Foto: Universal Music

Wien – Die Rolling Stones haben nie ein Geheimnis daraus gemacht. Speziell in den Anfängen ihrer Karriere vor einem halben Jahrhundert ließen sie sich musikalisch vor allem von afroamerikanischen Blues- und Rhythm-'n'-Blues-Musikern beeinflussen.

Hatten Spaß im Studio bei den Aufnahmen für ihr neues Album "Blue & Lonesome": Mick Jagger und Keith Richards.
Foto: Universal Music

Willie Dixon, Muddy Waters, Little Walter, Jimmy Reed, Howlin' Wolf, Slim Harpo, Elmore James befeuerten Anfang der 1960er-Jahre die jungen Londoner Musiker, die sich nach einem Muddy-Waters-Song Rolling Stones benannten. In den Clubs, in denen die Band damals spielte, standen Klassiker aus Übersee wie Willie Dixons Little Red Rooster oder I Just Want To Make Love To You ebenso auf dem Programm wie Slim Harpos I'm A King Bee oder Dust My Broom von Elmore James.

Es folgte eine Weltkarriere der Rolling Stones, die diese Grundlagen in ihren Eigenkompositionen weiterentwickelten, allerdings nie verschwiegen, wem sie ihre Anfänge verdanken. Bekannte Eigenkompositionen wie Midnight Rambler, Teile des Albums Exile On Main Street und selbst die ab Mitte der 1970er eingeleitete, speziell auch künstlerisch dekadente Phase mit Disco, Reggae und Punk verwiesen immer wieder auf den Blues als Ausgangspunkt.

Elf Jahre nach ihrem letzten Studioalbum A Bigger Bang sowie Welttourneen mit dem immergleichen Best-of-Programm sind die Rolling Stones wieder einmal in ein Studio gegangen, um neue eigene Songs aufzunehmen. Weil das aber irgendwie anstrengend war, machte man zur Auflockerung mit alten Bluessongs herum. Plötzlich zündete der Funke. Charlie Watts riss es hinter dem Schlagzeug aus dem Halbdämmer. Ron Wood waren die Akkorde der alten Hadern halbwegs schnell beigebracht. Mick Jagger googelte, was man alles noch covern könnte – und Keith Richards ließ die Finger krachen, damit sie etwas gelenkiger werden.

The Rolling Stones

Die zwölf Songs des rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft veröffentlichten Blue & Lonesome wurden in nur drei Tagen live aufgenommen. Sie kommen weitgehend ohne Overdubs aus und legen das Hauptaugenmerk auf weniger bekanntes Material aus der klassischen Zeit des Chicago-Blues. Damit kommen die Rolling Stones mit Gast Eric Clapton an der Gitarre gegen Ende einer langen Dienstfahrt nicht nur wieder zum Ausgangspunkt ihrer Karriere zurück. Wie der forsche und virile Ansatz der roh belassenen Songs zeigt, legen die Stones auch ihre übliche routinierte Routine ab, sich also richtig ins Zeug. Vom herkömmlichen Usus altgewordener Rockmusiker, sich gegen Ende ihrer Karrieren wieder mit dem Blues im gemütlichen Tempo zu beschäftigen, sind Songs wie I Gotta Go oder der an John Lee Hooker erinnernde Stampfer Hate To See You Go weit entfernt.

Die zart verstimmten Gitarren, oft auch hörbar dreckig mit Gichtfingern gespielt und von Mick Jaggers entschlossenem Fotzhobelspiel befeuert, dürften damit weihnachtlich beschenkten Rockopis da draußen definitiv Spaß machen. So frisch haben die Rolling Stones seit ungefähr 1980 nicht mehr geklungen. Dass diese steinalten Bluesnummern jüngeren Generationen verschlossen bleiben dürften, macht ja nichts. Wer die wirklich gültige Version dieses neuen Rolling-Stones-Albums hören möchte, sollte übrigens zu einem anderen Comeback in alter Frische zurückgreifen. Muddy Waters veröffentlichte 1977 nach Jahren in der Versenkung unter der Regie Johnny Winters das Killeralbum Hard Again. Besser geht Blues nicht. (Christian Schachinger, 25.11.2016)