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Auf Bill Grahams Veranstaltungen wurde Rock-'n'-Roll-Geschichte gespielt und geschrieben.Auf Bill Grahams Veranstaltungen wurde Rock-'n'-Roll-Geschichte gespielt und geschrieben.

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Prediger Billy Graham: Sein christlicher Amerikanismus erwies sich bald als exportfähig.

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In God we trust – oder auch in Rock 'n' Roll: Bewegte US-Bürger auf einem sogenannten "Kreuzzug" des Erweckungspredigers Billy Graham in NYC.

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Dies ist die Geschichte zweier Männer, die wie zwei magnetische Pole die Gegensätze der amerikanischen Nachkriegskultur verkörpern; die man sich kaum unterschiedlicher vorstellen kann; und die nichts gemeinsam zu haben scheinen außer ihre Namen – und auch die, wie wir sehen werden, nicht wirklich, nicht ursprünglich.

Womit wir schon mitten in der Geschichte sind mit zwei Handlungssträngen, die sich umeinander winden wie eine Doppelhelix, ohne sich je zu berühren. Denn obwohl ihre Karrieren mehr als zwei Jahrzehnte lang parallel verliefen und sie mit ähnlichen Mitteln die Massen bewegten und beeinflussten, sind sie sich offenbar nie begegnet.

Es ist ein kurioser Zufall, dass beide, wenn sie hinaus in die Welt flogen – und sie flogen oft hinaus in die Welt -, in ihren Pässen denselben Namen stehen hatten: William Graham. Aber William nannten sie sich nicht, niemand nannte sie so. Ihre Vornamen wurden wie üblich verkürzt, der eine zu Bill, der andere zum niedlicheren Billy. Dabei ist dieser der Ernstere, der landläufig Bravere: Billy Graham, der "Pastor Amerikas", der berühmteste Prediger in einem an Predigern reichen Land. Am 7. November wird er 98.

Paradebeispiele amerikanischer Identitäten

Bill Graham hingegen, ohne "y", war ein Vierteljahrhundert lang nicht nur der bedeutendste Promoter von Rock-, Pop-, Stadion-, Benefiz- und anderen Konzerten, nicht nur Tourmanager einiger der großen Namen in dieser Branche. Er beeinflusste damit auch Lebensgefühl und Werthaltungen einer ganzen Generation – derjenigen Menschen, die der Pastor eher nicht erreichte. 1991 starb Bill bei einem Helikopterabsturz.

Wie gesagt, ihre beiden Namen sind nicht immer gleich gewesen, auch das gehört zur Geschichte ihrer Gegensätze. Es ist sozusagen schon in ihrer Geburt, ihrer Herkunft angelegt, als zwei Paradebeispiele amerikanischer Identitäten.

Als William Franklin kam der Prediger 1918 auf die Welt, schon der Vater hieß so, und schon die Großväter waren Farmer in North Carolina, Südstaatler schottischer Abstammung, im Bürgerkrieg kämpften sie auf der Seite der Sezessionisten. Der Bauernhof der alteingesessenen Familie war die heile Welt des blonden, blauäugigen, feschen Billy, und wie alle um ihn herum wuchs er im Protestantismus auf.

Billy Graham bei einem Kreuzzug 1957.
SpeakFromTheHeart

Der mäanderte vor allem im Süden zwischen nach innen gewandtem Fundamentalismus und aktiver Teilnahme an der Gesellschaft, war selten theologisch gefestigt und nie an kritischer Auseinandersetzung interessiert. Es gab Wellen des "Erwachens", der individuellen Erfahrbarkeit Gottes, und es gab die Prediger, die das Wort nach außen trugen – einer der bekanntesten trug den Namen Billy Sunday; vor 100 Jahren veranstaltete er Massenbekehrungen, nutzte Lautsprecheranlagen, ließ Säle bauen und soll an die 100 Millionen Amerikaner erreicht, wenn auch nicht unbedingt bekehrt haben. Zu Billys Grahams Jugendzeit aber betonten die Prediger der Southern Baptists, zu denen er sich bekannte, eher Weltabgewandtheit. So selbstverständlich wie dieser Protestantismus war damals die Rassentrennung. Das änderte sich in den folgenden Jahrzehnten, und daran hatte Billy Graham seinen Anteil.

Alteingesessen war der zukünftige Rockpromoter Bill nicht, ganz im Gegenteil, er stand für die vielen Neuankömmlinge, die es freiwillig oder nicht in die Neue Welt verschlug, wo sie ihr Glück machen wollten und keineswegs – wie man derzeit wieder deutlicher sieht – immer willkommen waren.

Als Wolfgang Wolodja Grajonca kam er 1931 in Berlin auf die Welt. Kurz nach seiner Geburt starb der Vater. Wolfgang hatte vier ältere Schwestern, eine weitere, Tanja, kam 1933 dazu. Es war kein gutes Jahr für eine jüdisch-russische Familie mit sechs Kindern in Deutschland.

Johnny Cash bei der Billy Graham Evangelistic Association Crusade in Portland, Oregon 1992.
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In seiner mit Robert Greenfield zusammengestellten Autobiografie – Bill Graham presents. Ein Leben zwischen Rock & Roll – blickt er auf die Details seiner Flucht und das Schicksal seiner Familie zurück: wie er mit einem Kindertransport nach Frankreich gelangte, weiter nach Spanien und Marokko entkam und nach einer langen Schiffsreise in New York landete. Die Mutter und zwei seiner Schwestern überlebten die Nazi-Herrschaft nicht.

Er war knapp zehn Jahre alt, Vollwaise, unterernährt und konnte kein Wort Englisch. In einer Kindergruppe in einem Heim war er der Letzte, der von Pflegeeltern adoptiert wurde. Und in der Schule, die er nun besuchte, wurde er, weil er Deutsch sprach und gerade der Krieg gegen das Dritte Reich begonnen hatte, diskriminiert und verprügelt; ausgerechnet er! Eine ungünstigere Ausgangsposition, um Fuß zu fassen, kann man sich kaum vorstellen. Aber irgendwie schaffte er es, sich durchzusetzen. In den Straßen der Bronx, wo er aufwuchs, lernte er nicht nur Englisch, sondern idiomatisches New-Yorkerisch. Er begeisterte sich für die für ihn neuen Sportarten, ging ins Kino, schlug zurück, wenn er angegriffen wurde. Vor allem entschied er sich als 18-Jähriger, ein Stück Vergangenheit loszuwerden: Aus Wolfgang hatte er schon William gemacht, im Telefonbuch suchte er nun etwas in der Nähe von Grajonca und fand Graham. "Davon gab es Hunderte", erinnerte er sich später, "und ich wollte einen einfachen Namen." So erfand er sich neu als Amerikaner, mit einem uralt-schottischen Nachnamen wie sein Pendant im Süden.

Zwei gute Verkäufer

Auch Billy traf, als er 18 war und an einem Bibelinstitut in Florida studierte, eine Entscheidung. Fortan wollte er nur mehr Gott dienen und dessen Wort verkünden. Es galt für ihn, wie noch heute in den Satzungen seines Instituts zu lesen ist, "die Bibel als einzige unfehlbare Autorität Gottes" und "Jesus Christus als einziger Weg zum Heil". Zwar nahmen unzählige andere evangelikale Prediger dies für sich ebenso in Anspruch, aber Billy Graham stach bald aus ihnen hervor.

Folgt man seinen Anhängern oder seinem Biografen John Pollock, dann schwebte die Gnade Gottes, der ihn "berufen hatte zu predigen", über ihm. Sein attraktives Auftreten wird beigetragen haben und sein Talent, Menschen zu überzeugen. Schon als Student war er der Beste eines Teams, das die in Amerika sprichwörtlichen Fuller-Bürsten von Tür zu Tür verkaufte. Als "Supersalesman" bezeichnet ihn der Biograf Joe Barnhart, und Billy selber beschrieb, was ihn antrieb: "Ich war überzeugt, dass Fuller-Bürsten die besten der Welt waren und dass keine Familie ohne sie sein sollte."

Eine derart felsenfeste Überzeugung hatte er auch bezüglich Jesus Christus und sah einen Markt, den es zu bearbeiten galt: "Ich verkaufe das beste Produkt der Welt", sagte er nach seinen ersten Erfolgen, "warum sollte es nicht gefördert und angepriesen (promoted) werden wie Waschmittel?"

Bill Graham spricht in einem Interview auf MTV über Live Aid (1985).
LiveAidWizard

Vorliebe für Spektakel

Nachdem Billy Graham im tiefen Süden mit seinen Auftritten Aufsehen erregt hatte, ermöglichten gute Verbindungen ihm eine wochenlange Serie von Predigten in Los Angeles, in einem Zelt für 6000 Menschen, mit Bekehrungsritualen und unter großer Anteilnahme der Medien – der Zeitungsbaron Hearst gab die Parole aus, Graham zu pushen. Das war 1949, als das konservative Nachkriegsamerika so richtig in Schwung kam und auch der neue Zeitvertreib Fernsehen. Billy nahm sehr aufmerksam Notiz davon.

Zu der Zeit entdeckte Bill Graham seinerseits gewisse Talente an sich. Als Kellner – seine Sommerjobs, während er studierte – bot er den Gästen den Extraservice, durch den er angenehm auffiel, unter seinen Kollegen organisierte er die Arbeit und die Freizeit, die abgezweigte Geburtstagstorte und den Überraschungsauftritt von Harry Belafonte für seine Freundin. Er mochte Spektakel, die Entertainer, die Musiker, insbesondere Jazz und Salsa.

Eigentlich wollte er Schauspieler werden, doch sein Talent reichte nicht, und sich mit dem Lehrer Lee Strasberg zu zerstreiten war auch nicht förderlich. Immerhin blieb er der Branche auf seine Art treu. Nachdem er an die Westküste gezogen war, begann er, für die San Francisco Mime Troupe zu arbeiten. "Sie waren nicht nur Schauspieler", begründete er den Jobwechsel, "sie wollten die Gesellschaft ändern." Er brachte Struktur in die anarchische Truppe, kümmerte sich um die Finanzen und stellte für sie ein Benefizkonzert auf, das seine weitere Karriere bestimmen sollte.

"Bill Graham presents"

"Er hatte nie von Jefferson Airplane gehört", erinnert sich sein Mitarbeiter Mick Brigden. "Aber als er sah, dass Tausende bereit waren, für ihr Konzert zu zahlen, ging ihm ein Licht auf." Die übernächste Veranstaltung war kein Benefiz mehr. Im Laufe der folgenden Jahre wurde Bill Graham zum wichtigsten Promoter an der Westküste. Er mietete die Säle an – Fillmore, Avalon, Winterland -, in denen Rock-'n'-Roll-Geschichte gespielt, geschrieben und auf Platten gepresst wurde. Mit seinem wachsenden Unternehmen stellte er die künstlerischen und kommerziellen Weichen einer Szene, die sich einem hedonistischen, von Musik und Drogen beflügelten Lebensgefühl verschrieb. Er verpasste ihr den Soundtrack und die entsprechenden Etiketten: die Hippies, der Summer of Love, die Anarchie und überhaupt die Sixties. Auf all den Konzertpostern mit ihren bis zur Unleserlichkeit verzerrten psychedelisch-jugendstiligen Schriftzügen war eine Zeile immer klar zu lesen: "Bill Graham presents".

Die Sogwirkung attraktiver Veranstaltungen hatte der Prediger Graham längst erkannt. Nach Los Angeles führte er regelmäßig "Crusades" immer größeren Ausmaßes durch, Kreuzzüge also, als gelte es, die Seelen aller Amerikaner vor der ewigen Höllenverdammnis zu retten. So wörtlich meinte er es auch. Nur wer sich für Jesus entschied, konnte in den Himmel kommen, und den stellte er sich so vor: "Wir werden Partys haben, die Engel werden uns bedienen, und wir werden in gelben Cadillac Cabrios auf goldenen Straßen fahren." Das Gegenteil war "die Religion Satans": der Kommunismus, mit dem man der Mittelschicht Amerikas Furcht einjagen konnte.

Anderseits sagte er sich relativ früh von der im Süden noch selbstverständlichen Rassentrennung los und weigerte sich, vor getrennt gehaltenen Zuhörern aufzutreten. Man mag sich heute dessen nicht mehr bewusst sein, aber seine Haltung hatte Gewicht, und da er sich nicht mehr als Angehöriger einer bestimmten Kirche, sondern als direkter Abgesandter Jesu präsentierte, wog sie noch mehr. Bill Clinton, politisch kein großer Freund Grahams, erinnerte sich an einen rassenintegrierten Kreuzzug im Football-Stadion von Little Rock in den Fünfzigern: "Wenn man kein Südstaatler ist, kann man das kaum verstehen. Auf mich hat es einen enormen Eindruck gemacht."

Bill Graham trifft Santana (1977).
Upper Playground

"Christlicher Amerikanismus"

Die Marke Billy Graham, sein "christlicher Amerikanismus", erwies sich bald als exportfähig. Bei seiner Europa-Tournee 1954 attackierte ihn zwar die englische Labour-Presse wegen antisozialistischer Stellen in einem seiner Gebetbücher, doch bei seinen Auftritten in einem Londoner Stadion kam es zu regelrechten Szenen einer Manie – zehn Jahre vor den Beatles. Im Juni berichtete der Stern begeistert von der "Seelenwäsche in Berlin", die das "Maschinengewehr Gottes" 80.000 Menschen im Olympiastadion verpasste. Drei Jahre später füllte Billy 16 Wochen lang den Madison Square Garden in New York, zwei Millionen Leute sollen ihn gesehen haben, fast 60.000 gelobten, ihr Leben Jesus zu widmen. Bekehrungsreisen nach Moskau, noch zu sowjetischen Zeiten, Seoul und viele weitere Orte folgten. TV-Anstalten unterstützten ihn mit Live-Übertragungen, im Radio hatte er seine wöchentliche Sendung Hour of Decision (Stunde der Entscheidung). Auf große Berichte in Life, Time, Newsweek etc. konnte er sowieso zählen. Youtube-Videos zeigen, wie perfekt der patriotische Pastor und seine vielköpfige Organisation die Predigten medial inszenierten, als einfache Problemlösung. "Turn on with Jesus", wie er einmal sagte, "get high on Jesus!"

Immer größer und medial bestens begleitet wurden auch die Veranstaltungen, die der Impresario Bill Graham organisierte. Seinen Besuchern, die der Gegenkultur zuzurechnen waren und das Turn on!-Motto nicht von Billy, sondern von Hippie-Autor Timothy Leary kannten, bot er Unterhaltung auf hohem Niveau. Er sorgte für gute Tontechnik, Lightshows, synästhetische Eindrücke und eine Musikmischung, bei der er auf neue Erfahrungen ebenso achtete wie auf die Einnahmen. Es kann sein, dass er lange Zeit wirklich, wie er sagte, an die verändernde Kraft der Musik glaubte.

Einsatz für Abrüstung und gegen Atomwaffen

Beide Grahams bewegten also die Massen. Wie es aussah, hatte der eine nur Gott im Sinn, der andere bloß das irdische Vergnügen. Doch die Wirklichkeit war etwas komplizierter. Der Prediger Billy hat sich offiziell immer aus der amerikanischen Innenpolitik herausgehalten. Er hat sozusagen ex cathedra nie eine Wahlempfehlung abgegeben, auch jetzt nicht, obwohl Trumps Leute bei dem greisen Mann vorstellig wurden. Aber seine Sympathien liegen eindeutig bei den konservativen Politikern. Was "humanistisch", d. h. gottlos ist, ist seine Sache nicht. Bei Eisenhower suchte er noch um einen Termin an, danach waren es eher die Präsidenten, die ihn aufsuchten. Um eine Ahnung davon zu geben, warum es sich lohnte, in seiner Nähe gesehen zu werden: Seit den 50ern rangierte er in Gallup-Umfragen zu den am meisten bewunderten Männern in den USA immer unter den ersten zehn; insgesamt 59-mal, ein Rekord.

Billy gelang der Spagat, die nach innen gewandte evangelikale Frömmigkeit mit konservativem Engagement zu verbinden und den Zeitgeist weniger zu treffen, als ihn zu schaffen ("In God We Trust" wurde 1956 zum offiziellen Motto der USA). Damit bereitete er den Boden für die aggressiv auftretende "christliche Rechte", auch wenn er deren Einfluss kritisierte. Für Unmut sorgte bei dieser Bewegung, dass sich der Prediger in den Achtzigerjahren überraschend für Abrüstung und gegen Atomwaffen einsetzte.

Hatte Billy Graham mit seinen Veranstaltungen und Seilschaften auf dem politischen Parkett einen persönlichen Vorteil, Reichtum, die Befriedigung geheimer Lüste im Sinn? Nichts in seinem Lebenslauf deutet darauf hin. Das unterscheidet ihn wohltuend von Jerry Falwell oder Jim Bakker und 26 weiteren Televangelisten und Gottesmännern, die alle in sexuelle oder finanzielle Skandale verwickelt waren.

An Reagan schieden sich die Geister

Wenn der Promoter Bill Graham politische Sympathien zeigte, dann gehörten sie Minderheiten und bürgerrechtlichen Anliegen. Er galt zwar als harter Geschäftsmann, aber setzte sich wiederholt für Veranstaltungen ein, die ihm nichts brachten, die "Human Rights Now!"-Welttournee von Amnesty International etwa, der amerikanische Teil des "Live Aid"-Benefits oder ein großer Konzerttag zugunsten unterfinanzierter Schulen in San Francisco.

Klar schieden sich die Geister der beiden Grahams an der Person Ronald Reagans. Für Billy war er ein Freund seit 1954, als er den jungen Schauspieler kennenlernte und mit ihm laut Grahams Sohn Franklin "sehr tiefe theologische Diskussionen" führte. Er begleitete ihn während der Präsidentschaft, denn "es war wichtig, unseren Glauben und Gottes Standards hochzuhalten".

Den aus Deutschland geflüchteten Bill hingegen traf es an seinem empfindlichsten Nerv, als er erfuhr, dass Präsident Reagan plante, den Soldatenfriedhof im deutschen Bitburg zu besuchen und damit auch Angehörige der Waffen-SS zu ehren. "Er dachte", wie sich sein Sohn Alex erinnert, "an seine kleine Schwester, die er in Frankreich hatte zurücklassen müssen und die den Nazis in die Hände gefallen war." Er dachte auch an sein Recht, seine Meinung frei zu äußern, und protestierte mit ganzseitigen Inseraten und einer Demonstration, die er im Zentrum San Franciscos veranstaltete, gegen den Besuch. Kurz danach legten Unbekannte seine Büroräume mit Feuerbomben in Schutt und Asche.

Der Gottesmann und der Musikmanager

Mehrere Generationen von Amerikanern standen und stehen unter dem Einfluss, den die beiden Männer direkt oder indirekt ausgeübt haben, der Gottesmann als Galionsfigur, der Musikmanager als Macher im Hintergrund. Selten haben sich diese Einflüsse vermischt, vielmehr haben sie getrennte Entwicklungen verstärkt. Das religiöse und das säkulare, das rote und das blaue, das republikanische und das demokratische Amerika, wenn auch nie in Reinkultur: Bill und Billy haben ihren Anteil an der Entwicklung dieser Lager. Angesichts ihrer jahrzehntelangen parallelen Tätigkeiten ist es eigentlich erstaunlich, dass die beiden Grahams einander offenbar nie begegnet sind und auch nicht voneinander Notiz genommen haben, und sei es auch nur in kritischer Absicht.

Verbindungen zwischen ihnen hat es nur sehr indirekt oder gar irrtümlich gegeben. "Als Bill noch lebte", erinnert sich Mick Brigden, "kam eine Gruppe aufgeweckter junger Menschen in sein Büro." Sie waren erstaunt, als sie laute Musik hörten und die vielen Rockposter und am Schreibtisch im Hintergrund möglicherweise einen gestikulierenden und ins Telefon fluchenden Mann sahen. "Sie dachten, sie würden hier den Prediger kennenlernen."

Bei Bills Begräbnis vor 25 Jahren sagte der Rabbiner: "Hier in San Francisco kannten wir ihn alle. In einigen anderen Teilen des Landes mögen sie geglaubt haben, er war ein Evangelist."

Und dann hatten die beiden noch etwas gemeinsam: Bei seinem Kreuzzug in New York 1957 machte Billy Graham die Bekanntschaft des berüchtigten Gangsters Mickey Cohen. Der interessierte sich für die Ansichten des Pastors, weitere Folgen hatte die Begegnung nicht. Nun war Cohen der Sozius einer anderen Größe der Unterwelt, "Bugsy" Siegel. Als dessen Leben 1991 von Barry Levinson verfilmt wurde, war auch die Rolle des Mafiabosses Lucky Luciano zu besetzen. Mit Vergnügen übernahm sie: Bill Graham. (Michael Freund, 5.11.2016)