Die 80 Grasplatten befinden sich nun auf 1.400 Metern in einem wärmeren Klima, wie es mit dem Klimawandel Ende des Jahrhunderts erwartet wird.

Foto: Loïc Pellissier/WSL

Zürich – Wer gewinnt und wer leidet unter dem Klimawandel? Um diese Frage für die Alpenflora zu beantworten, haben Schweizer Wissenschafter nun per Helikopter zehn Tonnen Alpenrasen von 2.100 auf 1.400 Meter Höhe in ein wärmeres Klima verpflanzt. Bisherige Experimente zeigen, dass die Gebirgspflanzen mit harten Zeiten rechnen müssen.

Weil noch wenig bekannt ist dazu, ob und wie es zum Verdrängungskampf in den Alpen kommen wird, haben Forscher der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL und der ETH Zürich am Calanda bei Chur ein Experiment begonnen. Sie versetzten insgesamt 80 je einen Quadratmeter große und 125 Kilogramm schwere Grasplatten samt Wurzeln von 2100 auf 1400 Meter Höhe; zwanzig Mal musste der Helikopter dazu hin und her fliegen.

Diese Woche verpflanzten die Wissenschafter zudem die Konkurrenten aus dem Tiefland in die umgelagerten Grasplatten. "Wir machen dies im Herbst, weil die Pflanzen in der Winterruhe weniger empfindlich auf Störungen reagieren", sagt Loïc Pellissier, der die Studie zusammen mit Jonathan Levines Gruppe von der ETH Zürich durchführt.

Mit der Verpflanzung auf 1.400 Meter reisen die alpinen Pflänzchen in ein um etwa 3 Grad wärmeres Klima, wie es ohne Maßnahmen gegen den Treibhausgasausstoss für das Ende des 21. Jahrhunderts zu erwarten ist, erklärt Pellissier. Sie werden dann nicht nur neuen Konkurrenten, sondern auch mehr pflanzenfressenden Insekten ausgesetzt sein. Was dann geschieht, soll das Experiment zeigen, das im nächsten Frühling beginnt.

Harte Zeit für Alpenpflanzen

Aus früheren Untersuchungen lässt sich vermuten, dass auf die Gebirgspflänzchen eine harte Zeit zukommt. Im Jahr 2012 haben Pellissiers Kollegen von der ETH schon einmal Grasplatten von 2000 und 2600 Metern Höhe auf 1400 Meter verpflanzt. Neben den schneller wachsenden Konkurrenten aus dem Tiefland gediehen die Alpenpflanzen schlecht, so das Ergebnis. Was der Grund dafür war – ob sie etwa unter neuen pflanzenfressende Insekten litten – hatte dieses Experiment nicht untersucht.

Wie rasch Pflanzen von selbst in die Höhe wandern, konnten WSL Forschende in einer Studie zur Gipfelflora aufzeigen. Sie haben Pflanzen auf 150 Berggipfeln und Gebirgspässen in der Schweiz kartiert und mit hundertjährigen Daten vom jeweils gleichen Standort verglichen. Das Ergebnis: Die höchsten Vorkommen unserer Gipfelflora-Arten liegen heute rund 80 Meter weiter oben als vor 100 Jahren.

Das neue Experiment hat gegenüber den früheren den Vorteil, dass es die diversen Einflussfaktoren des Konkurrenzkampfes getrennt untersucht. Die Forschenden müssen auch nicht 100 Jahre auf Resultate warten, denn sie präparieren zwei Teile jeder Platte experimentell.

Insektenverfrachtung

Auf den einen Teil setzen sie in Käfigen möglichst alle auf einem Quadratmeter Wiese vorkommenden Insekten aus. Diese fangen sie von Hand und mit einem speziell dafür konstruierten Staubsauger auf 1400 beziehungsweise 2100 Meter. Der andere Teil wird mit Bodenlösung von beiden Standorten angereichert. Die Forscher vermuten nämlich, dass die Tieflandpflanzen vor allem wegen der hilfreichen Pilze und Mikroorganismen im Boden die Nase vorn haben.

Fast die gleichen Experimente führen parallel dazu auch Kollegen der Uni Lausanne und der Uni Grenoble an anderen Orten in den Alpen durch. So können die Forschenden die Daten verschiedener Standorte analysieren und miteinander vergleichen. Das Experiment am Calanda soll mindestens für 10 Jahre laufen, sagt Pellissier. "Wir wollen die Dynamik des Verdrängungsprozesses besser verstehen und wissen, wie schnell er ablaufen wird." (red, 5.11.2016)