Zum Glück ist Sigrid Huber nicht nur eine gute, sondern auch eine sehr freundliche Läuferin. Darum lächelte die 31-jährige Oberösterreicherin nur sanft und meinte "das passt schon", als ich ihr zwei Geständnisse machte: Das erste lautete: "Ich bin heuer nicht einmal ansatzweise so etwas wie Trail gelaufen." Und das zweite schloss nahtlos nicht nur an das erste, sondern an dieses Laufjahr und meine gesamte Laufkarriere an: "Ich bin alles – nur nicht schnell." Ob sie – Huber – ihr Angebot nicht vielleicht doch noch überlegen wolle? Schließlich ist Sigrid Huber nicht nur Gründerin, Herausgeberin und Chefredakteurin von "trailrunningszene.at", Österreichs größtem – aber auch einzigem – Trailrunning-Magazin, sondern läuft auch in ganz anderen Sphären als ich: Unlängst war Huber – nur so zum Beispiel – bei der Ultratrail-WM in Portugal. Nicht um darüber zu schreiben, sondern um mitzulaufen: 85 Kilometer – mit 5.000 Höhenmetern.

Foto: Thomas Rottenberg

Der Sternstein bei Bad Leonfelden im oberösterreichischen Mühlviertel ist für eine Läuferin wie Sigrid Huber da gerade mal ein Frühstückslauf. Für mich nicht: "Renn doch rauf zur Sternsteinwarte", hatte mir Peter Affenzeller tags zuvor geschrieben – und nachgesetzt: "eine zaache G'schicht, aber eben der der Klassiker in der Gegend."

Affenzeller weiß das: Als Oberösterreicher im Allgemeinen, Ausdauerexperte der "Oberösterreichischen Nachrichten" und leidenschaftlicher Radfahrer und Läufer mit Expertise bei so ziemlich allem, was sportlich das Adektiv "zaach" verdient, konnte er es sich natürlich nicht verkneifen, mich zu Beginn des Wochenendes darauf hinzuweisen, dass er den lockeren Lauf, mit dem ich am Freitag meinen Aufenthalt im Mühlviertel begonnen hatte, gerade mal als Aufwärmtraining durchgehen ließe: dass ich tags darauf mit Huber laufen würde, wusste Affenzeller da nicht. Ich aber auch nicht.

Foto: Thomas Rottenberg

Ich war aus 1.000 Gründen in Bad Leonfelden. Die meisten waren beruflicher Natur. Dass man hier hübsch laufen kann, hatte ich gewusst. Dass der lokale Tourismusverband hier aber ein dermaßen dichtes Bouket an Wander-, Nordicwalking, Lauf- und Radstrecken anbieten würde, verblüffte mich dann doch: Der Stapel an Karten, den man mir in die Hand drückte, war locker fingerdick. Die Routen waren mehr als nur gut beschrieben: Wegbeschreibungen, Schwierigkeitsgrade, Untergrund-Erklärungen, Höhenprofile, sowie Hinweise auf Besonderheiten und Rastmöglichkeiten entlang der Strecken waren mehr als akkurat und ausführlich. (Verlaufen kann ich mich aber trotzdem – das ist meine Spezialität.)

Der einzige Kritikpunkt, der mir einfiele, ist im Grunde keiner: Nach welchen Kriterien zwischen Laufen, Nordic-Walking und Wandern unterschieden wird, muss ich ja nicht verstehen: Ein hügeliger 14-Kilometer-Weg ist schließlich immer 14 Kilometer lang – egal ob ich gehe oder laufe. Und eine 34-Kilometer-Radrunde ist zwar länger, als es sich die meisten Hobbyläufer zutrauen, aber genauso laufbar, wie viele Wanderrouten – theoretisch – beradelbar sind. Aber: Mehr wurscht als dieses wurscht gibt es eigentlich nicht.

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Sigrid Huber sieht das genauso: entspannt und undogmatisch. Und der Trend gibt ihr recht: Traillaufen kann man überall, wo es Landschaft gibt. Ob man da am ausgesetzt-hochalpinen Bergpfad unterwegs ist oder über komfortable Forstautobahnen läuft, ist nur eine Frage von Lust, Laune und Intensität. "Sobald man auf nicht befestigten Strecken, im Wald, in der Landschaft unterwegs ist, ist das Traillaufen", erklärt die Gründerin von "Trailrunningszene".

Dass zwischen Traillaufen und Traillaufen Welten liegen, ist eh klar. Nur käme auch beim "normalen" Hobbylaufen niemand auf die Idee, zigtausenden Läuferinnen und Läufern, die ein- oder zweimal pro Woche die typischen sieben bis zehn Kilometer im für sie passenden Tempo laufen, abzusprechen, dass sie überhaupt laufen – nur weil es Leute gibt, die auf der Langstrecke mit Geschwindigkeiten unterwegs sind, die Sie und ich gerade einmal über 100 Meter halten. Wenn überhaupt.

Foto: Thomas Rottenberg

Der Zug ins Gelände hat aber auch vor dem Laufen nicht haltgemacht: Trail ist ein Megamarkt. Nicht nur auf der Wettkampfebene, sondern auch, was Strecken, Routen und den Tourismus betrifft: "Dass Trailläuferinnen und Trailläufer eine extrem spannende Zielgruppe sind, entdecken immer mehr Regionen", erzählt die Laufjournalistin – und lacht, wenn sie an ihren Schuh- und Outfitkasten denkt: "Ich habe vermutlich mehr Traillaufschuhe und Lauf-Outfits als viele Frauen, die sich selbst als absolut modeaffin bezeichnen würden, an Schuhen oder Designerstücken daheim haben."

Grund dafür ist keine hemmungslose Kaufsucht, sondern der Fokus, den die Sportartikelindustrie mittlerweile auf diesen Markt legt – samt den dazugehörenden Medien, die es zu bemustern gilt: Eine Uhr kann man nach einem Test zurückschicken – aber durchgeschwitze Funktions-Shirts?

Huber hat nach eigenen Angaben am heimischen Printmarkt Monopolstellung. Und obwohl "Trailrunningszene" nur viermal im Jahr und in vergleichsweise niedriger Auflage erscheint, lebt sie nicht bloß für, sondern mittlerweile auch von dem Blatt. Der Trick ist die punktgenaue Ausrichtung auf die Zielgruppe: "Es gibt de facto keine Streuverluste – weder bei Lesern noch für Inserenten."

Foto: Thomas Rottenberg

Die Idee zu dem seit drei Jahren existierenden Blatt, das demnächst nach – zunächst einmal – Süddeutschland expandieren soll, hatte die Medienmanagerin, "weil ich mich geärgert habe": Als langjährige Mountainbikerin kannte sie zig Fachpublikationen, in denen Technik, Szene und Events abgebildet und beschrieben werden. Für geländegängige Sport-Fußgängerinnen und -Fußgänger gab es aber nichts. Nicht wenn sie sich für das interessierten, was in Österreich da längst mehr als jene Nischenexistenz führte, die ihm in der Laufpresse zugestanden wurde.

"Ich habe zuerst eine Homepage gemacht, um Renn- und Wettkampftermine zu kommunizieren," erzählt Huber. Ergänzt mit Eventberichten und Produkttests, hob das Ding sehr rasch ab.

Als Huber dann davon Wind bekam, dass "irgendwer in Kärnten" plane, ihre Basisarbeit aus dem Web in Papierform zu bringen, "habe ich mich zuerst geärgert – und dann beschlossen, es selbst zu machen."

Ein paar Monate später lag das erste Heft vor. Und wurde von der einschlägigen Szene angenommen. "Das Magazin aus Kärnten? Soweit ich weiß, kam es nie raus. Ich hab jedenfalls nie wieder davon gehört. Eigentlich sollte ich denen ja dankbar sein …"

Foto: Thomas Rottenberg

Auch wenn "Trailrunningszene" etliche Beiträge von Gastautorinnen und -autoren beinhaltet und sprachlich wie inhaltlich eindeutig ein "Communitymedium" ist, steckt in so einem Heft immer Beinarbeit: Wenn Huber eine Region bereist, kann sie das nicht so komfortabel-faul, wie es viele Reisejournalisten tun – also per Copy-Umformulier-Paste aus dem "Lonely Planet" oder der Pressemappe der Region, sondern muss selbst ran: Authentizität ist das Schlüsselwort. Und authentisch ist nur, was belegbar ist: Sei es durch Tracks auf Plattformen wie Strava & Co – oder eben Fotos. Dass die dann mitunter nicht jene schweiß- und staubfreie, bis ins letzte Pixel durchkomponierte Bildsprache sprechen, die man aus anderen Hochglanzmagazinen gewohnt ist, stört nicht. Im Gegenteil.

Foto: Thomas Rottenberg

Bei einem Stück über Bad Leonfelden lautet die Pflicht für eine Trail-Journalistin dann: Der "Klassiker" gehört dazu. Also der Lauf auf den Sternstein.

Schließlich ist das Rennen auf den 1.125 Meter hohen Berg nahe der tschechischen Grenze einer der ältesten und traditionsreichsten Bergläufe Österreichs: Von Bad Leonfelden hinauf zu Aussichtsturm und Schenke. 1987, als das Rennen zum ersten Mal ausgetragen wurde, brauchte ein gewisser Johann Meier dafür 25 Minuten und 30 Sekunden. Die schnellste Dame war Eva Brückler mit 33 Minuten und 10 Sekunden.

Wir legten es einen Tick gemütlicher an, nahmen eine komfortable Route und gaben uns am Weg zur Sternsteinwarte nicht wirklich die Kante, sondern liefen in einer Pace, die es uns ermöglichte, immer auch noch zu plaudern, zu fotografieren und zu blödeln.

Foto: Thomas Rottenberg

Touristisch gesehen kamen wir aber zur falschen Zeit: Die Aussichtswarte hat Wintersperre. Das Gasthaus, die Waldschenke, wäre bei einer Wanderung vermutlich eine nette Jausenstation, aber da wir in der Früh hier aufschlugen und zweitens Laufen mit vollem Bauch nicht mein (oder der meisten Läuferinnen und Läufer, die ich kenne) Ding ist, bekamen wir gar nicht mit, dass das Gasthaus bis Anfang Dezember Betriebsferien hat.

Wohl auch, weil die beiden Lifte des Skigebietes Sternstein erst – wieso eigentlich "erst"? – ab Dezember laufen.

Foto: Thomas Rottenberg

Das Mühlviertler Skigebiet besteht aus zwei Liften und hat vier Pistenkilometer. Nicht viel – aber genug für einen Familienskitag.

Dass oben bei der Bergstation schon Schnee liegt, sieht man sogar von Bad Leonfelden aus. Allerdings ist das Kunstschnee – so wie bei der Talstation: Das bisserl Naturschnee, an dem wir auf Waldlichtungen vorbeigekommen waren, würde – zusammengekratzt – nicht einmal für einen mittelgroßen Schneemann reichen.

Auf der Homepage der Liftbetreiber wird das Gebiet als "dank Schneekanonen von Dezember bis April schneesicher" beschrieben – doch beim Runterlaufen der Piste war davon noch nichts zu merken. Für uns war das gut: Die Rutschpartie über eine gerade frisch präparierte oder knackig eingeeiste Piste ist auch mit den besten Trail-Sohlen nur kurz lustig – den steilen, feuchten Hang runterzulaufen war auch so nicht ganz ohne.

Foto: Thomas Rottenberg

Wir waren gerade einmal rund Eineinviertelstunden unterwegs und hatten 12 Kilometer und rund 450 Höhenmeter in den Beinen. Bis nach Bad Leonfelden, in den Ort zurück waren es ab hier noch zwei Kilometer.

So wirklich ausgepowert waren wir beide nicht. Kurz juckte es uns: Sollten wir umdrehen, die Piste rauf zur Aussichtswarte und dann den Weg, den wir gekommen waren, zurücklaufen?

Fast zeitgleich sahen wir zuerst auf die Uhren und dann einander an: Es war acht Uhr morgens. Drüben, hinter dem Wald, krabbelten unsere Lieblingsmenschen vermutlich gerade aus den Betten, drehten sich noch einmal um – oder sahen vielleicht schon die Post-its, die wir an den Badezimmerspiegeln zurückgelassen hatten: "Sind im Wald – aber zum Frühstück zurück."

Und bei aller Liebe zum Laufen: Dieses Versprechen bricht man nicht. Nie.

Mehr Geschichten übers Laufen rund um Bad Leonfelden gibt es auf www.derrottenberg.com.

(Thomas Rottenberg, 23.11.2016)

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