Brüssel – Europa wird künftig stärker auf sich selbst gestellt sein – das gilt nach Sicht von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nicht nur politisch, sondern auch militärisch. Selbst wenn der designierte US-Präsident Donald Trump seine Ankündigung nicht vollständig wahrmachen sollte, den europäischen Verbündeten die US-Zusammenarbeit in der Nato zu entziehen, zeige die Wahl, dass die EU bereit sein müsse, eigenständig Bedrohungen entgegenzutreten.

Juncker forderte daher am Mittwochabend in seiner jährlichen Europarede erneut, mehr europäische Verantwortung in der Verteidigungspolitik – "bis hin zum Ziel der Errichtung einer europäischen Armee". Denn auch ganz unabhängig vom amerikanischen Wahlausgang sei klar, dass sich Europa von der Vorstellung verabschieden müsse, die USA seien für die Sicherheit in Europa zuständig. "Das müssen wir schon selbst tun", so Juncker.

Tatsächlich verleiht der anstehende Wandel in Washington der schon lange laufenden Debatte über die europäische Sicherheitspolitik nun neue Dringlichkeit. Ein eigentlich als Routinetreffen geplantes Zusammenkommen der Verteidigungsminister in der kommenden Woche wird wohl ebenfalls im Zeichen des Neuaufbaus der gemeinsamen europäischen Verteidigungsarchitektur stehen. Das hatte die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen schon vor Feststehen des US-Wahlergebnisses angekündigt. Sie fordert ebenfalls eine engere Zusammenarbeit der europäischen Streitkräfte als Ergänzung der bestehenden Nato-Sicherheitsstrukturen.

Insgesamt betonte Juncker am Mittwochabend allerdings auch, dass die Beziehungen der EU zu den USA nicht vollständig neu geordnet werden müssten. "Es gibt so viele Bande zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU" – man solle jetzt nicht "aus Verärgerung" diese Verbindungen einfach kappen.

Keine Vereinigten Staaten

Am Donnerstag forderte er dann aber auch mehr Klarheit vom gewählten Präsidenten und dessen Team über die künftigen Pläne: "Wir würden gerne wissen, wie die Dinge in Sachen Handel weitergehen. Wir müssen wissen, welche Pläne Trump in Sachen Nato-Zusammenarbeit hat und welche Klimapolitik er zu verfolgen gedenkt" (siehe Seite 6).

In einem anderen Bereich dagegen trat Juncker am Mittwoch hinter früher aufgestellte Forderungen zurück: Die von ihr geforderte engere Zusammenarbeit der einzelnen Länder solle keinesfalls in einer Art "Vereinigte Staaten von Europa" münden, so der Kommissionschef. "Das sollten wir unterlassen", die Menschen in den verschiedenen Mitgliedsländern würden dies auch nicht wollen. (red, 10.11.2016)