Bild nicht mehr verfügbar.

Tayyip Erdoğan erklärte am Freitag, dass er einer Wiedereinführung der Todesstrafe zustimmen werde.

Foto: Reuters/Kayhan Ozer/Presidential Palace/

Nicht überall ist die EU-Außengrenze so hermetisch gesichert wie hier in der Nähe von Malko Tarnowo zwischen der Türkei und Bulgarien. Eine wichtige Schlepperroute führt deshalb über die Ägäis. Für die EU ist das Meer nur schwer zu kontrollieren, für viele Flüchtlinge wird es zur Todesfalle.

Foto: APA/AFP/NIKOLAY DOYCHINOV

Ankara/Brüssel/Athen – Als er seine Drohung ausgesprochen hat, springen die Zuhörer von den Sesseln auf und applaudieren dem Staatschef stehend. Tayyip Erdoğan hat es nun erstmals öffentlich gesagt, und in einer so deutlichen Form, dass es den Europäern in den Ohren klingt: "Hören Sie mir zu. Wenn Sie noch weiter gehen, werden die Grenzen geöffnet, merken Sie sich das!" Für Empörung sorgte auch Erdoğans Ankündigung, er sei bereit zur Wiedereinführung der Todesstrafe, sollte das Parlament sie vorlegen.

Der türkische Staatspräsident, der Europa zurechtweist, sonnt sich im Hochgefühl der Stärke. Der umstrittene Pakt mit der EU vom März dieses Jahres – Geld und Visafreiheit für die Türken gegen die Rücknahme von Flüchtlingen – ist sein Druckmittel. "Sie können uns nicht drohen", versichert Erdoğan am Freitag in seiner Rede in Istanbul den Zuhörern. Den Europäern sind die Hände gebunden, soll das heißen. Sie haben Angst vor der Flüchtlingswelle. Als im vergangenen Jahr 50.000 Migranten vor Kapikule standen, dem türkischen Grenzübergang ins EU-Land Bulgarien, da habe die EU um Hilfe gerufen, sagte Erdoğan. "Sie haben begonnen, sich zu fragen: Was machen wir, wenn die Türkei ihre Grenzen öffnet?"

Wut über Resolution

Geht die EU nun weiter in ihrer Kritik an Erdoğan, wird der türkische Staatschef das Flüchtlingsabkommen aufkündigen. Die Resolution des Europaparlaments vom Donnerstag hat ihn sehr wohl getroffen. Mit großer Mehrheit hatten die Abgeordneten in Straßburg die EU-Kommission und die Mitgliedsländer der Union aufgefordert, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wegen der fortgesetzten Repressionen im Land einzufrieren. Erdoğan nannte die rechtlich nicht bindende Resolution "wertlos". Dem Europaparlament hat er schon lange die Legitimation abgesprochen.

Drei bis dreieinhalb Millionen Flüchtlinge seien derzeit in der Türkei, so erinnerte Erdoğan am Freitag die Europäer. 2,7 Millionen von ihnen kommen nach Angaben des UNHCR aus Syrien. Weniger als zehn Prozent leben in den Lagern nahe der türkisch-syrischen Grenze; die anderen schlagen sich mit ihren Familien in den türkischen Städten durch. Bettelnde syrische Kinder gehören längst zum Straßenbild in Istanbul. Berichte über die Ausbeutung syrischer Arbeiter in türkischen Fabriken finden ab und zu ihren Weg durch die von der Regierung kontrollierte Medienwelt.

Streit ums Geld

Das Geld ist ein dauernder Streitpunkt. Die türkische Führung tischt ihn der Öffentlichkeit ständig auf. Von den drei Milliarden Euro, die Brüssel versprochen habe, seien nur "ungefähr 750 Millionen" gekommen, gibt Erdoğan in seiner Rede in Istanbul an.

Dass es eine sukzessive Auszahlung ist, die sich nach den Bedürfnissen der syrischen Flüchtlinge richtet, aber die Kooperation der türkischen Behörden voraussetzt, verschweigt er. 550 Millionen Dollar habe die Uno bisher nur beigesteuert, die Türkei jedoch zahlte aus eigenen Mitteln bereits 15 Milliarden Dollar für die Versorgung der Flüchtlinge im Land.

Das Flüchtlingsabkommen hat die Zahl der gefährlichen Überfahrten von der türkischen Küste zu den griechischen Inseln deutlich verringert. In der Nacht auf Freitag registrierten die griechischen Behörden sogar wieder keine einzige Ankunft von Flüchtlingen auf den Inseln der Ostägäis.

Übervolle Lager

Doch die Lager von Lesbos bis Rhodos sind seit Monaten ohnehin übervoll. An ein Ende des Flüchtlingspakts mit der EU will die Regierung in Athen gar nicht erst denken. "Es gibt keinen Plan B", sagt Giorgos Kyritsis, der Leiter des Krisenstabs, dem Standard. Eine Wiederholung von 2015 schließt er kategorisch aus: "Griechenland kann auf keinen Fall eine neue Flüchtlingswelle auf den Inseln aufnehmen. Wenn dieses Abkommen scheitert, dann scheitert es für ganz Europa."

Brüssel wie Berlin zeigten sich unbeeindruckt von Erdoğans Drohungen. "Die EU-Türkei-Vereinbarung betrachten wir als gemeinsamen Erfolg", sagte eine Sprecherin der deutschen Bundesregierung. Die grüne Nationalratsabgeordnete Alev Korun erklärte hingegen, der "beschämende Deal" der EU mit Erdoğan sei nun an sein Ende gekommen. (Markus Bernath, 25.11.2016)