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Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage und Donald Trump auf einer Wahlkampfveranstaltung in Jackson, Mississippi im August.

Foto: AP/Gerald Herber

Extremismus wird im Jahr 2016 wohl wieder als Norm betrachtet. Brüssel- und Migranten-Bashing scheint für britische Politiker in den vergangenen Jahren zunehmend zum Ausdruck des Nationalstolzes geworden zu sein. Und der frisch gewählte Präsident der Vereinigten Staaten schockiert die Welt regelmäßig mit Beschimpfungen von Frauen, Minderheiten und Demokratie. Letztlich haben die Kampagnen von Donald Trump und Boris Johnson jedoch lediglich ausgenutzt, was in der Bevölkerung ohnehin schon vorhanden war. Den Wunsch nach einer politischen Alternative, nach Veränderung. Aber was ist der Grund für diese Wut auf den Rest der Gesellschaft? Und warum haben es ausgerechnet diese Länder damit an die Spitze getrieben?

Die Entwicklung des Neoliberalismus

Mit dem Beginn der Ölkrise 1973 kam das "goldene Zeitalter des Kapitalismus" zu einem jähen Ende. Die darauffolgenden Jahre waren geprägt von Rezession, hoher Arbeitslosigkeit und niedrigen Löhnen. Versprechen von wirtschaftlichem Boom und mehr Arbeitsplätzen verhalfen schließlich Margaret Thatcher und Ronald Reagan an die Macht. Ihre politischen Programme wirkten, BIP und Wirtschaftskraft stiegen.

Jedoch bekam ein großer Teil der Bevölkerung nur wenig davon zu spüren. Die konservativen Regierungen orientierten sich vornehmlich an wirtschaftlicher Deregulierung und neoliberalen Ideologien. Vom wachsenden Reichtum profitierten daher vornehmlich große Konzerne und Besserverdienende. Für Mittel- und Unterschicht stagnierten, die Löhne sanken sogar.

Die folgenden Regierungen änderten an den liberalen Ansichten in der Wirtschaft wenig. Seit mehr als 30 Jahren wächst die Kluft zwischen Arm und Reich mehr und mehr. Und mit ihr die Unzufriedenheit in der Bevölkerung.

Die Auswirkungen

All dies hat mit Brexit und Trump mehr zu tun als es auf den ersten Blick scheint. Weder in den Vereinigten Staaten noch in Großbritannien haben sich Politiker ausreichend engagiert gegen die zunehmende Ungleichheit zwischen Arm und Reich vorzugehen. Ganz im Gegenteil. Sie hatten eher Interesse daran, die Stellung ihrer Länder im internationalen Markt zu stärken und dabei großen Konzernen und Banken in die Hände zu spielen.

Jedoch sind Politiker nun einmal auf große Wählerschaften angewiesen und können kaum sagen, selbst die Schuld für niedrige Löhne oder unfaire Arbeitsbedingungen zu tragen. Also muss für die Probleme jemand anders verantwortlich sein. Und da kommen Brüssel und Mexikaner nur recht.

Wählerwunsch Veränderung

Es wäre naiv zu glauben, dass es die englische Politik nicht besser wusste, wenn sie der Europäischen Union willkürliche Anschuldigungen unterstellte. Wenn David Cameron vor Fabrikarbeitern argumentiert, billige Importe aus Osteuropa wären schuld daran, dass sie zu Hungerlöhnen arbeiten müssen. Wenn Nigel Farage behauptet, die EU würde britische Steuerzahler 350 Millionen Pfund pro Woche kosten, ohne dass sie etwas davon zurückzuerhalten. Britische Politiker haben die EU-kritische Stimmung in der Bevölkerung immer wieder gerne ausgenutzt, um das Nichtstun der eigenen Partei zu vertuschen und neue Wähler zu gewinnen. In den USA war es nicht anders. Sowohl Demokraten als auch Republikaner haben mit ihrer jahrelangen Kritik an Latinos, Globalisierung und Sozialismus das Fundament für Trumps Erfolg gelegt.

Womit Politiker letztlich nicht rechneten war der Einfluss, den sie damit auf die öffentliche Meinung hatten. Offensichtlich hat sich das Volk die Parolen der Führungselite stärker zu Herzen genommen als erwartet. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem ein substantieller Teil der Bevölkerung jegliches Vertrauen und Zuversicht in die Politik verloren hat. An dem viele gewillt sind, jeden Vorschlag für Veränderung mit offenen Armen zu empfangen, so widersinnig und unrealistisch dieser auch klingen mag. Dies richtig auszunutzen war alles, was Johnson und Trump tun mussten. Das Resultat einer politischen Klasse, die moralische Werte zugunsten von Macht und Einfluss aufgegeben hat.

Was sich ändern muss

Hieraus kann der Rest Europas eine wichtige Lektion ziehen. Großbritannien und die USA sind schließlich nicht die einzigen Staaten mit zunehmend wirtschaftsliberaler Haltung. Am ganzen Kontinent werden Populismus, Nationalismus und EU-Kritik zunehmend zum Problem.

Es ist kein Zufall, dass es die Briten und Amerikaner damit an die Spitze getrieben haben. Elitismus und Neoliberalismus sind in keiner anderen westlichen Demokratie so ausgeprägt wie hier. Dabei haben Brexit- und Trump-Unterstützer durchaus recht in der Annahme, dass in ihrem Land etwas schief läuft. Dass trotz stetem Wirtschaftswachstum und zunehmendem Reichtum ihre Gesellschaft immer unfairer, immer ungleicher wird. Nur suchen sie die Ursache dieser Probleme am falschen Ort.

Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass zukünftige Wahlen in Kontinentaleuropa nicht zu ähnlich unerwarteten Resultaten führen werden. Unsere Politiker müssen endlich lernen, stärker auf die Probleme der Mittel- und Unterschicht einzugehen und wirtschaftliche Fairness über Wachstum zu stellen. Nur so ist es möglich, gegen den zunehmenden Populismus vorzugehen. Das Überleben der westlichen Demokratie könnte letztlich davon abhängig sein. (Lukas Job, 10.11.2016)