Zwei Entwickler haben eine Diskussion über die ethischen Spielregeln ihres Berufes ins Rollen gebracht.

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"Lasst uns entscheiden, was es bedeutet, ein Programmierer zu sein", sagt Robert Martin, ein auch als "Uncle Bob" bekannter Programmierer in einer Rede über die Zukunft seines Berufsstandes. Denn diesem schreibt er große Verantwortung zu. "Die Zivilisation ist auf uns angewiesen. Sie begreift es nur noch nicht."

Und sein Argument hat etwas für sich. Egal ob Bankensysteme, medizinische Geräte oder Autopiloten für Flugzeuge und Autos – es sind Programmierer, deren Code im Hintergrund arbeitet. Und tut er das nicht fehlerfrei, kann das auch Leben gefährden.

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Vorbote VW

Doch während versehentlich erzeugte Schwachstellen passieren können, müssen sich Programmierer auch ethischen Fragen stellen. Martin befürchtet, dass sich viele Entwickler in Zukunft unter Druck sehen könnten, im Dienste ihres Auftraggebers Gesetze zu beugen oder zu brechen. Dabei verweist er unter anderem auf den Abgasskandal von Volkswagen. US-Chef Michael Horn wollte die Verantwortung für die manipulierte Motorsteuerung auf die Programmierer abschieben.

Erst als die Strafverfolger den Konzern beschuldigten, die Entwicklung des betrügerischen Mechanismus im höheren Management beschlossen zu haben, nahm er seinen Hut. Martin warnt davor, dass Entwickler, die ohne zu hinterfragen lediglich Aufträge erfüllen, in Zukunft noch "Desaster" mit vielen Opfern auslösen könnten.

Getarnte Werbung für gefährliches Medikament

Inspiriert von Martins Ansprache verfasste der Entwickler Bill Sourour einen Blogeintrag über den "Code, für den ich mich immer noch schäme". Darin erzählt er, wie er mit 21 Jahren seine erste Vollzeitstelle bei einer kanadischen PR-Firma bekommen hatte. Er setzte für sie eine Website mit einem Quiz um, offensichtlich dafür gestaltet, ein bestimmtes Medikament an Mädchen im Teenageralter zu vermarkten, was eigentlich einen Verstoß gegen die Werbevorschriften darstellte.

Fast alle Antwortfolgen führten zu einer Empfehlung dieses einen Mittels. Sourour erkannte zwar die Taktik dahinter und war sich dessen bewusst, dennoch setzte er die Seite um und beschloss, sein Handeln für sich als Erfüllung der Vorgabe aus dem Marketing zu rechtfertigen.

Etwas später las er einen Zeitungsbericht über eine junge Frau, die das Medikament eingenommen und Suizid verübt hatte. Erst dann entdeckte er, dass schwere Depressionen zu den häufigsten Nebenwirkungen gehörten und auch seine Schwester es verschrieben bekommen hatte. Etwas später kündigte er seine Stelle. Der Hersteller des Medikaments soll bis heute in juristische Auseinandersetzungen mit ehemaligen Patienten stecken.

Geständnisse und Schilderungen

"Als Entwickler sind wir oft die letzte Reihe der Verteidigung gegen möglicherweise gefährliche und unethische Praktiken", erklärt er. Und er hat mit seinem Blogartikel eine Welle von Schilderungen anderer Programmierer ins Rollen gebracht, die ebenfalls über erfüllte oder unerfüllte, fragwürdige Arbeitsaufträge berichten. "Business Insider" hat die folgende Diskussion zusammengefasst.

Die Erzählungen reichen von der Verwendung des Webseiten-Quellcodes von Mitbewerbern für Demonstrationszwecke über die Manipulation von Bilanzen durch die Nutzung eines veränderten Backups bis zur Entwicklung eines Glücksspielsystems für Kinder, getarnt als Strategiespiel.

Für die Programmiererzunft stellen sich dabei zwei große Probleme, verhaftet in Selbstorganisation und ihrer Ausbildung.

Lösungsansätze

Im Bereich Aus- und Weiterbildung wären Ethikkurse erforderlich, befindet Sourour gegenüber "Business Insider". "Leider lernen viele der heutigen Entwickler im Selbststudium oder in sogenannten 'Bootcamps'. Und diese bieten nur selten oder bis gar keine Trainings im Ethikbereich." Stattdessen seien sie darauf ausgelegt, viele Leute zu "erzeugen", die möglichst schnell Programmcodes schreiben können, um den stets steigenden Bedarf am Arbeitsmarkt abzudecken.

Gleichzeitig schlägt er die Gründung einer Organisation vor, die als Regulator für Entwicklerberufe tätig ist. Sie solle, wie es auch in anderen Professionen üblich ist, Regeln erarbeiten und Maßnahmen zu ihrer Einhaltung setzen. Damit lasse sich auch besser verhindern, dass problematische Arbeitsaufträge einfach von jemandem anderen erfüllt werden, wenn man ihre Umsetzung ablehnt. (gpi, 21.11.2016)