Viel hatte Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) nach der Wien-Wahl im Oktober 2015 versprochen: Das Ergebnis von fast fünf Prozentpunkten minus für die Roten sei "kein Auftrag, so weiterzumachen wie bisher". Die Partei müsse verändert werden. Ein Jahr nach der Fortsetzung des rot-grünen Pakts in Wien muss freilich ernüchtert festgestellt werden: Mehr als eine beeindruckend leere Worthülse war das bisher nicht.

Natürlich haben die internationalen Auswirkungen von Wirtschaftskrise und Flüchtlingsbewegungen auch die Handlungsfähigkeit Wiens massiv eingeschränkt. Die Stadt-SPÖ ist aber derart träge unterwegs, dass sie nicht einmal zu symbolisch wichtigen Erneuerungen fähig war. Bestes Beispiel sind die roten Stadträtinnen und Stadträte selbst: Denn als "Newcomer" sind Sandra Frauenberger (Integration) und Michael Ludwig (Wohnbau) zu bezeichnen: Beide sitzen seit Jänner 2007 im Stadtsenat. Das sind bald zehn Jahre. Renate Brauner (Finanzen) ist seit 20 Jahren Stadträtin. Auch dieses Zeichen verstehen die Wähler, wenn eigentlich von Veränderung gesprochen wird.

Gleichzeitig steht die von SPÖ und Grünen regierte einzige Metropole Österreichs in puncto Attraktivität international hochangesehen da. Die "Quality of Living"-Studie der Beratungsfirma Mercer führt Wien zum wiederholten Mal auf Platz eins. Das Londoner Institut Economist Intelligence Unit weist Wien aktuell als Stadt mit der zweithöchsten Lebensqualität weltweit aus – hinter Melbourne, aber vor Toronto, Auckland, Hamburg oder Helsinki. Das öffentliche Verkehrsnetz funktioniert und ist vergleichsweise günstig. Die Ausgaben für Soziales sind hoch. Allein der Gratiskindergarten kostet 2016 mehr als 765 Millionen Euro. Das alles weiß vor allem jene Minderheit zu schätzen, die einmal länger aus dem System Wien draußen war.

Die Anziehungskraft Wiens ist ungebrochen: Zwischen 2012 und 2015 wuchs die Bevölkerung um fast 115.000, im Jahr 2023 soll die Zweimillionenmarke erreicht werden. Die von der Stadt versprochene Aufrechterhaltung der Lebensqualität ist eine riesige Herausforderung und kostet immens viel Geld. Aber schon jetzt hat Wien mit Rekordarbeitslosigkeit zu kämpfen, die Schulden haben sich bis Ende 2015 auf 5,4 Milliarden Euro fast vervierfacht. Eine Umkehr beider Trends ist vorerst nicht zu erwarten. Kein Wunder, dass da viele Wienerinnen und Wiener Ängste vor Leistungseinbußen durch die Stadt haben und auf politische Veränderungssignale hoffen. Letztere treten aber nicht ein. Der Verweis der Stadt, dass Kärnten, Niederösterreich, Salzburg und das Burgenland pro Kopf noch höher verschuldet sind, ist keine Lösungsstrategie.

Rot-Grün muss die angekündigte Verwaltungsreform ernst nehmen und auch glaubhaft zeigen, dass im internen Apparat ordentlich gespart wird. Die mögliche Auslagerung des Krankenanstaltenverbunds (KAV) darf nicht nur ein Budgettrick werden. Passiert keine spürbare Erneuerung, werden die Wähler für Veränderung sorgen. (David Krutzler, 14.11.2016)