Eine Protestversammlung der Wiener Ärztekammer im Museumsquartier.

Foto: Matthias Cremer

Ärzte und Lehrer gehören zu den Berufsgruppen, denen die Bevölkerung relativ hohes Vertrauen entgegenbringt – deutlich mehr als Politikern (oder Journalisten). Deshalb genießen ihre Standesvertretungen auch Glaubwürdigkeit, wenn sie Reformvorschläge der Regierung, die ihre Arbeitsbereiche betreffen, heftig kritisieren.

Wenn die Ärztekammer gegen Elga oder die Primärversorgungszentren wettert, dann muss wohl der Wurm drinnen sein, genauso wie bei der nun beschlossenen Schulautonomie, die von der Lehrergewerkschaft abgelehnt wird.

Beinharte Klientelpolitik

Doch diese Glaubwürdigkeit ist unverdient. In beiden Fällen betreiben die Berufsvertreter beinharte Klientelpolitik ohne Rücksicht auf die Interessen jener Gruppen, denen sie eigentlich dienen sollten – der Patienten und der Schüler.

Seit die Regierung an der Schaffung von Primärversorgungszentren arbeitet, kämpfen die Ärztekammern dagegen an. Dabei sind solche Zentren dringend notwendig: In der österreichischen Gesundheitsversorgung gibt es eine große Lücke zwischen Einzelordinationen – mit eingeschränkten Öffnungszeiten und Leistungsangeboten – und den teuren und überfüllten Spitalsambulanzen. Andere Länder haben längst kleine Kliniken, wo verschiedene Ärzte und andere Gesundheitsberufe zusammenarbeiten – und dies auch am Abend oder am Wochenende.

Es geht um den Einfluss der Kammer

Die Kammern lehnen das ab, weil dann manche Ärzte in ein Angestelltenverhältnis wandern könnten. Das widerspricht dem alten Berufsbild des Freiberuflers und vor allem verringert es den Einfluss der Kammer. Ein anderes Argument gegen diese sinnvolle Reform gibt es nicht.

Der Kampf gegen die PVZ, der auch die Ablehnung der jüngsten im Finanzausgleich beschlossenen Reformen inspiriert, dient nicht der öffentlichen Gesundheit, sondern nur der eigenen Macht. Dafür wird auch eine schlechtere Gesundheitsversorgung in Kauf genommen – also mehr Krankheit und weniger Heilung.

Verbissener Kampf gegen Elga

Auch der verbissene Kampf gegen die elektronische Gesundheitsakte Elga diente nur einem einzigen Zweck: Einzelne Ärzte davor zu schützen, dass ihre Fehldiagnosen und –therapien von anderen bemerkt werden könnten. Elga wird Leben retten – und die Kammer wollte dies verhindern.

Bei den Lehrern ist es weniger dramatisch, aber ebenso fragwürdig. Die Lehrergewerkschaft lehnt die Schulautonomie ab; sie verweist auf die Gefahr von Einsparungen, aber es klingt eher danach, dass sie einfach keine Änderungen will.

Doch Österreichs Schulsystem muss sich ändern, damit unser Bildungsniveau nicht weiter sinkt, und die Schulautonomie wird von praktisch allen Experten begrüßt.

Gefährliche Lehrergewerkschaften

In anderen Ländern richten Lehrergewerkschaften noch viel größeren Schaden an. In Indien und vielen anderen Entwicklungsländern sind sie für den katastrophalen Zustand der öffentlichen Schulen verantwortlich, weil sie verhindern, dass schlechte Lehrer gefeuert werden können. Es ist einer der Gründe, warum viele Länder wirtschaftlich nicht vom Fleck kommen.

Und auch in Österreich ist die Gewerkschaft stets darauf bedacht, den eigenen Mitgliedern allzu viel Kontrolle ihrer Leistung zu ersparen – genauso wie die Ärztekammer. Den Preis dafür zahlen Schüler und letztlich die gesamte Gesellschaft.

Unterstützung wegen Gruppendrucks

Einzelne Ärzte und Lehrer leisten gute, oft hervorragende Arbeit und kümmern sich aufopfernd um Patienten und Schüler. Aber wenn diese Frontkämpfer die Sache ihrer Berufsvertretung unterstützen, dann muss ja etwas dran sein?

Nicht unbedingt. Mediziner sind nicht unbedingt Experten für Gesundheitspolitik, und der Gruppendruck ist oft so stark, dass auch sinnlose Kampagnen unterstützt werden – siehe Elga. Das gleiche gilt für Lehrer.

Nicht jede Reform ist überlegt und zielführend, und oft haben Praktiker vor falschen Schritten gewarnt. Deshalb muss man Kammern und Gewerkschaften auch anhören.

Streikdrohungen gelassen nehmen

Aber die Entscheidung über die Rahmenbedingungen unseres Gesundheits- und Schulsystems müssen die ungeliebten Politiker treffen. Anders als Standesvertretungen ist ihre Aufgabe, dem Gesamtwohl der Gesellschaft zu dienen. Und die verantwortlichen Minister Sabine Oberhauser und Sonja Hammerschmied sind sogar Berufskollegen.

Von Streikdrohungen sollte sich die Politik wenig beeindrucken lassen, auch wenn Kampfmaßnahmen unangenehme Folgen haben. Denn sie machen erst richtig deutlich, dass es den Berufsvertretern nicht ums Wohl von Patienten und Schülern geht, sondern um eigene Interessen. (Eric Frey, 19.11.2016)