"Niemals dürfen wir Trumps Worte oder die Zunahme körperlicher und wörtlicher Attentate auf Minderheiten seit seiner Wahl normalisieren, rechtfertigen oder womöglich sogar verheimlichen.": Silvia Lindtner lehrt an der University of Michigan.

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Die Trump-Wahl war für mich zunächst, obwohl keine völlige Überraschung, wie eine Betäubung, eine Art Lähmung, vor allem in den ersten 24 Stunden. Als sich in den letzten Tagen Angst und Attentate auf Minderheiten im Namen Trumps verbreiteten, begann ich – wie viele andere meiner Kolleginnen und Kollegen – zu hinterfragen, was ich bist jetzt gemacht habe in meiner Forschungstätigkeit und was ich in Zukunft machen kann.

Meine Forschung beschäftigt sich zentral mit Themen wie der drastischen Veränderung von Arbeit und der Arbeitskraft im Namen von Innovation und Digitalisierung, wie zum Beispiel der zunehmenden Prekarisierung, mit Ungleichbehandlung der Geschlechter und der Entwertung von all dem, was nicht den Regeln des Venture Capital Investments folgt. Themen wie dieses sind unter Umständen wichtiger denn je. Kritisch zu hinterfragen und mit Sorgfalt zu analysieren, was Medien, Politiker, Unternehmer, und Erzieher sagen und tun, war schon immer ein zentraler Teil meiner Forschung und Lehre. Aber ich fühle mich bestärkt, für kritisches Denken und Handeln zu kämpfen.

Seit der Trump-Wahl empfinde ich ein Imperativ, noch konkreter als zuvor zu planen, wie meine Arbeit intervenieren kann auf politischer, sozialer und wirtschaftlicher Ebene. Inspiriert bin hier von den Worten meines Kollegen Tarleton Gillespie, der nach der Trump-Wahl in einem längeren Artikel mit Kollegen von Culture Digitally das Folgende schrieb: "I feel an imperative to be sure that my choices of research topics are driven more by cultural and political imperative than merely my own curiosity."

Was können wir als Forscher, Lehrende und als Bürger tun, um Alternativen zu Hass und Faschismus umzusetzen? Anstelle von Spekulationen darüber, was passieren könnte, brauchen wir eine interdisziplinäre, nuancierte, multi-vokale und kritische Analyse dessen, was gerade passiert. Und wir brauchen konkrete Pläne und Aktionen, die dem Faschismus, Rassismus, der Diskrimierung, und vor allem der Angst entgegenwirken. Die Angst, die um sich greift ist lähmend und sehr gefährlich. Eine zentrale Rolle von Universitäten, Forschern, Lehrenden und uns allen wird es sein, Schutzräume für Minderheiten zu kreieren und eine Kultur des Dialogs weiter zu verbreiten.

Amerikanische Medien und Politiker haben begonnen, Trump zu normalisieren, in dem sie spekulieren, dass er all das gar nicht umsetzen wird, was er "versprochen" hat. Ähnliche Aussagen gibt es auch von Europäischen Politikern wie die von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, der jüngst meinte, Europa müsse Trump eine Chance geben und Trump verdiene Respekt. Diese Normalisierung ist sehr gefährlich. Trumps Schweigen zu all den Angriffen auf Minderheiten wie Frauen mit und ohne Kopftuch oder Afroamerikaner, die sich gehäuft haben in den Tagen nach der Wahl, werden mit solchen Aussagen sogar noch bestätigt.

Als Österreicherin sind für mich Bilder und geschichtliche Fakten aus der Hitlerzeit, die mir als Jugendliche mitgegeben wurde, wichtiger denn je. Die Normalisierung von Trump erinnert stark an die Normalisierung Hitlers, wie uns ein New-York-Times-Artikel aus dem Jahr 1922 scharf in Erinnerung ruft, in dem argumentiert wurde, Hitler "was merely using anti-Semitic propaganda as a bait to catch masses of followers". Und wer würde heute jemals sagen, dass wir Hitler respektieren müssen? Niemals dürfen wir Trumps Worte oder die Zunahme körperlicher und wörtlicher Attentate auf Minderheiten seit seiner Wahl normalisieren, rechtfertigen oder womöglich sogar verheimlichen. Wir müssen sie aufzeigen – und wenn wir sie miterleben, müssen wir Minderheiten zur Seite stehen.

Was Trump so mächtig macht, ist seine Unberechenbarkeit. Wir müssen dem entgegensteuern mit konkreten Aktionen, die ein Gefühl der Berechenbarkeit und Sicherheit geben. Vor allem wichtig ist hier, aufzuzeigen und zu verbreiten, was bereits jetzt getan wird, um Diskrimierung und Hass entgegenzuwirken. Das inkludiert zum Beispiel existierende Organisationen in den USA wie ACLU (American Civil Liberties Union) und Planned Parenthood zu unterstützen, auch von Europa aus. Es bedeutet aber auch, neue Handlungen zu setzen, wie zum Beispiel Briefe an Amerikanische Politiker schreiben, die in Schlüsselpositionen sitzen werden – das kann man auch von Europa aus machen.

Ich muss in letzter Zeit oft an ein Foto denken, über das ich vor ein paar Monaten gestolpert bin. Es ist beschriftet mit "A Woman hitting a Neo-Nazi with her handbag in Växjö, Sweden (13 April 1985)" und erinnert mich an meine Großmutter, die in Österreich lebte und sich weigerte, den Hitler-Gruß zu verwenden. Sie verblieb stur bei ihrem Österreichischen "Grüß Gott" und versteckte Juden in ihrem Keller. Frauen wie sie geben mir Kraft, niemals zu schweigen oder zuzusehen oder sich von der geschürten Angst kontrollieren zu lassen. Diese Frauen geben mir den Mut zu handeln und denen zur Seite zu stehen, die in Gefahr sind. (18.11.2016)