Die Initiative seeundstadtundbregenz lädt jeden Samstag um 10 Uhr zum Stadtspaziergang.

Foto: seeundstadtundbregenz

Stadträume zurückerobern, auch bei Regen.

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Bregenz – Was ist städtischer Raum, wie fühlt man sich an welchen Orten, was macht öffentlicher Raum mit den Menschen, was machen die Menschen mit dem Raum? Fragen wie diese stellten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des ersten Bregenzer Stadtspaziergangs, den die Initiatoren der Initiative "seeundstadtundbregenz" vergangenen Samstag veranstalteten. Architekt Markus Thurnher weckte bei den rund 60 Spazierenden Sensibilität für ihre Stadt und deren (Straßen-)Räume.

Anlass war die geplante Verbauung des Seestadtareals mit einem Einkaufszentrum, die nur noch wenig öffentlichen, konsumfreien Raum zulässt und die Innenstadt mit einer Verbauung ohne Durchlässe vom See trennen wird.

Stadt hat viele Dimensionen

"seeundstadtundbregenz" – diesen Namen habe man sich gegeben, um auf die Mehrdimensionalität hinzuweisen. Das "und" mache Stadt aus, sagt Thurnher. Stadt und See, das impliziere die Interaktion zwischen Menschen und Stadtraum. Das geplante Projekt Seestadt sei in diesem Sinne ein eindimensionales Projekt. "Ein Projekt des Handels, das alles Leben nach Innen, in die Mall, zieht. Dessen Ziel es ist, die Menschen möglichst lange drinnen zu halten."

Die Bedürfnisse an Stadtraum sind aber, sagt Thurnher ganz andere: "Man will nicht nur einkaufen, man will auch einkaufen. Und spielen, und lachen, tanzen – alles was Stadt möglich macht." Aufgabe der Stadtplanung sei es, den Ausgleich zwischen den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner an ihr Wohnzimmer Stadt und den Wünschen von Investoren herzustellen.

Seestadt ist eindimensional

Diesen Ausgleich scheinen in Bregenz mehrere Initiativen als nicht gelungen anzusehen. Nach "seeundstadtundbregenz" sprechen sich auch die Bürgergenossenschaft "Mehr am See" und der Verein "Bodenfreiheit" gegen die Realisierung des aktuellen Projekts Seestadt aus.

"Mehr am See" sind genossenschaftlich organisierte Bürger und Bürgerinnen, die sich für die Verlegung der Bahn weg vom See und unter die Erde einsetzen. Sie widersprechen Bürgermeister Markus Linhart (VP), der die Kritik am Projekt Seestadt als verspätet bezeichnet. Man hätte sich ja in den Informationsveranstaltungen zum Projekt äußern können, wirft Linhart Kritikerinnen und Kritikern vor.

Die Genossenschaft entgegnet, sie habe bereits vor drei Jahren ähnliche Argumente wie die Architekteninitiative vorgebracht, sich gegen die Errichtung eines baulichen Riegels zwischen See und Stadt ausgesprochen und darauf hingewiesen, dass der nun vorliegende Plan nicht mehr viel mit dem Siegerprojekt des Architekturwettbewerbs zu tun habe. "Mit der Kritik ernsthaft auseinandersetzen wollten sich Stadt und Betreiber aber nicht", bedauert Sprecher Pius Schlachter.

Boden freikaufen

Der Verein Bodenfreiheit, eine landesweit agierende Gruppe von rund 300 Menschen, vermisst Sensibilität im Umgang mit öffentlichem Raum. Der Verein kauft Flächen frei, die durch falsche Politik der letzten Jahrzehnte als Bauflächen gewidmet wurden. Er würde auch in der Bregenzer Seestadt öffentlichen Raum kaufen.

Bodenfreiheit sieht im Seestadtprojekt vier wesentliche Schwachpunkte:

Den Ersatz von öffentlichen Raum durch eine Shopingmall. Die Einkaufsstraße sei dann geöffnet, wenn die Betreiber es wollen, mit eigenen Regeln und nur für Leute zu benutzen, die der Betreiber dort auch haben will", kritisiert Bodenfreiheit.

Die von der Stadt versprochene barrierefreie Verbindung zum See sei nur mehr eine amputierte Brücke, die nicht im Straßenraum ende, sondern im Einkaufszentrum.

Wer mit Bahn und Bus am neuen Bahnhof würde durch die Laderampe und Tiefgarageneinfahrt des Einkaufszentrums begrüßt. Und viertens, die Vorderseite der Stadt an der Seestraße würde ganz dem Auto überlassen, Gehmöglichkeiten fehlten gänzlich.

Betreiber sind gesprächsbereit

Bodenfreiheit schlägt nun Prisma eine Mitfinanzierung zusätzlicher öffentlicher Räume vor. Obmann Martin Strele glaubt an die Gesprächsbereitschaft der Verantwortlichen: "Weder die Projektbetreiber noch die Stadt können daran interessiert sein, dass wissentlich ein Projekt umgesetzt wird, dessen Fehler bereits vor der Umsetzung bekannt sind."

Bernhard Ölz, Vorstand des Projektentwicklers Prisma will sich die Kritik anhören: "Wir haben den Architekten und Bodenfreiheit Gespräche angeboten, ich gehe davon aus, dass dieses Gespräche bald stattfinden werden."

Den Baubescheid für die Seestadt erwartet Ölz noch für 2016. "Dann werden die Gesellschafter über die weitere Vorgangsweise entscheiden."

Errichtergesellschaft der Seestadt ist die Prises, eine Firma des Vorarlberger Entwicklers Prisma und der SES, Spar European Shopping Centers. Das Seestadtareal war vor dem Ankauf durch die Prisma 2008 im Besitz der landeseigenen Illwerke, der Hypo und der Stadt.

Prisma arbeitet nach eigenen Angaben seit sechs Jahren am aktuellen Projekt und hat, so Ölz, bereits vier Millionen Euro investiert.

Entstehen sollen 50 Shops, darunter die größte österreichische Niederlassung der Modekette Zara. Insgesamt sind für den Bau der 14.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, 1.500 Quadratmeter Bürofläche, 62 Wohnungen 110 Millionen Euro veranschlagt. Fertig will man, so die SES Website, 2019 sein. (Jutta Berger, 22.11.2016)