Wien: "Fahr fair"

WIENER LINIEN GmbH & Co KG

Berlin: "Is mir egal"

Weil wir dich lieben

Die Wiener Linien haben sich entschieden, den öffentlichen Raum mit Plakaten zu versehen, auf denen Menschen mit angefressenen oder verachtenden Gesichtsausdrücken zu sehen sind, daneben Slogans wie "Sie kotzt es an" und "Ihm stinkt's". Man fragt sich, wie es zu dieser Entscheidung gekommen ist. Der inhaltliche Hintergrund der "Fahr fair"-Kampagne ist laut Unternehmensangaben, Fairness und Rücksichtnahme zu fördern. Okay. Aber welche strategische Kommunikationsidee steckt dahinter, die Kampagne nicht positiv-förderlich, sondern negativ-ablehnend anzulegen – besonders in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Spaltung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit?

Toleranz vermitteln

Geht es in der Kampagne tatsächlich um ein besseres Zusammenleben? Denn genau das Gegenteil wird damit initiiert. Menschen kommen durch diese Anzeigen erst auf die Idee, wodurch sie sich belästigt fühlen dürfen. Und sie werden dazu ermuntert, darauf genervt zu reagieren. Plakativ gesprochen: Jetzt kann einen jeder bestätigt anfahren, wenn man ein Dosenbier auf dem Weg zu einem Konzert trinkt.

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben im Vergleich dazu bewusst eine Kampagne gewählt, die eine tolerante Haltung gegenüber anderen Menschen im öffentlichen Verkehr vermittelt. Die Wiener Linien jedoch unterstützen eine Kultur des ablehnenden Umgangs miteinander.

Laboratorium der Gesellschaft

Dabei nehmen die Wiener Linien eine entscheidende Rolle in der Gesellschaft ein. Sie sind Gastgeber von Räumen, in denen komplett unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen. Menschen, die nie miteinander in Kontakt kommen würden, sind gezwungen, auf engem Raum Zeit miteinander zu verbringen. Der öffentliche Verkehr ist ein Laboratorium der Gesellschaft. Das ist ein unglaubliches Privileg.

Liebe Wiener Linien, wie gehen Sie mit diesem Privileg um? Sie könnten in solchen Kampagnen einen toleranten Ansatz verfolgen, dem ein kollektives Verantwortungsgefühl und ein konstruktiver Umgang miteinander zugrunde liegen – und nicht die Angst vor Strafe oder der Wut oder dem Hass der anderen. Oder eben Distanz und Ablehnung zwischen den Fahrgästen forcieren und Aufsichtspersonen einsetzen, die das Verhalten der Fahrgäste kontrollieren und zum Teil bestrafen.

Ich verbringe jeden Tag Zeit in öffentlichen Verkehrsmitteln und würde erwarten, dass der positive Umgang und das wohlgesinnte Aufeinanderzugehen der Fahrgäste von Interesse sind. Es liegt an den Wiener Linien, diese Atmosphäre zu befördern. (Laura Wiesböck, 24.11.2016)