Wie man Menschen am städtischen Leben teilhaben lassen kann: Ingrid-Leodolter-Haus von wup architektur.

Foto: Andreas Buchberger

Kamp-Firmengebäude, Theresienfeld. Für den niederösterreichischen Steinmetz und Natursteinhändler Josef Kampichler entwickelten die Wiener Architekten gerner gerner plus dieses minimalistische Ensemble aus Verwaltung, Produktion und Lagerflächen. Im Laufe der Jahre entstand sogar ein Gewerbepark mit Mieteinheiten für weitere Firmen.

Foto: Matthias Raiger

Anton-Bruckner-Privatuniversität, Linz. Hoch oben am Hang mit Blick auf Linz thront diese weiße Skulptur, in der am Freitag die Preisverleihung des Bauherrenpreises über die Bühne ging. Der Wille zur Qualität ist in diesem 850-Studenten-Bau für die BEG laut Jury deutlich zu spüren. Planung: Architekturbuero 1 und Elch Landschaftsarchitekten.

Foto: Simon Bauer

Schul- und Kulturzentrum, Feldkirchen an der Donau. Aus einem alten Siebzigerjahre-Bau schufen fasch&fuchs für die oberösterreichische Gemeinde einen modernen, offenen Schulkomplex mit Neuer Mittelschule, Musikschule und Kulturzentrum. Während des Umbaus wurden leer stehende Büros und Geschäfte als temporäre Klassenräume genutzt.

Foto: Hertha Hurnaus

Bilding Kunst- und Architekturschule, Innsbruck. Auf den ersten Blick erinnert das von der Universität Innsbruck (Studio 3, Institut für experimentelle Architektur) geplante Ding an Zaha Hadid. Tatsächlich verbirgt sich hinter den dramatischen Formen ein partizipativ geplanter Low-Budget-Bau aus Brettsperrholz. Besser kann man Architektur nicht lernen.

Foto: Günter R. Wett

Neunerhaus Hagenmüllergasse, Wien. Das Heim mit 57 Wohnplätzen (Pool Architektur und Rajek Barosch Landschaftsarchitektur) dient Obdachlosen als vorübergehende Starthilfe für ein selbstständiges Wohnen. Das Kooperationsprojekt von Neunerhaus und WBV-GPA meistert die Aufgabe mit Respekt, Würde und einem Café samt begehbarem Innenhof.

Foto: Hertha Hurnaus

Maria Z. ist 93 und schwer pflegebedürftig. Sie liegt im Bett, starrt die meiste Zeit an die Decke, nur ab und zu entkommt ihr ein kurzes, liebevolles Zwinkern. In den meisten Pflegeheimen würde Maria Z. den Großteil des Tags allein in ihrem Zimmer verbringen – nicht hier. Maria Z. ist umgeben von Besucherinnen und Betreuern, von Kollegen und gerade sich auf Reise befindlichen Spaziergängerinnen. Im Hintergrund läuft der Fernseher, daneben ein Radio, irgendwo wird lautstark Karten gespielt. Jemand reißt einen Witz, jemand anderer lacht, eine Schüssel mit Kaiserschmarrn fliegt zu Boden. Krach.

"Es war eine bewusste Entscheidung, die Wohngruppen so zu organisieren, dass sich die 15 Einzelzimmer jeder Wohngruppe jeweils um einen gemeinsamen Bereich gruppieren", sagt Bernhard Weinberger, einer der drei Partner von wup wimmerundpartner architektur. "Dadurch können Bewohner den Großteil des Tages, wenn sie möchten, gemeinsam verbringen." Und ja, das tun sie. Und mit ihnen die Töchter, Söhne, Enkel, die an diesem sonnigen Nachmittag zu Besuch sind.

Pflegeheim nach dem Prinzip Marktplatz

Gänge sind im Ingrid-Leodolter-Haus, wie das Pflegewohnheim am Kardinal-Rauscher-Platz im 15. Wiener Gemeindebezirk offiziell heißt, passé. Es herrscht das Prinzip Marktplatz. Und der Begriff ist durchaus wörtlich zu verstehen. "Wie in einem Dorf haben wir die Privatzimmer als Häuserzeile betrachtet. Vor jedem Privathaus gibt es, wie es sich gehört, eine kleine geschützte, halböffentliche Zone, in der man auf einem Bankerl Platz nehmen und das Geschehen beobachten kann. Wer will, kann sich auch direkt zum Dorfanger begeben und den Tag am Marktplatz verbringen", so Weinberger.

Für das ungewöhnliche Raumkonzept, das bereits Teil der Wettbewerbsausschreibung war, wurden der gemeinnützige Bauträger Gesiba und der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) gestern, Freitag, mit dem Österreichischen Bauherrenpreis ausgezeichnet. Das vor einem Jahr eröffnete Pflegewohnheim (Investitionsvolumen 72 Mio. Euro) ist eines von insgesamt sechs Projekten, die von der Zentralvereinigung der ArchitektInnen Österreichs (ZV) gekürt wurden. Der jährlich vergebene Preis versteht sich als Würdigung der Auftraggeberinnen und Auftraggeber.

Betagten die Teilhabe ermöglichen

"Das Niveau der Einreichungen war sehr hoch", sagt Jurymitglied Martin Kohlbauer. "Und das Pflegewohnheim in Rudolfsheim-Fünfhaus ist ein besonders behutsam geplantes Haus. Es ist nicht nur ein mit Verve und Engagement beauftragtes und begleitetes Projekt, sondern auch ein wunderbares Beispiel dafür, wie man alte, gebrechliche und mitunter an Demenz erkrankte Menschen an einem gesellschaftlichen Leben teilhaben lässt. Mich persönlich hat das Gebäude sehr berührt."

Franz P. und Rosalia W. biegen um die Ecke. Tür auf, Tür zu, und weiter geht's. Die beiden haben, wie die meisten dementen Menschen, einen hohen Bewegungsdrang und verbringen ihre Freizeit am liebsten im Gehen. Dazu haben sie im 328-Betten-Haus schier unendlich viele Optionen. "Sämtliche Türen stehen offen", sagt Projektleiter Weinberger. "Durch die vier großen Innenhöfe, die wir in den großen Straßenblock eingeschnitten haben, hat jeder die Wahl, ob er die ganz große Runde drehen will oder lieber eine etwas kürzere Achterschlaufe geht."

"Stehen bleiben wäre doch ewig schade"

Langweilig ist die Reise für Franz P. und Rosalia W. keineswegs. Immer wieder gibt es Bänke, immer wieder gibt es Lümmelecken und Lehnboards, an denen man eine Rast machen und die spielenden Kinder im Kindergartenhof (EGKK Landschaftsarchitektur) beobachten kann. Kurze Pause, und weiter geht's. "Demente Menschen neigen dazu, optische Brüche und allzu abrupte Wechsel in den Materialien als Barriere zu verstehen", erklärt Architekt Helmut Wimmer. "Dann bleiben sie stehen und gehen nicht weiter. Und das wäre doch ewig schade, oder?"

Der hier erzielte Kompromiss aus Kalkül und Kreativität gipfelt in einem harmonisch zusammengewürfelten Fliesenboden in Gelb, Rot, Grün und Blau. Mit dem leicht unscharfen Kerzenblick, den man im hohen Alter dank vieler Dioptrien wohl ohnehin entwickelt, ergibt sich in der grob gepixelten Struktur ein Bild von fast zauberhaften Dimensionen. "Ein paar Bewohner haben uns schon rückgemeldet, was für eine Freude sie mit der bunten Blumenwiese haben", so Wimmer.

Besuche von Kindern und Jugendlichen

Im Erdgeschoß ist gerade eine Gesangsvorstellung zu Ende. Schon strömen die ersten Gehhilfen und Rollatoren aus dem Festsaal. "Dieses Haus bietet uns alle Möglichkeiten, um hier neue Wohn- und Pflegekonzepte umzusetzen", sagt die leitende Direktorin Hildegard Menner. "Wir haben viel Platz für Veranstaltungen, vor allem aber haben die Bewohnerinnen und Bewohner bei uns ein breites Spektrum an Möglichkeiten, wie sie den Tag verbringen möchten – ob das nun im Zimmer, am Marktplatz oder draußen auf der Loggia ist."

Immer öfter, erzählt Menner, kommen Kinder und Jugendliche zu Besuch, beteiligen sich Anrainer aus der Umgebung an Veranstaltungen. Vor dem Café im Erdgeschoß sitzen gerade Jugendliche mit Kebab in der Hand. Und erst kürzlich habe sich an einem sonnigen Herbsttag ein Nachbar im Hof breitgemacht und seinen mitgebrachten Elektrogrill an die Outdoor-Steckdose angeschlossen. Privathammel gab's dann doch keinen. So weit ist es nicht gekommen.

"Wir reden davon, dass die Gesellschaft immer älter wird", sagt Architekt Helmut Wimmer. "Ja dann machen wir doch bitte endlich was aus dieser Tugend! Zum Beispiel, indem wir den alten und pflegebedürftigen Menschen Räume geben, in denen wir uns selbst eines Tages wohlfühlen werden. Das ist unsere soziale Verantwortung. Das ist unser Horizont." (Wojciech Czaja, 5.11.2016)