Sind Sie enttäuscht darüber, dass so viele Frauen für den US-amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump statt für seine Konkurrentin Hillary Clinton gestimmt haben? Und das, obwohl er aus seinem eklatanten Sexismus und seiner Frauenverachtung kein Hehl gemacht, sondern sich damit wie mit vielen anderen seiner zahllosen charakterlichen Schwächen gleichsam gepanzert hat? Finden Sie auch wie die ehemalige Außenministerin Madeleine Albright, dass es in der Hölle einen speziellen Platz für Frauen gibt, die anderen Frauen nicht helfen?

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Oder sind Sie womöglich gar nicht so ein linksgrün versiffter Gutmensch wie ich und meinen, mit Trump habe es schon den Richtigen getroffen? Ich jedenfalls habe mich geärgert. Über das Wahlergebnis. Über die Stimmen derjenigen, die es eigentlich hätten besser wissen müssen. Und nicht zuletzt über mich.

Jenseits von Geschlecht

Unabhängig davon, ob President-elect Trump jetzt Kreide frisst und das System der checks and balances die überzogensten seiner Forderungen wieder einfängt: Ähnlich wie bei der Brexit-Entscheidung scheinen viele Menschen in den USA Trumps Wahlsieg zum Anlass zu nehmen, um ihrem Rassismus und ihrer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit offen zu frönen.

Vor diesem Hintergrund wäre doch zumindest von denjenigen, die im besonderen Maße von Trumps Anfeindungen und angekündigten Repressalien betroffen sind, zu erwarten gewesen, dass sie nicht gegen ihre eigenen Interessen stimmen. Das habe ich zumindest angenommen und bin damit in die Falle getappt. Ich habe Partikularinteressen zu einem Universalinteresse verschnürt und dort vergemeinschaftet und vereinnahmt, wo bestimmte Schichten ein spezifisches Wahlverhalten haben. Ganz allgemein hatte ich einfach gehofft, Frauen seien nicht so kurzsichtig wie Männer. Das ist jedoch nicht nur falsch, sondern auch sexistisch. Falsch, weil es sehr wirkmächtige gruppenkonstituierende Merkmale jenseits von Geschlecht gibt. Alter, Hautfarbe, Klasse, Vermögen, Bildung et cetera. Befürworterinnen von Trump haben sehr deutlich darauf hingewiesen, dass sie nicht einsehen, Clinton zu wählen, nur weil sie zufällig die gleichen Körperteile haben.

Gefühlte Wahrheiten statt Fakten

Sexistisch, weil sich Frauen selbstverständlich genauso postfaktisch verhalten können wie Männer. Also warum sollten sie nicht jemanden wählen, weil sie ihn aus dem Fernsehen kennen und er sie an ihren Opa erinnert? Oder eben jemanden nicht wählen, weil sie immer so komisch schaut?

Diese Postfaktizität ist übrigens kein aktuelles Phänomen, auch wenn gerade viele das "postfaktische Zeitalter" heraufdämmern sehen und deshalb eine mediale und gesellschaftliche Neuaufstellung fordern. Gefühlte Wahrheiten waren immer schon ein wesentlich größerer Bestandteil unserer Entscheidungsfindungsprozesse als Fakten. Sie lassen sich jetzt nur besser belegen und bloßstellen. Aber wenn wir zu sehr der Versuchung erliegen, die Entscheidungen einer wie auch immer gearteten Gegenseite als postfaktisch zu belächeln, dann maskieren wir damit nicht nur den Gefühlsursprung unserer eigenen Wahrheiten, sondern täuschen uns über Wucht und Wirkung der belächelten Entscheidungen hinweg. Siehe President-elect Donald Trump.

Initiative #frauengegenhofer

Das alles erzähle ich Ihnen, weil Sie am 4. Dezember selbst so eine Wahl vor sich haben, die – wieder einmal – von Postfaktizität gekennzeichnet wird. Die Fakten sprechen zwar eine eindeutige Sprache. Wenn man sie direkt in die Gesichter von Wählerinnen spricht, wie es die Initiative #frauengegenhofer dankenswerterweise gemacht hat, müsste die Entscheidung leichtfallen.

Frauen gegen Hofer

Aber sie sprechen sehr leise. Gefühlt finden viele Wähler und eben auch Wählerinnen das Frauenbild des Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer entweder richtig oder nicht so wichtig. Während es mir ein Leichtes ist, die Aussagen von Hofer und seinen Parteifreunden mit ihren wildgewordenen Penisfantasien für so eklig zu halten, wie es die angesprochenen Passantinnen tun, muss ich zugleich die Erkenntnis stemmen, dass Menschen sich nach jemandem sehnen können, der Sachen sagt wie:

"Der vom Thron des Familienoberhaupts gestoßene Mann sehnt sich unverändert nach einer Partnerin, die trotz hipper Den-Mädels-gehört-die Welt-Journale in häuslichen Kategorien zu denken imstande ist, deren Brutpflegetrieb auferlegte Selbstverwirklichungsambitionen überragt."

Oder ihn unterhaltsam finden. Oder nicht so ätzend wie seinen Kontrahenten. Um damit die Eingangsfrage abschließend zu beantworten: nein! Frauen müssen nicht besser wählen, es nicht qua Betroffenheit eigentlich besser wissen und kein Bollwerk gegen Sexismus bilden. Aber schön, wenn sie es trotzdem machen. (Nils Pickert, 27.11.2016)