Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Klaus Borowski (Axel Milberg) geraten im Jubiläums-"Tatort" in unangenehme Gesellschaft.

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Alexander Adolph, Drehbuchautor und Regisseur.

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STANDARD: Der erste "Tatort" – "Taxi nach Leipzig" – lief 1970. Welche Kindheitserinnerungen haben Sie, Jahrgang 1965, an den "Tatort"?

Adolph: Ich habe mit dem Begriff "Tatort" nichts anfangen können, der war irgendwie geheimnisvoll. Aber schon als kleiner Junge merkte ich, dieser Sonntagskrimi ist ein Ereignis, über das sehr viele Menschen sprechen. Der erste Kommissar, an den ich mich erinnere, war Heinz Haferkamp, gespielt von Hansjörg Felmy. Der gefiel mir als Figur, der hatte etwas Verlorenes, Einsames.

STANDARD: Der einsame Ermittler taucht ja immer wieder auf.

Adolph: Vielleicht kann man sagen: Je verlorener und beziehungsloser ein Kommissar ist, desto mehr gehört er dem Zuseher. Es funktioniert aber auch, wenn der Ermittler ein starker Individualist ist. So war etwa mein Bruder begeistert vom Schimanski. Er trug die Jacke wie Schimanski auch im Winter offen.

STANDARD: Was gefällt Ihnen am "Tatort"-Format?

Adolph: Der Tatort ist traditionell, bietet aber auch enorme erzählerische und künstlerische Freiheiten. Das hängt mit der Idee zusammen, dass man sagt: Wir bilden verschiedene Regionen ab und wollen, dass sich die Ermittler und das Narrativ stark unterscheiden. Autoren und Regisseure sollen Dinge anders machen. So war der Tatort immer auch ein Experimentierfeld. Viele Folgen haben für Diskussionen gesorgt. Und die Zuseher dürfen die Erwartung haben, überrascht zu werden.

STANDARD: Als man Sie fragte, ob Sie den 1000. machen wollen, haben Sie gleich zugesagt?

Adolph: Ich habe schon nachgedacht. Das ist ja nicht nur Ehre, sondern auch Verantwortung. Es könnte einen das Gefühl überkommen, man müsse alles jubiläumsmäßig machen, also von allem mehr Zutaten nehmen. Zwei Kommissare, fünf Täter, hundert Autos, zig originelle Drehorte. Doch auch bei den Jubiläumstorten ist es so, dass die größeren nicht unbedingt besser schmecken müssen. Wir haben eine kleinere gemacht – aber mit zwei Kommissaren.

STANDARD: Nämlich Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) aus Hannover und Klaus Borowski (Axel Milberg) aus Kiel. Wie kam es zu dieser Paarung?

Adolph: Den ersten Tatort 1970 hat damals der NDR (Norddeutscher Rundfunk) verantwortet. Schon vor Jahren sicherte er sich den 1000., also kommen die beiden Stars aus dem Norden zum Einsatz. Und ich dachte mir, lass uns an 1970 anknüpfen und wieder ein Taxi nach Leipzig schicken.

STANDARD: In dem sitzen die beiden Kommissare, allerdings unfreiwillig, weil sie entführt werden.

Adolph: Die Geschichte spielt hauptsächlich auf engstem Raum, und das auch noch in einer Nacht. Ich wollte, dass eine Konzentration eintritt und dass es dadurch ein Thriller wird, wirklich spannend. Es war mir auch wichtig, einen genauen Blick auf die Kommissare zu werfen, ohne dass sie von Amts wegen ermitteln. Die Kommissare sollten Opfer sein.

STANDARD: Anfangs sitzen die beiden in einem öden Seminar.

Adolph: Und von da schleichen sie sich weg. Sie sind halt Menschen. Anton Tschechow hat einmal gesagt: "Die Leute gehen nicht zum Nordpol. Sie gehen ins Büro, streiten sich mit ihrer Frau und essen Suppe." Aber es ist halt grad diese Normalität, dieses menschliche Ausweichen, aus dem dann eine ganz andere Form von Heldentum erwachsen kann.

STANDARD: Der "Tatort" greift oft große gesellschaftliche Themen auf. Warum zeigen Sie zum Jubiläum einen traumatisierten Soldaten?

Adolph: Der erste Tatort-Kommissar, Paul Trimmel, ist – so will es seine Biografie -, wie viele seiner Generation, Soldat gewesen. Insofern schließt sich ein Kreis zur Folge eins. Und jetzt haben wir einen Ex-Elitesoldaten, der nicht über seine Arbeit sprechen darf. Auch das ist eine Realität des Jahres 2016. Da der Beruf des Soldaten – gerade wenn man die Welt des Films zugrunde legt – oft etwas Heldisches hat, hat mich auch da das Menschliche interessiert. Unser Ex-Soldat ist ein hassender und gleichzeitig liebender Mensch. Ihm wurde das Böse nicht in die Wiege geschrieben.

STANDARD: Warum wollten Sie kein Happy End?

Adolph: Es war die Geschichte, die es so wollte. Ab einem bestimmten Zeitpunkt diktiert sie es einem beim Schreiben.

STANDARD: Was macht für Sie persönlich einen guten "Tatort" aus?

Adolph: Er muss spannend sein und mir eine Geschichte erzählen, die in mir nachwirkt und über die ich nachdenken und mit anderen sprechen kann.

STANDARD: Schon nachmittags wird im TV ermittelt. Warum sehen sich die Zuseher an Krimis nicht satt?

Adolph: Wir haben in Deutschland so viele Krimiformate wie kein anderes europäisches Land. Vielleicht ist das ein Ventil, um mit Angst umzugehen. Vielleicht ist es der Umgang mit Schuld, weil die im Krimi oft klar verteilt wird.

STANDARD: Was würde Sie an einem Wiener "Tatort" reizen?

Adolph: Eisner und Fellner sind großartige Kommissare. Außerdem ist das Österreichische, das Wienerische eine phänomenale Sprache. Es hat eine große Poesie und etwas Galliges, Böses. (Birgit Baumann, 12.11.2016)