Wir hinterlassen den Menschen der Zukunft eine Umwelt, die von Raubbau und Zerstörung geprägt ist. Seit dem 20. Jahrhundert machen sich Philosophen Gedanken darüber, wie sich eine moralische Verpflichtung gegenüber den Nachgeborenen begründen lässt.

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Monika Betzler ist Philosophin an der Maximilians-Universität München.

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Wien – Der massive Einsatz von Ressourcen, der einem Teil der Weltbevölkerung ein Leben in – teils unverhältnismäßig hohem – Wohlstand ermöglicht, zeigt langsam seinen wahren Preis. Welche Auswirkungen die Ausbeutung fossiler Energieträger hat, beginnen wir erst heute, 200 Jahre nachdem die ersten Kohleflöze abgebaut wurden, in voller Tragweite zu verstehen. Jene, die diesen Rohstoff erstmals verwerteten, hatten keine Versauerung der Meere oder schmelzende Polkappen im Blick. Wie auch?

Die technologische Wirkmächtigkeit der Menschen ist gestiegen. Der potenzielle Einfluss auf die globalen Ökosysteme reicht bis zur vollkommenen Zerstörung der eigenen Lebensgrundlage. Welche Folgen lösen wir heute aus, die in weiteren 200 Jahren zum Problem werden? Und sollen uns diese Probleme überhaupt kümmern? Immerhin sind es nicht unsere Probleme, sondern jene der zukünftigen Menschen. Warum sollten uns die Interessen derer, die nach uns leben, etwas angehen?

Moralische Überforderung

Monika Betzler, Philosophin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, stellt sich diese Fragen in ihrem Keynote-Vortrag, den sie am Donnerstag bei den Zukunftsgesprächen an der FH Campus Wien halten wird. Unter dem Titel "Die Grenzen der Wohlstandsgesellschaft" kommen Wissenschafter verschiedener Disziplinen zusammen, um "über ethisch-moralisches Handeln im Kampf gegen den Klimawandel und für einen nachhaltigeren Umgang mit der Welt und ihren Ressourcen" zu diskutieren.

Wie kann man also ein ethisches Handeln begründen gegenüber Menschen, die noch gar nicht geboren sind, aber denselben Planeten als Lebensgrundlage haben? Es würden durchaus auch Einwände gegen die Berücksichtigung jener, die nach uns kommen, vorgebracht, sagt Betzler. Etwa die moralische Überforderung angesichts dieser Aufgabe: Wie sollen wir jenen Abermilliarden Menschen, die mutmaßlich noch kommen werden, Rechnung tragen, wo wir doch nichts über sie wissen und keine Beziehung zu ihnen haben? Niemand weiß, welche Bedürfnisse ein Mensch in 500 Jahren haben wird. Die Menschen sind bereits oft mit dem moralischen Umgang mit Zeitgenossen überfordert. Klar ist: Zu anspruchsvoll können und dürfen unsere Pflichten nicht sein.

Egoistische Interessen

Können wir nicht auf den technologischen Fortschritt vertrauen, der die künftigen Menschen befähigt, Kohlendioxid aus der Luft zu ziehen oder auf den Mars umzuziehen? Für Betzler sind solche Einwände "schöne Szenarien, die dazu führen, dass man sich die Hände reinwäscht". Im Moment sei keine wissenschaftliche Basis vorhanden, die derartige Lösungen als durchführbar oder gar wahrscheinlich erscheinen lässt. "Neue Kulturformen, die etwa von technischen Errungenschaften abhängen, können wir nicht antizipieren. Wir sind auf das zurückgeworfen, was aus jetziger Sicht plausibel erscheint", so Betzler. "Erst wenn derartige Dinge wissenschaftlich prognostizierbar sind, könnten unsere Pflichten gegenüber den Nachgeborenen geringer ausfallen."

Selbst jenen, die sich ethischen Grundsätzen grundsätzlich verwehren, können noch Argumente geboten werden, um sich um die Zukunft zu kümmern. "Auch Egoisten haben ein Interesse, dass es ihren Kindern gutgeht", so Betzler. Dazu kommt die Absicht, dass eigene Projekte eine Zukunft haben – ein Gedanke, bei dem Betzler auf den New Yorker Philosophen Samuel Scheffler verweist, der sich in seinem aktuellen Buch Der Tod und das Leben danach Gedanken über die Welt nach dem Ableben macht. Betzler: "Wenn ich mich mein Leben lang mit Kunstgeschichte beschäftigt habe, möchte ich nicht, dass mit mir die Kunstgeschichte endet."

Wie sich Interessen zukünftiger Menschen erkennen lassen

Auf der Suche nach philosophischen Werkzeugen, die uns bei der Identifikation von Pflichten gegenüber der Nachwelt helfen, trifft man schnell auf John Rawls. Der 2002 verstorbene Harvard-Professor war einer der Ersten, die sich mit dieser Frage beschäftigten, so Betzler. Erst das 20. Jahrhundert mit seinen Fortschritten in der menschlichen Zerstörungskraft spornte ein Nachdenken über eine Ethik der Zukunft an.

Rawls schlug ein Gedankenexperiment vor, das an Kants kategorischen Imperativ erinnert. Kants Formulierung lautet bekanntlich: "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde." Rawls bringt zum Finden eines "Gesetzes", das auch Menschen der Zukunft einschließt, in einer hypothetischen Situation alle Generationen, vergangene und zukünftige, zusammen. Um eine faire Verhandlung zu schaffen, stellt er sich einen "Schleier des Nichtwissens" vor: Niemand weiß, welcher Generation er angehört und welchen Platz er in der Gesellschaft einnehmen würde.

Ohne dieses Wissen könne man sich in dieser Situation überlegen, was wir anderen schulden, welche Rechte wir haben wollen, welche Art des Zusammenlebens gut für uns wäre, so Betzler. "Wir würden uns keine Gesellschaft wünschen, die nur Reiche bevorzugt; keine, in der frühere Generationen alle Ressourcen verbrauchen oder die Luft verpesten."

Grundbedürfnis: Sauberes Wasser, saubere Luft

Schon um die besprochene Überforderung zu vermeiden, kann eine moralische Verpflichtung der Zukunft gegenüber nur in grundlegenden Standards formuliert werden, in "unvermeidlichen anthropologischen Grundbedürfnissen", sagt die Philosophin. Also Bedürfnissen wie sauberes Wasser etwa, saubere Luft und Voraussetzungen zur Produktion von Nahrungsmitteln. Wissen sowie politische und soziale Strukturen müssten bereitgestellt werden, um die Grundbedürfnisse zu erfüllen und ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.

Wir haben gegenüber nachfolgenden Generationen nicht die Pflicht, ihr Wohlergehen zu erhöhen, so Betzler. "Aber wir sind dazu verpflichtet, ihnen nicht zu schaden und Bedingungen zu schaffen, die ihnen ein hinreichend menschenwürdiges Leben ermöglichen." (Alois Pumhösel, 24.11.2016)