Grapschen ist kein Kavaliersdelikt: Seit Anfang des Jahres können nun auch Menschen bestraft werden, wenn sie jemanden am Gesäß oder an den Schenkeln berühren.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Wien – Anfang des Jahres nahm in Linz ein 47-Jähriger eine fast 20 Jahre jüngere Frau in seinem Auto mit. Die genauen Umstände sind dem inzwischen abgeschlossenen Akt der Staatsanwaltschaft nicht zu entnehmen. Jedenfalls kam es dazu, dass er sie am linken inneren Oberschenkel "intensiv berührte" und "mehrfach streichelte". Die Frau erstattete Anzeige. Schlussendlich wurde der bis dahin unbescholtene und geständige Grapscher zu 60 Tagessätzen à vier Euro verurteil, sprich: Es setzte 240 Euro Strafe.

Hätte sich die Tat ein paar Monate früher ereignet, wäre der Mann vermutlich straffrei davonkommen. Seit Jänner ist nämlich jene strafrechtliche Bestimmung, die unter dem Namen "Po-Grapsch-Paragraf" diskutiert wurde, präziser ausformuliert – wodurch sie verschärft wurde. Während früher nur Berührungen an den primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen – also an der Brust oder im Schritt – erfasst waren, kann heute auch eine vom Gegenüber ungewollte Berührung an den Oberschenkeln oder am Gesäß bestraft werden.

Wie eine dem STANDARD vorliegende aktuelle Auswertung des Justizministeriums zeigt, ist die Zahl der Anklagen, die die Staatsanwaltschaften wegen "sexueller Belästigung und öffentlich geschlechtlicher Handlung" erhoben haben, seither deutlich gestiegen: Im Jahr 2015 wurde in 242 Fällen angeklagt, zwischen Jänner und Oktober 2016 bereits 329-mal – und das, obwohl nicht wesentlich mehr Delikte an die Behörden herangetragen wurden. Das bedeutet: Heute landen mehr der angezeigten Fälle auch vor Gericht.

Höhere Anzeigebereitschaft

Erklärungen, warum das so ist, gibt es mehrere. Einerseits wird, was sich viele vermutlich bereits gedacht haben, nun auch mit Daten untermauert: Bloß weil unerwünschte Berührungen am Gesäß oder an den Schenkelinnenseiten zuvor nicht strafbar waren, wurden sie dennoch als unangebracht empfunden und angezeigt – nur bis Jänner eben oft ohne Erfolg. Diese Fälle finden nun Berücksichtigung. Andererseits steigen durch die mediale Berichterstattung zu einem Thema aber auch das Problembewusstsein und die Sensibilität in der Bevölkerung – und dadurch die Anzeigebereitschaft.

Über den "Po-Grapsch-Paragrafen" wurde im Vorfeld viel rapportiert. Darüber hinaus bekam das Thema sexuelle Belästigung durch die Vorkommnisse in der Silvesternacht in Köln große Aufmerksamkeit.

Wer grapscht, unerwünscht streichelt oder – wie es im Gesetz heißt – jemanden "durch intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in seiner Würde verletzt", dem drohen bis zu sechs Monate Haft oder 360 Tagessätze Bußgeld. Philip Christl, Sprecher der Staatsanwaltschaft Linz, hält jedenfalls fest: "Weder bevor, noch nachdem der Paragraf verschärft wurde, hat es ausgereicht, eine Person kurz unabsichtlich in einem Gemenge zu streifen."

Ermächtigungsdelikt

Sexuelle Belästigung ist darüber hinaus ein sogenanntes Ermächtigungsdelikt. "Das Opfer muss wollen, dass die Staatsanwaltschaft den Fall zur Anzeige bringt, und kann diese Ermächtigung auch nachträglich wieder zurückziehen", erläutert Christl. Das würde auch immer wieder passieren. Wenn es denn so weit überhaupt kommt: "Die Dunkelziffer ist bei Sexualdelikten bekanntlich sehr hoch", sagt Christl.

Katharina Beclin vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien verweist diesbezüglich auf eine europäische Studie, die zeigt, dass rund fünf Prozent der Europäerinnen in den vergangenen zwölf Monaten unerwünscht berührt, umarmt oder geküsst wurden. Bricht man das Ergebnis auf Österreich herunter, würde das bedeuten, dass jährlich mehr als 200.000 Frauen sexuell belästigt werden. Zur Einordnung: Angezeigt wurden vergangenes Jahr 1.106 Fälle, heuer zwischen Jänner und Oktober 1.164 mutmaßliche Delikte. "Da es bei Sexualdelikten in der Regel keine Zeugen gibt, ist die Beweisführung schwierig, oft steht Aussage gegen Aussage", sagt Beclin.

Wehrloses Opfer

Im Jänner wurde das Strafrecht darüber hinaus durch eine neue Bestimmung ergänzt: den Paragrafen zur "Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung". Fast 90 Fälle wurden laut Auswertung des Ministeriums bereits angezeigt, 17-mal wurde angeklagt. Unter Juristen ist das Gesetz allerdings strittig, da die Beweisführung hier besonders schwierig ist: Es geht um Fälle, bei denen sich Opfer, weil sie sich vom Täter eingeschüchtert fühlen, während der Tat überhaupt nicht zur Wehr setzen. Dem Täter muss dennoch nachgewiesen werden, dass er wusste, dass sein Gegenüber nicht will, was er tut. Verurteilungen sind bisher keine bekannt. (Katharina Mittelstaedt, 3.11.2016)