"Die Entscheidung, sich gegen die Influenza impfen zu lassen, ist eine moralische Verpflichtung gegenüber älteren Menschen", sagt Virologe Herwig Kollaritsch.

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Exakte Vorhersagen zur Influenza sind jedes Jahr schwer, weil sich die Viren ständig verändern. Daher sind die Impfungen auch nicht zu 100 Prozent wirksam.

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Es könnte in jeder Familie passieren. Alle Jahre wieder, wenn es kälter wird, kommen die Grippeviren in Fahrt, und die Kinder stecken sich in der Schule an. Wenn abends die Oma zum Aufpassen kommt, geht der Virentransfer weiter. Das Enkelkind wird zum Überträger, und wenn die Großmutter über 65 Jahre alt ist und vielleicht auch Diabetikerin, kann eine Grippeinfektion tatsächlich lebensgefährlich werden. Jedes Jahr sterben tausende Menschen durch die Influenza. Allerdings werden "die Gefahr der Erkrankung und die Komplikationen durch eine Impfung stark gesenkt", sagt Pamela Rendi-Wagner, im Ministerium für öffentliche Gesundheit zuständig. In einer älter werdenden Gesellschaft mit immer mehr chronisch Kranken geht es darum, in der Gesundheitspolitik entsprechende Entscheidungen zu treffen. "Wir müssen die Risikogruppen schützen, das geht nur indirekt über die Umgebung", sagt Rendi-Wagner und meint den Herdenschutz.

Jeder Nichtgeimpfte ist in der Grippesaison eine Gefahr für Alte, Babys, Kranke. Besonders besorgniserregend für Rendi-Wagner sind die niedrigen Durchimpfungsraten beim Gesundheitspersonal. Auch die Schulen hat sie im Visier: Eine britische Studie hat gezeigt, dass vor allem ältere Menschen von geimpften Kindern profitieren.

Kein Impfzwang

Zum Impfen kann in Österreich niemand gezwungen werden, da dies einen Eingriff in das Recht auf körperliche Integrität bedeuten würde. Beim Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV), Träger der städtischer Spitäler und Pflegeheime in Wien, handhabt man das Thema eigenen Angaben zufolge so, dass das Personal "regelmäßig und ganz besonders zur Grippesaison" dazu aufgefordert werde, sich impfen zu lassen – in der Arbeitszeit und kostenlos. Das geht beim Betriebsarzt oder der Magistratsabteilung 15, dem Gesundheitsdienst der Stadt. Für Normalbürger kostet eine Grippeimpfung im Zuge der Grippeimpfaktion der MA 15 elf Euro. Generell kostet der Impfstoff zwischen 20 und 24 Euro. Wie hoch die Durchimpfungsrate beim Gesundheitspersonal ist, das viel Kontakt zu vulnerablen Personen hat, überblickt der KAV eigenen Angaben aber zufolge nicht.

"Ich habe mich inzwischen dreimal grippeimpfen lassen, und ich werde es wieder tun", sagt eine Krankenschwester eines Wiener Spitals. Sie schätzt, dass 60 Prozent ihrer Kolleginnen und Kollegen der Pflege auf ihrer Station sich gegen Influenza impfen lassen. Ein Informationsblatt, das zu Beginn der Impfaktion in jeder Abteilung aufgehängt werde, erinnere das Personal daran. Sorgen bezüglich Nebenwirkungen habe sie keine, sagt die Pflegekraft.

Viele Impfoptionen

Beim Gesundheitsdienst der Stadt Wien sank die Zahl der Menschen, die zum Impfen kamen: Bei der Grippeimpfaktion von Anfang Oktober bis Anfang Dezember lag die Beteiligung 2015 bei rund 31.000 Personen. Im Jahr davor noch bei rund 34.000, 2013 bei 37.000 Menschen. Gegen Influenza gibt es generell eine ganze Palette Impfoptionen, deren Wirksamkeit vom Alter abhängig ist. Für Kinder und Jugendliche existiert ein Nasenspray, für Erwachsene die Dreifachimpfung als Injektion. Auch für ältere Menschen wurde ein Impfstoff entwickelt. Da sich das Immunsystem im Laufe eines Lebens wandelt, ist nicht jeder Impfstoff für alle Altersgruppen gleich geeignet.

Jede Impfung hat auch ihre Skeptiker. "Immer wieder werden Bedenken wegen der Wirksamkeit der Grippeimpfung geäußert", schildert Norbert Jachimowicz, praktischer Arzt in Wien. Äußert jemand Sorgen wegen möglicher Nebenwirkungen, entgegnet der Mediziner, dass er in seiner langjährigen Tätigkeit keine einzige Impfreaktion gesehen habe, die über eine kleine Rötung oder leichtes Unwohlfühlen am Folgetag hinausgegangen sei.

Die Ärztekammer informiert ihre Mitglieder über Beginn und Ende einer Grippewelle. Die Ärzte, denen selbst überlassen ist, wie sie sich schützen, informieren dann die Patienten. Jachimowicz empfiehlt als Impfzeitpunkt Oktober oder November, im Dezember beginne schon die Grippesaison.

Moralische Verpflichtung

"Die Entscheidung, sich gegen die Influenza impfen zu lassen, ist eine moralische Verpflichtung gegenüber älteren Menschen", ist Virologe Herwig Kollaritsch vom Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin überzeugt. Als Virologe hat er einen rein biologischen Blick auf die Grippeproblematik. Er sieht Menschen als eine Art lebendes Reservoir für eine Vielzahl von Viren. Immer dann, wenn die Temperaturen sinken und die Menschen mehr Zeit zusammen in geschlossenen Räumen verbringen, kommt es zum gegenseitigen Austausch.

"Influenzaviren sind beim Ablesen ihrer Erbinformation schlampig, und deshalb ergeben sich immer wieder geringfügige Änderungen", erklärt er, und genau dieser Umstand mache exakte Vorhersagen zur Influenza jedes Jahr wieder ausgesprochen trickreich. Antigen-Drift ist der Fachbegriff für diese permanenten Veränderungen der Viren und der Grund dafür, dass die Impfungen nicht zu 100 Prozent wirksam sind.

Die Aktivität der Influenza wird penibel überwacht, nach den derzeitigen Vorhersagen wird dieses Jahr der Stamm AH2/N3 dominant werden. Und Kollaritsch kennt auch die idealen Umschlagplätze: Es sind Kindergärten und Schulen, die U-Bahn, Krankenhäuser und vor allem auch Bahnhöfe und Flughäfen. Besonders Vielreisenden empfiehlt er die Impfung, "um die, die zu Hause geblieben sind, zu schützen", betont er noch einmal. Die Fluglinie Austrian Airlines bietet eigenen Angaben nach dem gesamten Personal kostenlose Impfaktionen beim Betriebsarzt an.

Die Grippewelle dieses Winters ist noch im Anfangsstadium: Rund 7100 Neuerkrankungen an grippalen Infekten beziehungsweise Grippe verzeichnete der Meldedienst Wiens vorige Woche. Als die Verbreitung vergangenen Winter im Februar ihren Höhepunkt erreichte, waren es binnen einer Woche rund 14.000 gewesen. (Karin Pollack, Gudrun Springer, 5.11.2016)