Proteste in Istanbul gegen das geplante Gesetz für Sexualstraftäter.

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Istanbul – Ein Gesetzentwurf der türkischen Regierung, der in Einzelfällen Straffreiheit nach sexueller Gewalt gegen Minderjährige vorsieht, trifft auf Widerstand. In Istanbul gingen am Samstag 3000 Menschen auf die Straße, um gegen das Vorhaben zu protestieren. "Zieht den Gesetzentwurf sofort zurück", riefen die Demonstranten, unter ihnen Frauen und Kinder. Kritik kam auch vom UN-Kinderhilfswerk Unicef.

"Wir werden nicht den Mund halten. Wir werden nicht gehorchen", skandierten die Teilnehmer der Kundgebung im Istanbuler Stadtteil Kadiköy. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass die regierende AKP "Vergewaltiger in diesem Land freispricht und freilässt", sagte eine Demonstrantin. Ein anderer Teilnehmer der Protestaktion erklärte, er sorge sich um die Zukunft seiner 14-jährigen Tochter. Auf Bannern waren Parolen wie "Vergewaltigung kann nicht legalisiert werden" zu lesen.

Uno besorgt

Auch die Vereinten Nationen äußerten sich besorgt über das Gesetzesvorhaben. "Diese schändlichen Formen der Gewalt gegen Kinder sind Verbrechen, die als solche und in jedem Fall bestraft werden sollten", erklärte der Sprecher des UN-Kinderhilfswerks Unicef, Christophe Boulierac, am Samstag in Genf. Der Gesetzentwurf bedeute "eine Art Amnestie" für jene, die sich des Missbrauchs von Kindern schuldig gemacht hätten, fügte er hinzu. Die Interessen des Kindes müssten aber Vorrang haben.

Das türkische Parlament hatte am Donnerstagabend in erster Lesung den Entwurf gebilligt, wonach die Verurteilung wegen sexueller Übergriffe gegen Minderjährige aufgehoben werden kann, wenn der Täter sein Opfer heiratet. Die Bedingung lautet, dass die Tat ohne "Gewalt, Drohung oder jegliche andere Form von Zwang" erfolgt sein muss.

Damit das Gesetz in Kraft treten kann, müssen die Abgeordneten der Vorlage in den kommenden Tagen noch in zweiter Lesung zustimmen. Das geplante Gesetz soll einmalig und rückwirkend für Taten gelten, die vor dem 11. November 2016 verübt wurden.

Justizminister: "Verdrehung" der Tatsachen

Nach massiver Kritik der Opposition und von Amnesty International hatte Justizminister Bekir Bozdag der Opposition "absichtliche Verdrehung" der Tatsachen vorgeworfen. Bei den Tätern handle es sich nicht um Vergewaltiger, und bei dem Gesetz gehe es vielmehr um den "Schutz von Kindern".

Ehen mit Minderjährigen seien leider eine "Realität", sagte Bozdag. Wenn daraus ein Kind hervorgehe, informiere der Arzt den Staatsanwalt, der Mann lande im Gefängnis und seine Familie gerate in Schwierigkeiten. Derzeit gebe es etwa 3000 solche Fälle.

Das Mindestalter für legales Heiraten liegt in der Türkei bei 17 Jahren – mit Zustimmung der Eltern. Besonders im Osten des Landes wird dieses Alter bei Mädchen noch immer häufig unterschritten. In einigen besonderen Ausnahmefällen dürfen Mädchen mit richterlicher Genehmigung auch mit 16 Jahren heiraten. (APA, 20.11.2016)