Wuchtige Mauern. Eingänge, die an ein Gewölbe denken lassen. Früher war das einmal ein Postamt, dann hat Donald Trump das historische Gebäude an der Pennsylvania Avenue von der amerikanischen Regierung gemietet, um daraus ein Luxushotel zu machen. Und deshalb wird es nun zu einem Fokus der Anti-Trump-Proteste.

"Not our President! Not our President!", schallt es über die Pennsylvania Avenue, an der das Trump International Hotel liegt. Irgendwann rufen junge Frauen in einem schnell zu enormer Lautstärke anschwellenden Chor: "Pussy Power! Pussy Power!" Der herausfordernde Slogan spielt an auf das, womit der Immobilienunternehmer vor Jahren gegenüber dem Entertainment-Reporter Billy Bush geprahlt hatte: dass Frauen ihm, dem Star, alles erlauben, sogar, dass er sie an den Genitalien berührt.

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Proteste vor dem Trump International Hotel am Donnerstagabend.
Foto: REUTERS/Joshua Roberts

"Pussy schlägt zurück!", ist nun vor der Nobelherberge auf handbeschriebenen Plakaten zu lesen. Oder: "Frauenrechte sind Menschenrechte!" Den Satz hat Hillary Clinton, damals noch First Lady, 1995 auf einer UN-Konferenz gesagt, in der wahrscheinlich besten Rede ihrer Karriere. "Kein Mensch ist illegal", skandiert der Chor der Demonstranten, als ein Mann in einer Fahrradrikscha für Touristen vorbeirollt und schreit, dass man Gott für Donald Trump danken möge.

Ventil für Frust

Der abendliche Protest an der Pennsylvania Avenue ist ein Ventil, um spontan Frust abzulassen. Das liberale Amerika hat die Wahl verloren, und während in der überaus liberalen Stadt Washington manche noch in Schockstarre verharren, sagt Rita Gordon, dass sie in den nächsten Tagen noch sehr viel protestieren werde. Trump, schiebt sie hinterher, habe jede einzelne Bevölkerungsgruppe des Landes vor den Kopf gestoßen – "mit einer Ausnahme: weiße Männer".

Grafik: APA

Die erste Präsidentin im Weißen Haus, ja, sicher, das wäre eine Sache für die Geschichtsbücher gewesen, sagt die Mittdreißigerin. "Aber um ehrlich zu sein: Ich war nie ein großer Hillary-Fan."

Die meisten, die vorm Trump-Hotel demonstrieren, sehen es ähnlich. Viele haben während der Vorwahlen Bernie Sanders, Clintons linkem Rivalen, den Vorzug gegeben. Nach Postern mit Clintons Konterfei sucht man in der Menge vergebens. Dafür gibt es rosafarbene Herzen, auf denen steht, dass man gegen Intoleranz und Engstirnigkeit aufstehen soll.

Am Weißen Haus brennen Kerzen, besser gesagt, im Park davor, denn das Haus selbst ist noch weiträumiger abgesperrt als sonst, weil Bautrupps demnächst die Tribünen für den Festzug der Amtseinführung aufstellen. Auf denen werden am 20. Jänner handverlesene Gäste sitzen, um den Präsidenten Trump nach der Vereidigung vorm Kapitol auf dessen Rückweg zur Machtzentrale zu feiern.

Enttäuschung von der Seele reden

Mit der improvisierten Mahnwache will eine Initiative namens "All of Us 2016" – begründet von Yong Jung Cho, der Tochter südkoreanischer Einwanderer – ein Zeichen setzen. Am Maschendrahtzaun hinter den Kerzen bilden Studentinnen einen Kreis, um sich ihre Enttäuschung von der Seele zu reden. Es liege ja auch eine Chance darin, dass es Clinton nicht geschafft habe, spricht Sarah Taylor sich und den anderen Trost zu: Denn nun werde die erste Präsidentin der US-Geschichte eine Frau sein, die sie, Taylor, vielleicht wirklich inspiriere.

Die 18- bis 29-Jährigen, zeigten die Detailanalysen des Wahlergebnisses, haben zwar mehrheitlich Clinton den Vorzug gegeben, aber längst nicht so zahlreich abgestimmt, wie es der Fall war, als Barack Obama zur Wahl stand.

Hoffnungsträgerin Michelle

Es ist ein Befund, den die zufälligen Begegnungen beim Weißen Haus bestätigen: Die Skepsis der Millennials gegenüber der Ex-Außenministerin ist nie gewichen. Nur damit man sie nicht falsch verstehe: Das Land sei mehr als bereit für eine Madam President, sagt Sarah Taylor. "Michelle 2020", ruft eine ihrer Kommilitoninnen und reckt die Faust in die Luft. Worauf sich die Stimmung am Zaun schlagartig aufhellt.

"Nicht mein Präsident" und andere Anti-Trump-Slogans halten liberale Demonstranten nach der denkwürdigen Wahlnacht vor dem Weißen Haus hoch. Clinton-Fans sind dennoch die wenigsten – viele sehen eine demokratische Zukunftshoffnung in der scheidenden First Lady, Michelle Obama.
Foto: AFP / Yuri Gripas

Dass Michelle Obama in vier Jahren fürs Oval Office kandidiert, hat die First Lady selber nie bestätigt. Wie auch, es wäre ohnehin viel zu früh. Es ändert nichts daran, dass sie die Hoffnungsträgerin des liberalen Amerika ist; fast so etwas wie ein Strohhalm, an den man sich in der Stunde der Niedergeschlagenheit klammern kann.

Lesen gegen Trump

In der Buchhandlung Politics & Prose, einer Institution im liberalen Washington, haben sich Bradley Graham und Lissa Muscatine, die Besitzer, einen melancholisch klingenden Werbespruch einfallen lassen: "In Augenblicken wie diesen haben wir immer noch unsere Bücher." Man möge bitte hereinkommen und sich eine Auswahl anschauen, die beide aus gegebenem Anlass zusammengestellt hätten. Die Bücher liegen in kleinen Stapeln auf einem Tisch, über dem in hoffnungsvollem Grün eine Losung schwebt: "Gebt nicht auf! Zeigt Flagge! Lest euch schlau!"

Die Lektüre reicht – um nur drei Beispiele zu nennen – vom Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz ("The Price of Inequality") über den Princeton-Politikwissenschafter Jan-Werner Müller ("What Is Populism?") bis hin zur "Hillbilly Elegy" von J. D. Vance. In einem winzigen Nest in den Bergen Kentuckys geboren, hat Vance das Leben der Hillbillys, der oft verspotteten Bewohner der Appalachen, geschildert. Das Leben von Leuten, die mit großer Mehrheit Trump wählten. Die Erzählung gilt als Schlüssel zum Verständnis des Trump-Phänomens.

"An meine Tochter: Es wird dir gutgehen" betitelt Dana Milbank am Donnerstag eine seiner Kolumnen in der "Washington Post". "Die Leute machen Witze, dass sie in ein anderes Land fliehen, aber Amerika bleibt das großartigste Land der Welt." Milbank, eine der Edelfedern des Hauptstadtblatts, sorgte für Aufsehen, als er Zeitungspapier verzehrte. Es wurde in kleine Fetzen zerrissen und mit nahrhaften Speisen vermengt, nachdem er im Herbst 2015 angekündigt hatte, falls sich seine Prognose als falsch erweise, werde er das Papier essen, auf dem sie gedruckt sei. Die Republikaner, lautete seine Prognose, würden Donald Trump niemals zu ihrem Präsidentschaftskandidaten küren.

Nun ist Trump nicht nur Kandidat, sondern designierter Staatschef, und Milbank schreibt seiner Tochter, einer Zwölfjährigen, einen offenen Brief. "Du hast zu Recht Angst davor, dass ein Mann, der über Frauen redet, wie Trump es tut, zum Präsidenten gewählt wurde. Aber wir wissen alle, dass eines Tages eine Frau zur Präsidentin gewählt werden wird. Vielleicht wirst du das sein."

Trost von Freunden

In einem sehr liberalen Viertel des sehr liberalen Washington hat vor drei Wochen ein 68-Jähriger ein spätes Studium (Psychologie) abgeschlossen. Als er zur Party einlud, um das Diplom zu feiern, bemerkte jemand nach der kurzen, launigen Rede des angehenden Psychologen, dass er sich über Mangel an Arbeit kaum beklagen dürfte, falls Trump gewinne. Es war als Scherz gemeint.

Heute spricht eine befreundete Lehrerin von ihrer Verzweiflung: Alles, was man den Kindern an Anstandsregeln beibringe, werde nun konterkariert durch einen Präsidenten, der sich einer vulgären Sprache bediene. Ein Nachbar, dessen Vorfahren irgendwann im 19. Jahrhundert aus Süddeutschland eingewandert sind, schickt am Morgen nach der Wahl eine Mail. "Gott in himmel (sic!)", um es mit einem Stoßseufzer seiner Mutter zu sagen. "Wir sind entsetzt."

Votum gegen die Zukunft

Und auf dem Congressional Cemetery, einem historischen Friedhof in der Nähe des Kapitols, wird das Grab einer frühen Wegbereiterin des Frauenwahlrechts auf einmal zu einer Pilgerstätte.

Die Rechtsanwältin Belva Ann Lockwood bewarb sich 1884 fürs Weiße Haus, 36 Jahre bevor Frauen in den USA zum ersten Mal abstimmen durften. Jemand hat eine Notiz hinterlassen, die sich wie eine Entschuldigung liest. "Es tut mir so leid. Wir haben es versucht, aber es ist uns nicht gelungen." Unter dem Zweizeiler steht, später in anderer Handschrift hinzugefügt, ein einziges Wort. Noch.

Gloria Steinem, eine der Ikonen der Frauenbewegung, hat in einem Radiointerview gesagt, sie weigere sich, in Donald Trump ihren Präsidenten zu sehen. Sie werde nicht gegen Gesetze verstoßen, das nicht. Sie werde aber auch nicht heucheln und so tun, als ob er sie repräsentiere. "Es fühlt sich an, als wäre dies ein Votum gegen die Zukunft gewesen", klagte Steinem. "Aber die Zukunft wird kommen, so oder so." (Frank Herrmann aus Washington, 11.11.2016)