Hier soll die Seestadt entstehen. Geplant wird seit 2009.

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Die künftige Seestadt, vom Zentrum aus gesehen. Seeseitige Ansichten werden nicht veröffentlicht.

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Bregenz – Mit der Seestadt sollte in Bregenz ein neues Kapitel in der Stadtentwicklung aufgeschlagen werden. Der Baubeginn des neuen Handels-, Büro- und Wohnquartiers zwischen Stadtzentrum und Bahnhof wird aber immer wieder hinausgeschoben.

Seitdem Stadt und landeseigene Gesellschaften das Areal 2008 an den Projektentwickler Prisma verkauft hatten, änderte sich Wesentliches: die Besitzverhältnisse durch den Einstieg der SES Spar European Shopping Centers GmbH, die Nutzungs- und auch die Gestaltungspläne. Aus dem ursprünglich geplanten Bildungs-und-Kreativ-Campus wurde ein Shoppingcenter. Der Masterplan wurde ebenso überarbeitet wie das Siegerprojekt des Architekturwettbewerbs. Vom ursprünglichen Projekt blieb fast nichts übrig, auch das Planerteam löste sich auf. Die Bregenzer Architekten Lutz und Ludescher verabschiedeten sich.

Reset drücken, sonst Schaden

Nun spricht sich eine unabhängige Initiative aus Architekten und Kulturschaffenden in einer Presseaussendung für einen Neustart aus. Denn der Entwicklung der Stadt würde durch eine Realisierung der eingereichten Pläne inhaltlich, architektonisch und städtebaulich irreversibler Schaden zugefügt, schreiben die Architekten.

Vergangene Woche hatte die Zentralvereinigung der Architekten Stadtplanung und Prisma eingeladen, das Projekt vor Fachpublikum im Detail zu präsentieren. Der Schock bei den 70 anwesenden Architekten und Architektinnen saß tief. Sie gründeten eine unabhängige Initiative, die nun an Stadt und Betreiber appelliert, das Projekt, immerhin aktuell das größte und städtebaulich wichtigste der Landeshauptstadt, zu überdenken.

Ein Riegel zwischen Stadt und See

Die Hauptkritikpunkte: Das Objekt riegle die Innenstadt vom See ab. Es fehlten die Blickachsen und Bezüge zur Seelandschaft, die Ausbildung eines attraktiven öffentlichen Stadtraums. Die 230 Meter lange seeseitige Hinteransicht werde "bewusst für immer unattraktiv und ohne Aufenthaltsmöglichkeit" gestaltet. Ohne Geh- und Radweg mache man aus der angrenzenden Landesstraße eine Stadtautobahn.

Die gestalterische Idee fehle vollkommen, kritisiert die Initiative: "So entsteht Banalität statt Qualität, Beliebigkeit statt Relevanz, Rückschritt statt Aufbruch, Auswechselbarkeit statt Prägnanz, energielose Leere anstelle von lebendigem Quartier."

Die geplante Mall sei schon vor ihrer Fertigstellung ein Auslaufmodell. "Bregenz besitzt bereits einen solchen Gemeinschaftswarenladen", nehmen die Kritiker Bezug auf das GWL, das Einkaufszentrum im Zentrum, eine architektonische Fehlleistung aus den 1970er-Jahren. "Anstatt diesen alten Handelskonzepten zu folgen und Fehler von gestern zu wiederholen, sollen neue Handelsflächen im Kontext von See und Innenstadt entwickelt werden", schlägt die Initiative vor.

Kritik an später Kritik

Für Stadtbaumeister Bernhard Fink kommt die Kritik viel zu spät. "Die hätten die Diskussion zum richtigen Zeitpunkt führen sollen. Jetzt sind Bebauungspläne und Planauflageverfahren rechtsgültig." Andreas Cukrowicz, Sprecher der Initiative, entgegnet: "Der Zeitpunkt ist richtig, weil wir erst jetzt Gewissheit über die Pläne haben."

Hält Stadtplaner Fink die Kritik für gerechtfertigt? "Ich werde mich hüten, diese Frage zu beantworten, ich sage meine persönliche Meinung sicher nicht." Die Frage des Neustarts hätten Politik und Eigentümer zu führen, nicht die Behörde. Würde die Behörde einen Neustart fordern, "werden uns Rechtsanwälte schreiben, was das kostet", verweist Fink auf mögliche Folgen. Er räumt jedoch ein, dass es noch keinen rechtsgültigen Baubescheid gebe. Das liege aber nur an Formalismen. "Der Bescheid ist kurz vor der Fertigstellung, dann kann jederzeit mit dem Bau begonnen werden."

Projekt unter Ausschluss der Öffentlichkeit überarbeitet

Prisma-Vorstand Bernhard Ölz verweist auf den Gestaltungsbeirat der Stadt, man habe das Projekt mehrfach überarbeitet, mit dem Gestaltungsbeirat entwickelt. Mehr will er vorerst zur Kritik nicht sagen.

Zuständig für Stadtplanung ist Vizebürgermeisterin Sandra Schoch (Grüne). Sie wundert sich wie Fink über den Zeitpunkt der Kritik und meint: "Das Projekt wurde nicht im stillen Kämmerlein entwickelt." Sie verweist sie auf den Masterplan von 2009 und öffentliche Präsentationen. Hier hätten sich die Kritiker einbringen können. Was sie nicht sagt: Das Projekt wurde mehrfach unter Ausschluss der Öffentlichkeit überarbeitet.

Grüne sehen den Ball beim Eigentümer

Die Grünen hätten sich bei der Überarbeitung des Masterplans 2014 eingebracht und die bessere Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr erreicht. Ihr Vorschlag, in der Seestadt die Landesbibliothek unterzubringen, sei aber vom Land abgelehnt worden.

Städteplanerisch erreiche man durch die Seestadt ein Heranrücken des Bahnhofs an das Stadtzentrum, sagt Schoch, und eine "deutliche Hinwendung zum Quellenviertel". Was die Vizebürgermeisterin nicht erwähnt: Zwischen Seestadt und Quellenviertel befindet sich noch das Seequartier, ein weiteres Entwicklungsprojekt von drei anderen Investoren. Der Baubeginn des Seequartiers rund um den Bahnhof, der neu gebaut wird, verzögert sich ebenfalls.

Ein Grund dafür sind die Verzögerungen bei der Seestadt. Die Stadt sei mit den Verzögerungen nicht glücklich, sagt Schoch: "Bahnunterführung und Bahnhofsneubau sind logistisch und zeitlich mit dem Seestadtbau verknüpft." Spätestens bis Ende des Jahres müsse sich der Eigentümer für den Baustart entscheiden.

Zum Thema Neustart meint die Vizebürgermeisterin: "Ein Neustart kann nur im Einvernehmen mit den Eigentümern erfolgen." Ob sie sich einen Neustart vorstellen könnte, beantwortet sie nicht. (Jutta Berger, 14.11.2016)