Ein Drittel aller Kinder unter fünf Jahren leidet in Tansania Hunger.

Foto: Schilly

Land geht auch an Nationalparks verloren. Tansania leistet zum Beispiel wichtige Arbeit bei dem Erhalt der afrikanischen Elefantenpopulation.

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Dorfbewohner fordern jedoch mehr Information und Mitsprache bei der Ausweitung von Nationalparks, wie etwa dem Ruaha National Park im Norden des Landes. Oft stecke vor allem die Ausweitung des Tourismus und der Jagd im Vordergrund und nicht der Artenschutz.

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Es ist früher Nachmittag im Tarangire-Nationalpark im Norden Tansanias. Die Sonne brennt auf die weite, verdörrte Buschlandschaft. Nur die hunderte Jahre alten Baobabbäume mit ihren mächtigen Stämmen spenden Schatten. Die Landschaft erinnert an den Planeten des kleinen Prinzen in Antoine de Saint-Exupérys Erzählung, auf dem der für das tropische Afrika typische Baum ebenfalls vorkommt. Es ist Ende der Trockenzeit in dem ostafrikanischen Staat, und viele Tiere wandern in das Areal, um am ständig Wasser führenden Tarangire-Fluss ihren Durst zu stillen.

Das 2850 Quadratkilometer große Naturschutzgebiet liegt südwestlich von Arusha, die Stadt ist auch wegen ihrer Nähe zum Kilimandscharo, dem höchsten Bergmassiv Afrikas, ein beliebtes Touristenziel. Daher scharen sich rund um eine Wasserstelle nicht nur Löwen, Pelikane, Zebras und Gnus, sondern auch 14 beige, robust gebaute Jeeps – gut gefüllt mit Safaritouristen. Die Dächer sind einen Spalt offen, daraus lugen Teleobjektive. Eine große Herde von Elefanten nähert sich trotz der massiven Körper überraschend lautlos dem Wasser. Das einzige Geräusch, das zu hören ist, ist ein Chor aus Klickgeräuschen der digitalen Spiegelreflexkameras. Für einen Tag Wildnis zahlen Touristen rund 150 bis 200 Euro.

Umsiedelung von 21 Dörfern geplant

Wechsel in den Bezirk Mbarali in die Region Mbeya im Westen Tansanias, etwa 13 Autostunden südlich des Nationalparks. Rund 2,7 Millionen Menschen leben dort, die meisten vom eigenen Land. Draußen fegt der Wind Sand und Staub über die Steppe. Auch hier warten die Menschen auf die Regenzeit, die jedes Jahr unzuverlässiger einsetzt. Doch die seit Jahren spürbare Klimaveränderung ist an diesem Tag nicht Thema des Farmers' Forum, eines Zusammenschlusses von Bauern aus Dörfern der Region.

30 Menschen sitzen in einer Holzhütte und diskutieren über ein Thema, das ihre Existenz bedroht: Es sind keine Großgrundbesitzer oder Multikonzerne, die ihnen das Land nehmen wollen – in einem über weite Flächen fruchtbaren Land mit unerschlossenen Bodenschätzen sonst ein großes Problem. In Mbarali will die Nationalparkbehörde Tansanias, kurz Tanapa, den Ruaha-Nationalpark ausweiten. Das würde die Umsiedelung von 21 Dörfern bedeuten.

Im März reisten einige Bewohner in die Hauptstadt Dodoma, um bei dem für Umweltagenden zuständigen Minister zu protestieren. Sie wurden aber nicht vorgelassen und trafen nur einen regionalen Verwalter. "Es wurde uns versprochen, dass uns der Minister einen Besuch abstatten wird. Bis heute ist niemand gekommen", sagt Bernad Malanji, der bereits einmal aus einem Dorf abgesiedelt wurde. "Ein Nationalpark ist natürlich nicht per se schlecht. Aber es muss eine Diskussion und einen Kompromiss mit den Bewohnern geben", fordert der 54-jährige Bauer.

Jagd im geschützten Gebiet

Der Ruaha-Nationalpark ist mit einer Fläche von rund 20.000 Quadratkilometern bereits der größte Nationalpark in Tansania und sogar im östlichen Afrika. Bislang wurden den Dorfbewohnern weder die Gründe genannt, warum das Schutzgebiet weiter ausgedehnt werden soll, noch erläutert, wohin sie übersiedeln sollen. 2389 Hektar Land sind von den Plänen betroffen. "Wir sind hier verwurzelt. Der Nationalpark ist das nicht. Wir wissen, dass auch andere Pläne als Umweltschutz dahinterstecken", sagt Malaji.

Der 61-jährige Athanas Ngomango mischt sich in das Gespräch ein und erhebt schwere Vorwürfe. Er berichtet von einem Dorf, das rund fünf Kilometer entfernt liegt. 2008 wurde die Bevölkerung abgesiedelt, sagt er: "Einflussreiche Leute haben dann Hotels gebaut, und Ausländer kommen nun, um Großwild zu jagen." Jagd ist in den insgesamt 16 Nationalparks verboten, aber dennoch kommt es zu illegalen Abschüssen. Zudem gibt es laut dem offiziellen Touristenportal von Tansania 17 "Game Reserves" – Wildgehege, in denen Jagdlizenzen gekauft werden dürfen -, andere Quellen sprechen von 29.

Ein Drittel unterernährt

Der Boden wird unterdessen knapper: Rund 38 Prozent der Fläche Tansanias stehen unter Naturschutz oder sind als Nationalpark ausgewiesen. Gleichzeitig hat das Land ein starkes Bevölkerungswachstum: Frauen bekommen durchschnittlich rund 5,3 Kinder. 44 Prozent der Menschen haben ihren 15. Geburtstag noch vor sich. Im aktuellen Welthungerindex, der im Oktober erschienen ist, wird die Situation in Tansania als "ernst" eingestuft. Der Anteil der unterernährten Bevölkerung beträgt 32,1 Prozent. 34,7 Prozent der Kinder unter fünf Jahren werden als "ausgezehrt" eingestuft.

Dabei ist mit dem 1999 verabschiedeten "Land Act and Village Land Act" ein rechtliches Instrument geschaffen worden, um das Recht auf Land zu schützen. Tansanias Fläche wird darin in drei Kategorien unterteilt: öffentliches Land, geschützte Reservate und bewirtschaftetes Dorfgebiet, das den Bauern eigentlich nicht mehr weggenommen werden dürfte.

Starke Gesetze ohne Wirkung

Die Gesetze seien stark und hätten das Potenzial, die Bevölkerung vor Landraub zu schützen, "aber die Leute tendieren dazu, die Gesetze zu ignorieren", kritisiert Anwalt Boniface Mwabukusi. Er kämpft gemeinsam mit der gemeinnützigen Organisation Miico gegen Landraub. Die NGO wird von der österreichischen Dreikönigsaktion, dem Hilfswerk der katholischen Jungschar, unterstützt.

Rund 80 Prozent der Tansanier sind Landwirte. Viele würden sich an Miico wenden, da sie durch Investoren oder die Erweiterung von Nationalparks von ihrem Land vertrieben werden. Die meisten Menschen stehen dem hilflos gegenüber, "da sie nicht wissen, wie sie für ihre Rechte kämpfen können", sagt der Anwalt. Ziel ist eine Einigung außerhalb des Gerichts, um lange Verfahrenszeiten und hohe Kosten zu vermeiden. "In der ganzen Mbeya-Region gibt es nur vier Richter, jeder ist mit 200 Fällen betraut", so Mwabukusi.

Die Bauern müssen für die Beratung des Anwalts, der sonst 100 Euro für eine Viertelstunde verrechnet, aufgrund der Hilfe durch die Dreikönigsaktion nichts zahlen. Gemeinsam mit Miico erstellt der Anwalt etwa einfache Argumentationslisten, damit die Bauern gegenüber Großinvestoren und Regierungsvertretern auf ihre Landrechte beharren können. "Damit können sie auch in meiner Abwesenheit ihren Standpunkt fundiert vertreten", sagt Mwabukusi. Denn einen Anwalt können sich die meisten Tansanier ebenso wenig leisten wie eine Safari. (Julia Schilly, 9.11.2016)