Superamas verlegen die Revolution auf den Catwalk.


Foto: Superamas

Wien – Ein von sattem Sound geölter Catwalk. Models staksen im Blitzlichtgewitter über den Laufsteg. Über ihnen schwebt, in rosa Licht gebadet, eine Reproduktion des Gemäldes Die Freiheit führt das Volk von Eugène Delacroix. Die neue Produktion Vive l’Armée! des Performancekollektivs Su peramas in der Tanzquartier-Halle G beginnt als Modenschau im Pariser Louvre.

Am Ende ihrer Katzenrampe werden die Schönen gefilmt. Diese Rampe ist das Gegenmodell zu dem Pfad aus Leichen, über den 1830 bei Delacroix die Marianne als französische Allegorie der Freiheit stürmt: mit bloßen Füßen, halbnackt, Trikolore in der einen, Gewehr in der anderen Hand. Auf dem Kopf trägt die Heldin eine Jakobinermütze.

Die Models bei Vive l’Armée! tragen Military, Glitzerzeug, die eigene Haut und ebenfalls die Dreifarbenflagge zu Markte. Eine ganz in Ökonomie verstrickte Politsociety plappert, ein Jean-Paul Gaultier gibt eine weitere Allegorie ab: die der Eitelkeit. Die Modemetapher erinnert an das Jakobinerkapperl, das der phrygischen Mütze nachempfunden war. Diese verwechselten die für ihre Terrorherrschaft 1793/94 berüchtigten Robespierre’schen Revolutionäre mit dem Pileus, der Kopfbedeckung freigelassener Skaven im alten Rom. Die antike phrygische Mütze dagegen bestand aus einem gegerbten Stierhodensack, dem entsprach auch ihre Bedeutung.

Provokant und brillant

Unerbittlich kreuzt Superamas die Dekadenz des Kapitalismus mit der Dummheit eifernder Revolutionäre. Choreografische Liveperformance wird mit Theaterszenen und Ausschnitten aus Stanley Kubricks Film Paths of Glory gemischt und diese wieder mit Videos, die Interviews und ein Antikriegsprojekt zeigen, an dem französische Jugendliche beteiligt waren.

Ort der fiktiven Handlung im Stück ist ein Frankreich unter autoritärer Führung. Rebellen nehmen Geiseln in der Modenschau. Szenen aus der Kommandozentrale einer Antiterroreinheit und deren Sturm auf das Versteck der Rebellen persiflieren Suspense. Verzerrt werden diese Szenen durch Verfremdungen bis hin zu Anspielungen auf Samuel Becketts Choreografie Quad I.

In Vive l’Armée! wird historische Dynamik aufgerührt: Die Zusammenhänge zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Terrorismus von heute, zwischen Unterhaltung und Unterdrückung, Kultur und Kontrolle. Hier zeigt das 1998 gegründete französisch-österreichische Kollektiv nach längerer Durststrecke wieder seine künstlerischen Stärken.

Eine provokante und brillante Arbeit, deren Uraufführung ihr Publikum nach einem geradezu überirdischen Schluss zu heftigem Applaus hingerissen hat. (Helmut Ploebst, 25.11.2016)