Das Vermögen der Bürger anknabbern, um die Staatskasse zu füllen. Das ist die Idee hinter der Finanztransaktionssteuer. Von einer einheitlichen Umsetzung selbiger ist die EU aber noch weit weg.

Foto: Lukas Friesenbichler

Steuern sind meist ein unangenehmes Thema, doch in Europa hat sich die Mehrheit der EU-Bürger scheinbar damit abgefunden, dass sich ihre Politiker immer wieder neue Abgaben einfallen lassen. Eine mittlerweile ganz beliebte Zielgruppe sind Kapitalanleger, wobei immer wieder betont wird, dass es natürlich in erster Linie nur sehr Vermögende treffen soll. Die Praxis ist aber eine andere, denn bereits die Kapitalertragsteuer von 27,5 Prozent belastet alle Kapitalanleger. Ausgenommen sind nur noch Sparbücher, bei denen die KESt bei 25 Prozent liegt.

Vor diesem Hintergrund gilt es eine neue Steuer zu begutachten, die ein Teil der EU-Staaten einführen will. Die sogenannte Finanztransaktionssteuer (FTS) soll noch heuer unter Dach und Fach gebracht werden. Im Dezember könnte ein Gesetzesentwurf gebilligt und die Abgabe womöglich ab 2018 erstmals erhoben werden. Damit würde sich der Kreis einer Entwicklung schließen, die ihren Ursprung in der Londoner Konferenz der G20-Staaten vom April 2009 zur Finanzkrise nahm.

Unter dem Eindruck der damals hochdramatischen Entwicklungen an den Finanzmärkten erklärten sich alle wichtigen Industriestaaten (also nicht nur jene der EU) zu härteren Kontrollmaßnahmen gegenüber dem Finanzsystem bereit. Die FTS gehörte zu diesen "Disziplinarinstrumenten", die dabei ausdrücklich genannt wurden. Sie wird seit Anfang der 1970er-Jahre bereits unter dem Begriff Tobin-Steuer international diskutiert.

Vorbild Tobin-Steuer

Bereits 1972 brachte der US-Wirtschaftswissenschafter James Tobin (1918–2002) die Idee einer internationalen Steuer auf Devisengeschäfte auf. Tobin wollte damit die kurzfristige Spekulation auf Währungsschwankungen eindämmen. Er hoffte dadurch zu erreichen, dass die Wechselkurse von Währungen stärker die langfristigen realwirtschaftlichen Phänomene als die kurzfristigen spekulativen Erwartungen widerspiegeln.

Die nun in Rede stehende Abgabe soll sich vor allem auf den Handel mit Finanzprodukten wie Aktien und Derivaten konzentrieren. Weil sich in den vergangenen sieben Jahren kein Rückhalt für eine welt- oder auch nur europaweite Einführung fand, wollen nun zehn EU-Länder allein mit der Erhebung beginnen.

Neben Deutschland als treibende Kraft sind dies Österreich, die Slowakei, Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien, Slowenien, Portugal und Spanien. Diese Steuer soll möglichst alle wesentlichen Finanzinstrumente umfassen und könnte z. B. 0,1 Prozent auf Aktien und Anleihen beziehungsweise 0,01 Prozent auf Derivate betragen. Allerdings gibt es noch keine genauen Steuersätze, und selbst die einheitliche Einführung in allen zehn Ländern ist noch nicht sicher.

Anlass zur Besorgnis

Theoretisch könnte die FTS auch auf alle Sparbuchtransaktionen, Bankomatabhebungen und Kontoein- und -auszahlungen angewendet werden, auch wenn davon bisher keine Rede ist. Doch allein die Möglichkeit einer Ausweitung dieser Steuer sollte Anlass zur Besorgnis geben. Zwar werden die meisten Länder sich wegen des starken Wettbewerbs mit weiteren Maßnahmen vorläufig zurückhalten, doch im Bedarfsfall stünde einer raschen Ausweitung der Steuer dann nichts mehr im Wege.

Aber nicht nur der normale Kapitalanleger, auch Bürger, die für ihr Alter vorsorgen wollen, wären indirekt von der FTS betroffen. So soll nach vorläufigen Planungen der Finanzminister als Bemessungsgrundlage die Bruttoanlagesumme festgesetzt werden, mögliche Verluste werden sich aber wohl nicht gegenrechnen lassen können. Zudem würde die Steuer laut Finanzexperten dem Wesen nach einer Substanzbesteuerung nahekommen, was angesichts der Besteuerungsart zu einer Doppelbesteuerung eines einzelnen Gutes (in diesem Fall des Kapitals) führen würde.

Allein dies zeigt, auf welch dünnem Eis sich die Finanzpolitik in Europa mit der geplanten Abgabe bewegt, denn mögliche Ungleichbehandlungen bei der Besteuerung würden entsprechende Klagen ziemlich sicher nach sich ziehen. Dabei beklagen sich die Finanzpolitiker in den meisten europäischen Ländern bereits ohnehin seit langem, dass vor allem die unteren Einkommensklassen kaum noch Eigenvorsorge für das Alter treffen können.

Die Hartnäckigkeit, mit der die Einführung der FTS in Teilen Europas betrieben wird, erinnert aber eher daran, dass es vor allem jenen Staaten mit klammen Staatskassen darauf ankommt, eine weitere Einnahmequelle zu erschließen. Weshalb es aber ausgerechnet in Griechenland, Frankreich, Italien oder Belgien zu höheren Einnahmen kommen sollte, bleibt ein Rätsel. Denn der Börsenhandel dort ist ohnehin eine kaum noch zu beachtende Größe, vergleicht man dies mit Ländern wie Deutschland, Großbritannien oder den USA.

Weil es sich aber um ein Prestigeprojekt vor allem der deutschen und französischen Regierung handelt, will man zum Beispiel Ausnahmen für Derivate zulassen, die sich auf Staatsschulden beziehen. Auch das zeigt, dass es hier nicht um eine einheitliche Bewertung und Kontrolle des Derivatehandels geht, sondern um eine subjektive Bewertung durch die Politik – schlichtweg um eine populistische Maßnahme. (Andreas Wolf, Portfolio, 21.12.2016)