Wirklich neu ist die Drohung nicht, die Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu gegen die EU jüngst vom Stapel ließ: Sollte es aus Brüssel nicht bald Garantien zur Einführung der Visafreiheit geben, dann werde seine Regierung den Migrationspakt EU/Türkei aufkündigen. Solche Tiraden hat man aus der Führung in Ankara oft gehört – vor und nach dem vereitelten Militärputsch im Juli.

Jenen zu drohen, von denen man eine Menge erhofft und fordert, das gehört fast schon zum unguten Ton, der die jüngere türkische Außenpolitik in Europa prägt. Sie will damit nur von den schweren Verfehlungen gegen Grundrechte und Meinungsfreiheit im Inneren ablenken.

Auch die Sachlage ist anders. Die in Aussicht gestellte Visafreiheit war mit dem Migrationspakt – Milliardenhilfen im Gegenzug zur Rücknahme illegaler Migranten in der Ägäis – zunächst gar nicht verknüpft. Sie steht seit langem in Zusammenhang mit einer politischen Lösung für das geteilte EU-Mitglied Zypern beziehungsweise den EU-Beitrittsverhandlungen. Die Mindestvoraussetzung dafür ist die Einhaltung von Grundrechten. Indem sie diese systematisch verletzt, etwa politische Gegner pauschal als Terroristen verfolgt, torpediert die Türkei selber jeden EU-Beitrittsfortschritt.

So ähnlich wird das demnächst im alljährlichen "Fortschrittsbericht" aus Brüssel stehen: Er konstatiert starke "Rückschritte" in der Türkei. Sogar die bisher so türkeifreundliche Kanzlerin Angela Merkel ist "alarmiert". (Thomas Mayer, 3.11.2016)