Dass sich linke Wähler scharenweise von der SPÖ abwenden könnten, diese Sorge teilt Hans Niessl mit vielen Genossen nicht, denn: "Wer geht zu den Grünen, bitte? Die Partei stagniert ja seit Monaten in den Umfragen. Wer in der Flüchtlingspolitik so versagt, hat kein Potenzial nach oben."

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Wien – Schon zu Beginn der SPÖ-internen Beratungen über eine Öffnung zur FPÖ, die bis Mai Ergebnisse bringen sollen, hält Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl, selbst in Koalition mit den Freiheitlichen, im STANDARD-Interview fest, dass rot-blaue Kooperationen "in den nächsten Jahren zunehmen werden, auch auf Landesebene".

Aus Niessls Sicht bringt "die dauerhafte Ausgrenzung einer Partei nichts, wenn sie die Kriterien der SPÖ erfüllt. Im Gegenteil, damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die SPÖ eines Tages in Opposition landet – und das will ich nicht." Dazu rüttelt der Landeshauptmann an der Koalitionstauglichkeit der ÖVP: Bei der Gewährleistung der sozialen Gerechtigkeit – Stichwort Steuergerechtigkeit – "muss man sich ja fragen, ob da die ÖVP künftig als Koalitionspartner übrig bleibt".

STANDARD: Die rote Arbeitsgruppe rund um Landeshauptmann Peter Kaiser lotet nun die Bedingungen für künftige Koalitionen auch mit der FPÖ aus. Hoch an der Zeit – oder soll man in Stadt, Land, Bund bei entsprechenden Kräfteverhältnissen so wie Sie im Burgenland gleich Nägel mit Köpfen machen?

Niessl: Hier möchte ich aber schon daran erinnern, dass es bei uns davor eine Befragung der 32.000 SPÖ-Mitglieder gegeben hat, an der sich rund 60 Prozent beteiligt und 90 Prozent davon für Gespräche mit der FPÖ ausgesprochen haben. Ein Votum auf derart breiter Basis kann bisher keine andere Landesgruppe vorweisen, obwohl es auch bereits in etlichen Gemeinden rot-blaue Kooperationen gibt. Und die werden in den nächsten Jahren noch zunehmen, auch auf Landesebene.

STANDARD: Im Bund sehen Regierungsmitglieder wie Verkehrsminister Jörg Leichtfried einen Pakt mit der FPÖ aber immer noch als brandgefährlich an. Verständnis dafür oder unberechtigte Sorgen?

Niessl: Das ist seine Meinung, aber aus meiner Sicht bringt die dauerhafte Ausgrenzung einer Partei nichts, wenn sie die erforderlichen Kriterien der SPÖ erfüllt. Im Gegenteil, damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die SPÖ eines Tages in der Opposition landet – und das will ich nicht.

STANDARD: Immerhin kooperieren die Blauen auf Unionsebene mit EU-feindlichen, rechtsextremen Fraktionen. Lässt sich so ein Staat machen?

Niessl: In unserem 37-seitigen Koalitionsabkommen für das Burgenland widmet sich jedenfalls eine ganze Seite dem gemeinsamen Bekenntnis zur EU – und wir leben die europäische Politik auch in vorbildlichster Art und Weise, konkret mit rund hundert grenzüberschreitenden Projekten mit Ungarn. Das ist einzigartig für eine Region in Europa.

STANDARD: Ihre Freiheitlichen im Burgenland kamen bei der letzten Landtagswahl aber gerade einmal auf 15 Prozent der Stimmen und gelten deswegen als pflegeleichter, bequemer Partner.

Niessl: Ich will nicht über die Pflegeleichtigkeit diverser Landesgruppen spekulieren, aber in unserem Koalitionsübereinkommen ist auch eine Absage an jeglichen Fundamentalismus und Extremismus festgeschrieben – und ist Ihnen aus dem Burgenland seitdem jemals irgendetwas aus der Richtung zu Ohren gekommen? Eben.

STANDARD: Die Bundespartei hätte es aber wohl mit einer mindestens gleich starken FPÖ zu tun – und linke SPÖ-Wähler könnten bei einer Öffnung doch zu den hier kompromisslosen Grünen abwandern?

Niessl: Wer geht denn zu den Grünen, bitte? Die Partei stagniert ja seit Monaten in den Umfragen, obwohl Alexander Van der Bellen in der Hofburg-Stichwahl ist. Die Grünen legen derzeit ja nirgends zu, in Österreich nicht, in Deutschland nicht und in ganz Europa nicht. Wer in der Flüchtlingspolitik so versagt wie die Grünen, hat kein Potenzial nach oben.

STANDARD: Weil die FPÖ stets suggeriert, dass sie Zustände wie im Vorjahr in Regierungsfunktion nie geduldet hätte: Wie viele Flüchtlinge sind denn weniger ins Burgenland gekommen, wo doch der Freiheitliche Johann Tschürtz Ihr Landeshauptmann-Vize ist?

Niessl: Wir im Burgenland haben sehr wohl dafür gesorgt, dass heuer nicht wieder 90.000 kommen – weil alles, was ich vor eineinhalb Jahren gefordert habe, auch auf unseren Druck hin umgesetzt worden ist: Grenzkontrollen samt Assistenzeinsatz des Heeres, Aufstockung der Budgets für Polizei und Militär – und im Koalitionsübereinkommen haben wir bereits einen Richtwert für Asylanträge festgelegt. Genauso haben wir Vereinbarungen zur Integration und zur Gewährleistung der sozialen Gerechtigkeit. Bei Letzterem – Stichwort Steuergerechtigkeit – muss man sich ja fragen, ob da die ÖVP künftig als Koalitionspartner übrig bleibt.

STANDARD: Ihr Tipp: Wie lange hält Rot-Schwarz noch?

Niessl: Wenn die Arbeit für das Land im Zentrum steht und nicht Wahltagsspekulationen, bis 2018.

STANDARD: Eineinhalb Jahre nach Ihrem rot-blauen Pakt in Eisenstadt: Schlägt Ihnen von den Genossen in Wien wegen Ihres Tabubruchs noch Ablehnung entgegen?

Niessl: Unser Verhältnis ist korrekt – und als Demokraten akzeptieren wir, dass es in der Partei verschiedene Meinungen gibt.

STANDARD: Die Mitarbeit in Kaisers Arbeitsgruppe hat Sie nicht gereizt?

Niessl: Unser Klubchef im Landtag, Robert Hergovich, ist dort vertreten – und er wird sich, auch in Abstimmung mit mir, positiv und burgenländisch einbringen. (Nina Weißensteiner, 6.11.2016)