergauf ging. Dann hatten wir den Rückfall im ersten Halbjahr 2015 mit einer neuen Regierung. Mit einem Finanzminister, der versucht hat, eine völlig andere Strategie zu fahren, die für Griechenland sehr teuer wurde. Viele Reformen wurden rückabgewickelt, weshalb Griechenland wieder in die Rezession gerutscht ist. Das führte dann zum dritten Hilfsprogramm. Jetzt sind wir das zweite Mal in der Talsohle. Wäre Griechenland 2015 auf Reformkurs geblieben, hätte man viel Zeit und Geld sparen können.

STANDARD: Wie zufrieden sind Sie mit der Umsetzung des Programms?

Regling: Das Programm wird zwar langsam und oft verzögert umgesetzt, aber wenn die Reformen konsequent weitergeführt werden, hat Griechenland eine gute Chance, aus der Krise herauszukommen. Es gibt bereits einen Primärüberschuss im Haushalt, die Wettbewerbsfähigkeit ist dank der internen Abwertung durch Kürzung von Gehältern und Renten weitgehend wiederhergestellt worden. Aber es hört nie auf, weitere Reformen am Arbeitsmarkt und Privatisierungen sind notwendig. Aktuell sind Wachstum und Haushaltsentwicklung besser, als im Programm angenommen, das ist erfreulich. Aber es gibt etliche Punkte, wo nachgebessert werden muss. Ich will nicht dramatisieren, aber in den Haushaltsplänen gibt es noch Anpassungsbedarf.

STANDARD: Die Steuereintreibung hat aber noch immer riesige Defizite.

Regling: Die Effizienz der Steuerverwaltung war sehr schwach, das gilt auch für die Verwaltung in Griechenland insgesamt. Das ist auch einer der Gründe, warum wir im dritten Programm sind. Die anderen Staaten, die von uns Hilfen erhielten – Irland, Portugal, Spanien und Zypern –, haben jeweils nur ein Programm gebraucht, um auf die Beine zu kommen, auch weil die Umsetzung in diesen Ländern besser geklappt hat. Bei der griechischen Verwaltung gibt es Fortschritte, da darf man aber keine Wunder erwarten, das ist eine Generationenaufgabe.

STANDARD: Warum werden Besserverdiener und Vermögende so geschont?

Regling: Wenn das so einfach wäre ... Es ist so, dass die Reichen ganz andere Möglichkeiten haben. Ein gutgehender Reeder muss natürlich überall auf der Welt Konten haben. Daher ist es auch viel einfacher, Geld ganz legal zu verschieben. Das in den Griff zu bekommen, ist sehr schwierig. Aber natürlich ist die soziale Akzeptanz von Anpassungsprogrammen sehr wichtig. Und die leidet, wenn die unteren Einkommensschichten sehen, dass die Reicheren leicht davonkommen. Das ist nicht nur ein Ärgernis, das kann auch ein Hemmschuh für die Umsetzung der Reformen sein. Aber es gibt da leider keine Wundermittel.

STANDARD: In Griechenland gibt es aber schon ein paar Spezialfälle, beispielsweise existierende Listen von Personen, die ihr Geld ins Ausland verbracht haben und gegen die nichts unternommen wird.

Regling: Ich bin nicht sicher, dass Griechenland da ein Einzelfall ist. Das gab es bei Krisen in Lateinamerika, Afrika oder Asien auch. Und inzwischen arbeiten die griechischen Behörden an diesen Fällen.

STANDARD: Aber das muss ja nicht unbedingt als Vorbild herangezogen werden.

Regling: Nein, Vorbild ist es nicht. Es ist ein Ärgernis, aber es ist sehr schwierig, das grundlegend zu bereinigen.

STANDARD: Benötigt Griechenland weitere Schuldenerleichterungen?

Regling: Viele haben vergessen, dass Griechenland 2012 die größte Schuldenerleichterung in der Geschichte der Welt erhalten hat. Private Gläubiger haben auf 100 Milliarden Euro verzichtet, und die öffentlichen Gläubiger haben ihre Kreditkonditionen deutlich verbessert. Das bedeutet eine Schuldenerleichterung für Griechenlands Haushalt durch die öffentlichen Gläubiger von über acht Milliarden Euro jährlich. Das ist die Solidarität des Euroraums mit Griechenland. Dafür müssen die harten Anpassungsmaßnahmen ertragen werden. Darum hat Griechenland aktuell auch keine Probleme mit dem Schuldendienst. Aber irgendwann steigen die Rückzahlungen. Wenn das Programm im August 2018 zu Ende geht, wird die Schuldentragfähigkeit analysiert. Wenn Bedarf vorhanden ist, werden wir handeln. Eine Schuldenreduktion ist aber ausgeschlossen und wird auch von den Griechen nicht gefordert. Wenn überhaupt, wird es darum gehen, die Konditionen – ein Beispiel sind die Laufzeiten – noch einmal zu verbessern.

STANDARD: Der IWF sieht das anders.

Regling: Nein, das stimmt nicht. Der Unterschied ist, dass der IWF gern jetzt schon Schuldenerleichterungen beschließen würde, aber einen Schuldenschnitt fordert auch der Währungsfonds nicht.

STANDARD: Könnte hier der Wechsel im Weißen Haus etwas an dem großen Engagement des IWF in Europa ändern?

Regling: Solche Kristallkugelfragen sind schwer zu beantworten. Wir warten alle auf eine Konkretisierung der politischen Vorhaben des neuen US-Präsidenten, auch betreffend den IWF. Ausschließen kann man wohl nichts.

STANDARD: Wie sieht Ihre Zwischenbilanz für die Hilfsprogramme in der Eurozone aus?

Regling: Vier von fünf Ländern haben ihre Programme gut absolviert. Das ist eine Erfolgsgeschichte. Irland, Spanien und Zypern zählen zu den Ländern mit den höchsten Wachstumsraten in Europa. Die Arbeitslosigkeit ist in Irland geringer als vor der Krise, in Spanien fällt sie um drei Prozentpunkte pro Jahr. Da tut sich wirklich was. Diese Länder haben mehr Reformen umgesetzt als fast jedes andere Land der Welt.

STANDARD: Was die Eurozone immer noch massiv belastet, sind die Risiken im Finanzsektor. Warum hinkt die Währungsunion da im Vergleich zu den USA so hinterher?

Regling: Wir haben nicht so radikal und so rasch gehandelt wie die Amerikaner. Die haben ihre Banken wirklich saniert, auch mit großem Aufwand an öffentlichen Geldern. Insgesamt stehen die europäischen Banken heute aber viel besser da als vor der Krise, im Vergleich zu 2008 hat sich das Eigenkapital verdoppelt. Aber es stimmt, viele Banken haben Probleme. Die "non performing loans" sind in Europa hoch, und das drückt die Profitabilität. Allerdings wurden für die notleidenden Kredite zu 52 Prozent Vorsorgen getroffen, dazu kommen Sicherheiten in Höhe von durchschnittlich 60 Prozent. Das heißt, die Probleme sind im Grunde genommen abgedeckt. Im Durchschnitt. Wir haben also keine flächendeckende Bankenkrise, sondern einzelne Probleme in einzelnen Ländern. (INTERVIEW: Andreas Schnauder, 26.11.2016)