Woran liegt es, dass weite Teile der Berufstätigen im Job noch immer so schlecht mit Gefühlen zurande kommen?

Illustration: David Mathews

Die Budgetverhandlung mit der Abteilungsleiterin am Tag vor ihrem Urlaubsantritt; die Kündigung, die dem Mitarbeiter von Kollegen "ausgerichtet" wird, statt vom Chef persönlich nähergebracht; der Vorstand, der wutschnaubend mit dem Fuß aufstampft und ein Team lautstark vor dem anderen abkanzelt; die Chefin, die unvermutet Kraftausdrücke verwendet, wenn es ihr nicht schnell genug geht; die Verkäuferin, die alles tut, um einen Verdacht auf die beliebte Kollegin zu lenken. Alles keine Seltenheit, auch heute noch – obwohl klar ist: Emotionale und damit soziale Kompetenz geht anders.

Gefühle im Berufsalltag zu zeigen galt lange Zeit als Tabu und unprofessionell. Das hat viele Menschen bisher nicht gehindert, ihre Gefühle ungefiltert am Arbeitsplatz abzuladen. Das andere Extrem: Runterschlucken, In-sich-Hineinfressen – beides sind dysfunktionale Verhaltensweisen. Sie erschweren es, Konflikte zu lösen, machen miese Stimmung und gehen damit zulasten der Produktivität.

Dies gilt besonders für die "starken" Gefühle. "Die Gefühlsebene dominiert immer die Sachebene", erklärt Josef Fesel, nach langen Jahren im Bereich Human Resources in diversen Branchen nun als Partner bei Komunariko für Organisations- und Managementberatung tätig. "Die Fähigkeit, eine starke Emotion bei sich zu lassen und nicht übergriffig zu reagieren, ist noch sehr wenig verbreitet."

Gefühle anerkennen

Für Vivian Dittmar, Referentin und Seminarleiterin zum Thema Gefühle, ist die emotionale Kompetenz unter anderem die Fähigkeit, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und so zu steuern, dass sie der jeweiligen Situation angepasst werden können, sowie die Gefühle anderer zu erkennen und mitzufühlen und Emotionen bei sich selbst und anderen zu unterscheiden. Heute weiß man, wie wichtig die darauf basierende soziale Kompetenz für den wirtschaftlichen Erfolg ist – als Führungskraft, als Team, als Unternehmen.

"Gefühle werden schön langsam nicht mehr ausgeblendet, sie finden Anerkennung", sagt Dittmar. Vor allem eine Führungskraft soll heute Stressmanagement und Gefühlsregulation beherrschen. Und die Kollegen untereinander sollen diese Fertigkeiten ebenfalls zusehends leben. Es würde sich lohnen: Der US-Organisationspsychologe Kim Cameron, der das Center for Positive Organizations an der Uni Michigan gründete, zeigt auf: "Die meisten Menschen gehen davon aus, dass gutes ,Leadership' bedeutet, Einfluss zu haben; wer also meint, ein charismatischer Chef zu sein, glaubt, dass deshalb das Unternehmen besser läuft."

Jedoch hat Cameron empirisch nachgewiesen, dass "positive Energie" den Einfluss um den Faktor vier übertrumpft. Das bedeutet, dass positiv energetisierende ,Leadership', beruhend auf authentischer, respektvoller und offener Kommunikation, auch signifikant bessere Unternehmensergebnisse bringt, meint Fesel.

Herausforderungen der Globalisierung

"Wenn es um Gefühle in der Wirtschaft geht, geht es um zweierlei", sagt Fesel: "Wie wird mit negativen Gefühlen umgegangen, gibt es konstruktive Bewältigungsstrategien, und zweitens, wie wichtig ist der Führung, dass starke positive Gefühle wie Begeisterung, Risikofreude, Mut, Verbindung, Spaß entstehen können und gepflegt werden". Nur wenige Führungskräfte "managen Energie", sie managen Kommunikation oder Einfluss.

"Dabei sind wir gefordert wie nie zuvor", betont Dittmar, vor allem auch beruflich: immer kürzere Innovationszyklen, immer schnellere Arbeitsvorgänge und -abläufe, Informationsverbreitung und -verarbeitung, die Digitalisierung, immer schwierigere Unternehmensfinanzierung. Zeitgleich steigt der Druck, nachhaltig und transparent zu wirtschaften, heißt es auf der Website des Neurobiologen Gerald Hüther und Organisationsberater Sebastian Purps-Pardigol, auf der sich zahlreiche Positivbeispiele finden.

Kaum jemand, der um die Herausforderungen der Globalisierung herumkommt; viele Manager wüssten, dass dieser rapide Anstieg von Komplexität die größte Herausforderung ist, der sich Unternehmen stellen müssen. Dittmar: "Wir können die wenigsten Arbeitsschritte und -vorgänge einzeln bewerkstelligen. Daher müssen wir kollektive Intelligenz erlernen. Nur wenn (im Idealfall Best-)Leistungen sinnvoll verknüpft werden, statt in Konkurrenz zu münden, stellt sich nachhaltiger Erfolg ein. Kooperations- und Teamfähigkeit sind heute als Erfolgsgarant anerkannt – in unserer westlichen (Berufs-)Kultur beginnt man sich von künstlichen, hierarchischen Strukturen zu verabschieden."

Lerndefizit

Doch woran liegt es, dass weite Teile der Berufstätigen im Job noch immer so schlecht mit Gefühlen zurande kommen? Schlicht daran: Wir haben es nicht gelernt, weder zu Hause noch im Bildungssystem. Letzteres fördert Kooperation immer noch kaum – und im Job soll man aber auf einmal teamfähig sein. Unternehmen lassen ihren Mitarbeitern daher immer häufiger Schulungen angedeihen, wo diese Kompetenzen "nachgerüstet" werden.

Dem pflichtet Fesel bei, sieht aber eine Polarisierung: Die Unternehmen, denen Menschenorientierung wichtiger wird, die "agilen Unternehmen", werden zahlreicher. Gleichzeitig dürften wegen des wirtschaftlichen Drucks viele Betrieben in ihrem Stil zurückfallen. In jenen Branchen, die traditionell weniger menschenorientiert seien, könnte sich diese Tendenz derzeit ausgeprägter entwickeln – unwillkürlich fällt einem da der Finanzsektor ein.

"Auch börsennotierte Konzerne haben es aufgrund der Vierteljahrestaktung schwerer", das kurzfristigere Denken sei selten mitarbeiterorientiert, meint Fesel, der davon überzeugt ist, dass sich auch unpopuläre Maßnahmen wie Kündigungen mitarbeiterfreundlich kommunizieren lassen.

Alles steht und fällt damit, dass wir Verantwortung für unsere Gefühle und den Umgang mit ihnen übernehmen, sagt Dittmar, vor allem, wenn es um die echt schwierigen geht. Sie hat den Gefühlskompass entwickelt – ein Modell, in dem die fünf Grundgefühle (Freude, Angst, Trauer, Wut, Scham) angeordnet sind und mit dem sich auch Führungskräfte binnen kürzester Zeit emotional öffnen. "Wir brauchen alle fünf. Fehlt eines, muss es von einem anderen Gefühl übernommen werden, und das führt zu Problemen", so Dittmar. (Linda Benkö, Portfolio, 2016)