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Menschen, die er mag, küsst er auch, gestand Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dem STANDARD. Bei Martin Schulz trifft das zu.

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So schweigsam ist Martin Schulz selten. In der Regel vergehen keine 24 Stunden, in denen der für Hyperaktivität bekannte Präsident des EU-Parlaments nicht irgendeine Erklärung zu einem Ereignis in der Welt abgibt. Aber seit Sonntagabend herrscht Funkstille aus seinem Büro.

Dabei warten in Brüssel nicht nur im Parlament, sondern auch in der Kommission gerade jetzt viele darauf, dass Schulz sagt, wie es nun mit ihm weitergehen wird: ob er, wie seit Monaten, weiter um eine dritte Amtszeit als EP-Präsident kämpfen wolle? Oder ob der Sozialdemokrat deutscher Außenminister und Nachfolger von Frank-Walter Steinmeier wird, wie es fast alle deutschen Zeitungen schreiben? In der Nacht auf Montag war in der Koalitionsregierung in Berlin die Entscheidung gefallen, dass Steinmeier Mitte Februar Joachim Gauck als Bundespräsident nachfolgen wird.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stimmte in Abstimmung mit der CSU dem Vorstoß von SPD-Chef Sigmar Gabriel zu. Aus Respekt vor Gauck soll Steinmeier so lange wie möglich Minister bleiben, bis Jänner. Die SPD hat schriftlich, dass sie wieder den Außenminister stellen wird. Gabriel wartet ab.

Ringen um besten Plätze

Genau das bringt aber Schulz, der sich parteiintern auch in Berlin seit Monaten in einer Art Doppelkandidatur für einen wichtigen Posten in der SPD, vielleicht sogar die Kanzlerkandidatur, ins Gespräch gebracht hatte, wiederum in Brüssel in atmosphärische Schwierigkeiten. Im Parlament steht Mitte Jänner nicht nur die Neuwahl des Präsidenten an. Neben vierzehn Vizepräsidenten müssen zur Halbzeit der Legislaturperiode auch zahllose Vorsitzende und Stellvertreter in Ausschüssen bestätigt oder ersetzt werden. So ist das üblich, die Aufteilung erfolgt nach den politischen Kräfteverhältnissen bei den 751 Abgeordneten.

Seit Wochen ringen die Fraktionen in Nominierungen um die besten Plätze. Welche Fraktion in einer Kaskade den Zuschlag für welche (wichtige) Funktion bekommt, das hängt naturgemäß von der Entscheidung ganz oben an der Spitze ab – beim Präsidenten. Gemäß einer schriftlichen Vereinbarung der großen Koalition von Christdemokraten (EVP) und Sozialdemokraten (S&D) müsste Schulz den Posten zur Halbzeit räumen. Ein Präsident aus der EVP (die mit Jean-Claude Juncker den Kommissionschef stellt) würde nachfolgen, wobei der Italiener Antonio Tajani und die Irin Maired McGuinness beste Chancen haben.

Langes Warten

Schulz war nach den EU-Wahlen 2014 aus EVP-Sicht nur ausnahmsweise eine zweite Amtszeit zugestanden worden. Aber S&D wie Schulz fordern erneut Verlängerung. Das galt zumindest bis Montag. Juncker unterstützte das, weil er mit ihm gut kann.

In der EVP hoffen viele, dass Schulz "jetzt über den roten Teppich geht, den man ihm in Berlin ausgerollt hat". Alles andere wäre "seltsam". Lange zuwarten kann die SPD nicht, denn unter den Abgeordneten im EU-Parlament breitet sich Ärger darüber aus, wieso sie wegen des Deutschen so lange hingehalten werden. Die EVP wählt Mittwoch Manfred Weber erneut zum Fraktionschef, dann könnte es auch mit der Personalie Schulz schnell gehen – so oder so. (Thomas Mayer aus Brüssel, 15.11.2016)