Obwohl die Nerven wegen Trump blank liegen, hält Alexander Van der Bellen in der aktuellen EU-Debatte an der Neutralität fest – und auch Norbert Hofer bekennt sich nun zum immerwährenden Dogma.

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Wien – Angesichts des Triumphs von Donald Trump bei der US-Wahl wird von beiden Kandidaten im Präsidentschaftswahlkampf prophylaktisch Österreichs Neutralität hochgehalten. Hintergrund: Weil sich der neue US-Präsident nicht mehr so sehr auf die Nato-Partnerschaft konzentrieren will, forderte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker umgehend mehr europäische Verantwortung – und zwar bis hin zur Einrichtung einer europäischen Armee. Am Montag stellte FPÖ-Hofburganwärter Norbert Hofer prompt per Aussendung klar: "Lehne Juncker-Armee ab".

Am Sonntag hatte man im Kurier noch ganz anderes gelesen: Da bekannte sich Hofer für den Ernstfall gar zu einem "gemeinsamen Oberbefehl". Doch ab sofort kommt für den blauen Kandidaten ein solcher Einsatz für österreichische Soldaten nicht mehr infrage.

Allenfalls eine gewisse Koordination der EU-Mitgliedsstaaten ist für Hofer vorstellbar – etwa wenn es um Beschaffung gehe. Möglich seien auch ein gemeinsames Hauptquartier, ein Sanitätskommando, eine Zusammenarbeit in der Logistik, wie das zuvor schon Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) angeregt hat, der allerdings wie Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern ebenfalls ein strikter Gegner einer EU-Armee ist.

Lieber bisherige Praxis

Alexander Van der Bellen pocht ebenfalls auf das immerwährende Dogma. Zwar hält der ehemalige Grünen-Chef "eine Stärkung der gemeinsamen Außenpolitik in Europa" für "ein Gebot der Stunde". Mehr Zusammenarbeit und eine verstärkte Abstimmung der Streitkräfte sind für ihn aber nur "dann sinnvoll, wenn Friedenserhaltung dabei die höchste Priorität hat". Denn auch für Van der Bellen gilt: Stets müsse dabei "die Beibehaltung der Neutralität, ein Eckpfeiler des Selbstverständnisses unserer Nation, sichergestellt sein".

Und wie Hofer hält auch Van der Bellen die Teilnahme des Bundesheers an einer EU-Armee "mit unserer Neutralität" für "unvereinbar" – auch wenn sich die bisherige Praxis, also die Teilnahme an Friedensmissionen unter UN-Mandat, "bewährt" habe. Dazu wünscht sich Van der Bellen, "dass die Regierung in Europa mit einer Stimme spricht".

Diese Hoffnung muss er vorerst aber begraben. Denn Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner hat in der ORF-Pressestunde erklärt, dass er eine EU-Armee als eine Möglichkeit erachtet, die sich noch als Notwendigkeit herausstellen könnte – und natürlich sei das mit der Neutralität vereinbar. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hielt nach einem EU-Treffen mit seinen Amtskollegen am Montag allerdings fest, "dass wir zu nichts bereit sind, was nicht in Einklang mit der Neutralität steht. Zusammenarbeit ja, von einer Volksarmee, die unter einem Kommando steht, spricht im Moment niemand."

Republik rechtlich ungebunden

Wie kommt es, dass heimische Spitzenpolitiker bei der Neutralität immer wieder zu diametralen Auslegungen kommen? Der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger hat dafür folgende Erklärung parat: "Rechtlich sind wir hier ungebunden, Österreich hat Entscheidungsfreiheit." Denn mit der Schlussakte zum EU-Beitrittsvertrag habe sich die Republik – wie Schweden und Finnland – als bereit und fähig erklärt, sich in vollem Umfang und aktiv an der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu beteiligen. Im Zuge des Vertrags von Lissabon allerdings, als sich das neutrale Irland gegen Beistandspflicht und Verteidigungsunion wehrte, wurde die "irische Klausel" geschaffen.

Diese besagt, dass im Worst Case "der besondere Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedsstaaten" unberührt bleibt. Heißt laut Öhlinger: Ob man unsere Neutralität weiterhin hochhält, "ist also eine rein politische Frage". (Nina Weißensteiner, 14.11.2016)