Panik, Enttäuschung, dazwischen Appelle fürs Abwarten: Amerikanische Forscherinnen und Forscher reagieren mehrheitlich alarmiert auf den Wahlsieg Trumps.

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Wien/Washington – Einige Wissenschafterinnen und Wissenschafter haben erst gar nicht versucht, ihr Entsetzen zu verbergen. "Wir sind alle schockiert und im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos", ließ Angelika Amon, österreichische Krebsforscherin am Massachusetts Institute of Technology (MIT), wissen, als der STANDARD sie zum Sieg des republikanischen Kandidaten Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen befragt.

Amons Reaktion ist der Sorge um das geistige Klima in den USA geschuldet. Denn ihr Forschungsgebiet gilt an sich als unantastbar. Oder wie es Clemens Mantl, Direktor des Office of Science and Technologie Austria (OSTA) an der österreichischen Botschaft in Washington, ausdrückt: "Experten sehen weiterhin einen breiten öffentlichen Konsens für Medical Research." Ganz anders ist das bei Themen wie Klimawandel und Energieforschung. Hier überwiegen die Sorgen vor den Auswirkungen von Trumps Wahl.

Backlash bei Klimaschutz und -forschung

Donald Trump hat hier nichts weniger als eine Abkehr vom Weg der Obama-Administration angekündigt. Eine Rückkehr zur globalen Klimaerwärmung befürchtet das Fachmagazin "Nature", zumal ein recht bekannter Klimaskeptiker für Trump die Umweltschutzbehörde Environmental Protection Agency (EPA) umkrempeln soll: der Lobbyist Myron Ebell, der für das Competitive Enterprise Institute arbeitet. Dieses Institut wird direkt und indirekt von der fossilen Energieindustrie unterstützt, die in der menschgemachten Klimaerwärmung als eine Erfindung sieht.

Angst vor "Eliminierung der Wissenschaft"

Ebells Berufung ist auch einer der zentralen Kritikpunkte der Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes: Die Harvard-Professorin analysiert seit mehreren Jahren die Beweggründe der Klimawandelskeptiker in der US-amerikanischen Gesellschaft. Sie hat sich schon vor der Wahl deutlich gegen Trump ausgesprochen. "Wenn er nun alles wahrmacht, wovon er im Wahlkampf gesprochen hat, dann wird das nicht zu einer Marginalisierung von Wissenschaft, sondern zu einer Eliminierung führen", sagt sie dem STANDARD.

Vorwurf an Lobbyisten

Oreskes ist wegen des Wahlergebnisses "tief enttäuscht", macht aber den amerikanischen Bürgerinnen und Bürgern keinen Vorwurf. Sondern der republikanischen Parteispitze und vor allem den Lobbyisten, die seit Jahren ein "Netzwerk des Leugnens wissenschaftlicher Fakten knüpfen" und "damit die Basis für diesen Wahlsieg geschaffen haben". In ihrem Buch "Die Machiavellis der Wissenschaft" aus 2010 hat Oreskes gemeinsam mit Erik M. Conway diese Seilschaften beschrieben.

"Wenn sich erneuerbare Energien ökonomisch rechnen, werden sie kommen, egal ob man an den Klimawandel glaubt oder nicht", glaubt dagegen die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny, ehemalige Präsidentin des Europäischen Forschungsrats (ERC). Und illustiert die ihrer Ansicht nach geringe Bedeutung der erkenntnisgetriebenen Grundlagenforschung für die Trump-Administration mit einem Beispiel: "Wo sich Forschung in den Ausbau von Infrastrukturen einschleichen kann, wird sie gefördert, was etwa für die Raumfahrt zutrifft."

Andere Beobachter meinen auch, dass etwa die Weltraumforschung nicht zuletzt wegen ihres Prestiges von Trump wieder mehr gefördert werden könnte. Schließlich wolle dieser Amerika ja wieder "zu alter Größe" führen.

Die Evolution wird in Frage gestellt

Erzkonservative und reaktionäre Kräfte in den USA negieren freilich nicht nur den vom Menschen gemachten Klimawandel, sondern bestreiten auch die Evolution. Der designierte Vizepräsident Mike Pence darf getrost zu diesem Lager gezählt werden. Er hat sich wesentlich häufiger zu Wissenschaft und Forschung geäußert als Trump selbst. Pence war es auch, der sich laut "Nature" schon 2009 gegen die Entscheidung Obamas wandte, die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen zu fördern. Es sei moralisch falsch, menschliches Leben für die Forschung zu "zerstören", schrieb er damals in einem Gastkommentar: "Es ist moralisch falsch, Steuern von Millionen von Pro-Life-Amerikanern, die glauben, dass das Leben heilig ist, für die Zerstörung von Embryos zu verwenden."

Was bedeutet all das für Zukunft der Forschung? Clemens Mantl glaubt, dass Schwerpunkte und Fördermittel von den künftigen personellen Entscheidungen Trumps abhängen. Dazu zählen in erster Linie der Presidental Science Advisor, "aber auch das über substanzielle Forschungsmittel verfügende Energieministerium". Trump selbst habe einmal folgenden Satz verlauten lassen: "Science is science and facts are facts."

"Unberechenbar und gefährlich"

Klingt das nach einer Drohung? Der deutsch-amerikanische Literaturprofessor Hans Ulrich Gumbrecht von der Stanford University ist einer jener Hoffnungsvollen, die darauf setzen, dass Trump vieles nur gesagt hat, weil es seine Anhänger hören wollten – etwa zum Klimawandel. Setze Trump die Ankündigungen um, würde das zu einem Desaster führen, so Gumbrecht. Trump sei derzeit völlig unberechenbar und deswegen gefährlich.

Auch der Soziologe Andrei Markovits von der University of Michigan will die Hoffnung, aus einem bösen Traum zu erwachen, noch nicht aufgeben: "Wir müssen Trump die Chance einer unerwarteten Kursänderung und Kehrtwende geben", sagt er zum STANDARD. "Falls diese Änderung nicht kommt, heißt es, die Hemdsärmel aufzukrempeln und Gegendruck zu leisten. Die Hysterie der Verlierer muss jedenfalls aufhören. Wir sind keine unmündigen Kinder, sondern Erwachsene, die gegensteuern können – und werden", so Markovits.

Kritik an "Normalisierung Trumps"

Die Hoffnung auf die Abkehr Trumps von all seinen furchteinflößenden Ankündigungen habe sich bereits in einer gefährlichen Normalisierung des Trumpismus manifestiert, sagt Silvia Lindtner, Assistant Professor an der School of Information der University of Michigan. Auch der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, habe gefordert, Trump eine Chance zu geben.

Lindtner: "Trumps Schweigen zu den Angriffen auf Minderheiten wie Frauen mit und ohne Kopftuch und Afroamerikaner, die sich in den Tagen nach der Wahl gehäuft haben, wird damit sogar noch bestätigt." Lindter warnt: "Die Normalisierung Trumps erinnert stark an die Normalisierung Hitlers." Wer würde heute jemals sagen, dass man Hitler respektieren müsse?

Raus aus dem Zirkel

Ähnlich wie Gumbrecht, der mehr intellektuellen Diskurs über die Gründe für Trumps Wahlsieg fordert, argumentiert die für ihre feministischen Schriften bekannte Philosophin Judith Butler. "Wir müssen zu den grundlegenden Fragen der Demokratie zurückkehren", so Butler zum STANDARD. "Wer zum Teufel sind diese Menschen? Es ist ein Leichtes, diese Wähler als irrationale und widerwärtige Rassisten zu verachten. Das sind sie auch. Aber es muss einen Weg geben, um aus unseren inneren Zirkeln auszubrechen, damit wir diese Wut und ihre Ursachen sehen können."

Die aktuellen Formen von Rassismus, Xenophobie und Frauenhass seien nicht neu. Butler: "Ein sicheres Anzeichen dafür ist auch das Wohlwollen gegenüber Polizisten, die unbewaffnete schwarze Bürger töten. All das kam vielen von uns derart abwegig vor, dass es uns nicht in den Sinn kam, dass die Hälfte der wählenden Öffentlichkeit auf dieser scheußlichen Welle mitschwimmen würde."

Die Wähler Trumps hätten sich endlich befreit gefühlt "vom kritischen Über-Ich der feministischen und antirassistischen Bewegung". Butler: "Die öffentliche Denunzierung von Rassismus brachte lediglich den unterirdischen Hass zutage." Eine scharfe Analyse einer gespaltenen Gesellschaft.

Was zu tun bleibt

Für Larry Rosenthal, Leiter des Center for Right Wing Studies an der University of California in Berkeley, zeigt das Ergebnis die Dringlichkeit seiner wissenschaftlichen Arbeit. Forschung über das Erstarken des Trumpismus und die Richtung, die er nimmt, sei in zwei Gründen wichtig: Um diese gesellschaftliche Entwicklung zu verstehen und Strategien zu entwickeln, damit die Energie der Trump-Wähler wieder in eine andere Richtung umgeleitet werden kann. Vielleicht ist ja Nowotnys Empfehlung ein geeigneter Weg: Appelle alleine würden nicht fruchten, die Wissenschafter müssten gerissen und listig sein, sagt sie. (Peter Illetschko/Christine Tragler/Lisa Mayr, 18.11.2016)